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Rede

Christiane Böhm - Die Aushöhlung des Fachkräftegebots in Kitas ist ein massiver Fehler

Christiane Böhm
Christiane BöhmFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

In seiner 46. Plenarsitzung am 25. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag zum dritten Mal über ein Gesetz, das nach Ansicht der schwarzgrünen Landesregierung die Personalsituation in den hessischen Kitas verbessern soll, allerdings eine Aushöhlung des Fachkräftegebots nach sich ziehen würde. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Alles ist wunderbar – das ist es, was ich mir von der Rede der Koalition gemerkt habe. Aber eine solche rosa Brille kann ich mir nicht aufsetzen. Ich möchte Ihnen auch eine Wiederholung der Diskussion vom Dienstag ersparen.

Es bleibt dabei: Dieser schwarz-grüne Gesetzentwurf bringt zwar mehr als 400 Millionen € an Bundesmitteln und die den Kommunen geklauten Mittel in den kommenden Jahren in die Kitas, aber die zahlreichen Baustellen, die in der Anhörung aufgezeigt wurden, werden von Ihnen ignoriert.

Es bleibt dabei, dass Sie Menschen mit einer Schmalspurweiterbildung in die Kitas holen, um Geld zu sparen und die Träger ruhigzustellen. Das ist – ich würde es mit anderen Worten ausdrücken als Sie, Herr Rock – eine Dequalifizierung des Berufsfeldes Kita. Es ist eine Dequalifizierung der Erzieherausbildung, aber wir brauchen eine Aufwertung dieser Ausbildung, keine Abwertung. Ich denke, das ist genau der falsche Weg, den Sie gehen.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)

Das geht zulasten der Betreuungs- und Bildungsqualität in den Kitas. Das ist Ihr Verständnis von Bildungspolitik.

Ich habe im Laufe dieser Debatten noch einmal darüber nachgedacht. Manchmal ist so eine dritte Lesung noch zum Erkenntnisgewinn da. Es reifte die Erkenntnis bei mir: Ich glaube, es war Absicht. Dieser Änderungsantrag war Absicht.

(Lachen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben absichtlich diesen Änderungsantrag nach dieser Anhörung eingebracht. Ich glaube, es war Absicht, und das ist hinterfotzig.

(Zurufe)

Es ist hinterfotzig,

(Glockenzeichen) sich der Auseinandersetzung mit den Anzuhörenden nicht zu stellen, sondern es anschließend so in die Debatte reinzubringen. Sie wissen, es ist ein großer Schritt. Sie machen hier eine Türe auf, die Sie gern aufmachen möchten – das merke ich gerade, es wird mir deutlich; aber diese Tür war bisher aus guten Gründen geschlossen –, dass es wirklich zu einer weiteren Absenkung dieser Qualität und zu einer Öffnung des Fachkräftekatalogs kommt. Wenn Herr Rock noch an gute Menschen glaubt: Mir ist dieser Glaube verloren gegangen.

(Zurufe)

Anstrengender, aber wahrscheinlich auch lohnenswerter wäre es, sich in dieser Debatte einmal mit unserem Gesetzentwurf zu beschäftigen. Ich will nur eine Stellungnahme von einer Anzuhörenden zitieren. Es ist eine Personalrätin, die selbst als Erzieherin tätig war und Praxisanleitungen durchgeführt hat. Vielleicht hören Sie da einmal zu, aber ich glaube, es nützt ohnehin nichts:

Wir brauchen in den Kitas, Krippen und Horten gut ausgebildete Fachkräfte, die in der Lage sind, den Alltagssituationen Stand zu halten. Wir brauchen Praxisanleiter*innen, die den Anforderungen an gute Ausbildungsbegleitung gewachsen sind und die nötigen Zeitressourcen haben, um nachhaltig und praxisorientiert auszubilden.

(Unruhe – Glockenzeichen)

Präsident Boris Rhein:

Frau Böhm, bitte warten Sie einen Moment ab. – Es ist furchtbar unruhig im Plenarsaal. Ich bitte darum, der Rednerin zuzuhören oder, wenn man sprechen möchte, den Plenarsaal zu verlassen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. – Ich zitiere weiter:

Im Arbeitsalltag ist diese Fülle an Aufgaben für Praxisanleitungen kaum zu bewältigen und bedeutet immer einen Spagat zwischen anderen Aufgaben und der Notwendigkeit, Auszubildenden die nötige Zeit einräumen zu können. Große Gruppen mit 25 Kindern binden die komplette Aufmerksamkeit über den gesamten Tag, … Dazu kommt, dass Anleitungsgespräche oft ausfallen müssen, weil der Personalschlüssel so scharf „auf Kante genäht“ ist, …

Bei der PiA ist der Praxisanteil noch höher. Deshalb ist es umso wichtiger, die Professionalisierung dieser Ausbildungsbegleitung zu unterstützen und zu fördern, …

Entscheidend ist:

Ein Großteil der Berufsanfänger*innen orientiert sich nach ihrer Ausbildung anderweitig. Häufig sogar in völlig anderen Berufsfeldern. Eine praxisorientierte und professionelle Begleitung im letzten Ausbildungsabschnitt kann dazu beitragen, dass sie nach der Ausbildung in den Einrichtungen bleiben und auch so dem Fachkräftebedarf entgegengewirkt werden kann.

Das ist die Meinung der Praxis. Das ignorieren Sie komplett. Sie schaffen keine gesetzliche Grundlage für eine fachgerechte Praxisanleitung. Damit bleibt die Gewährung von Anleitungsstunden ebenso vom guten Willen oder der Personalsituation vor Ort abhängig wie der Zugang zu einer Qualifikation für die Anleitenden.

Zusammengefasst: Ihr Weg zur Reduzierung der Personalprobleme im Kita-Bereich setzt auf Dequalifizierung und Quereinstieg, unser Vorschlag auf Qualifizierung, Einbindung und das Halten und Wiedergewinnen von Fachkräften. Das genau ist der Unterschied zwischen schwarz-grüner und linker Bildungs- und Kita-Politik, meine Damen und Herren. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD) – Lachen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)