Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Christiane Böhm- Hick-Hack zwischen Bund und Land schafft keinen zusätzlichen Kita-Platz

Christiane Böhm
Christiane BöhmFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

In seiner 45. Plenarsitzung am 24. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag über den Kita-Ausbau. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Meistens freue ich mich darüber, dass wir weder in der Hessischen Landesregierung noch in der Bundesregierung vertreten sind. Heute ganz besonders.

(Minister Michael Boddenberg: Das freut uns auch! – Gegenruf Jan Schalauske (DIE LINKE): Was nicht ist, das kann noch werden! – Weitere Zurufe)

– Das freut Sie auch. Das kann ich mir gut vorstellen, dass Sie das freut, vielleicht auch aus anderen Gründen.

(Anhaltende Zurufe)

Vizepräsident Frank Lortz:

Meine Damen und Herren, ich würde Sie doch bitten, die Kollegin Böhm reden zu lassen. Ansonsten freue ich mich, dass die Stimmung gut ist. – Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Danke schön. – Regierungszugehörigkeit macht, das haben Sie heute auch mitbekommen, die Debattenverläufe schrecklich vorhersehbar. Teilweise konnte ich wirklich die nächsten Worte schon mitsprechen.

Die SPD lobt den Bund und natürlich Frau Giffey über den grünen Klee und verdammt die Landesregierung. Die Landesregierung, Schwarz-Grün, poltert zurück, regt sich über befristete Bundesprogramme auf und verweist auf die eigenen Maßnahmen.

(Zurufe – Glockenzeichen)

Dazu muss ich sagen: Ich habe den Eindruck, dass wir für jeden Euro, den Sie in die Kinderbetreuung investieren, dankbar sein müssen. – Nein, das ist nicht Ihr Geld, das ist das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir müssen hier keine Dankesorgien dafür abgeben, dass Sie sich dazu entschlossen haben, ein bisschen Geld für die Kinderbetreuung zu überlassen. Damit dreht sich in dieser Debatte alles schön im Kreis, aber den Kindern, den Eltern und den Erzieherinnen und Erziehern ist damit überhaupt nicht geholfen.

Natürlich hat beides auch Berechtigung. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, es ist ein Problem für die Länder und Kommunen, wenn die Förderprogramme des Bundes nur auf wenige Jahre befristet sind. Das gilt bekanntlich nicht nur für das Gute-Kita-Gesetz. Ein Versprechen, dass mit Bundesmitteln immer weiter finanziert wird, tritt auch nicht immer ein; das haben wir beim Auslaufen des Bundesprogramms Fachkräfteoffensive sehen können.

Wenn Frau Giffey jetzt 1 Milliarde € im Rahmen des Konjunkturpakets den Ländern zur Verfügung stellen will, dann ist das erfreulich. Das löst aber nicht das Problem. Es hat weder etwas mit Corona zu tun, noch löst es das Problem der befristeten Mittelbereitstellung für dauerhafte Ausgaben. Es ist deutlich: Weder die Mittel vom Bund noch die Mittel vom Land sind ausreichend. Es ist erforderlich, dass wesentlich mehr Geld in die Kinderbetreuung investiert wird.

(Beifall DIE LINKE)

Sehr geehrte CDU-Fraktion, dass der Bund ausschließlich befristete Programme und Anschubfinanzierung durchführen kann, wenn es um Bildungsfragen geht, hat doch in erster Linie mit Ihrer Verantwortung zu tun. Es waren gerade die CDU-Länderchefs, die sich im Rahmen der Föderalismuskommission vehement jegliche Einmischung des Bundes in Bildungsfragen verbeten haben. Wir verdanken es besonders Ihrer Partei, dass Bildungsfragen in Deutschland – dazu gehört auch die frühkindliche Bildung – ein reiner Flickenteppich sind und das Kooperationsverbot existiert. Es ist unredlich, ständig auf die Länderhoheit in der Bildung zu pochen, wenn es aber um eine angemessene Finanzierung geht, lautstark nach dem Bund zu rufen.

Meine Partei hat damals in der Föderalismuskommission vehement dafür gekämpft, dass der Bund die Möglichkeit erhält, dauerhaft in Bildungsinfrastruktur zu investieren, und ist an der Besserwisserei der CDU-Ministerpräsidenten gescheitert.

Natürlich hat der heute seitens der SPD-Fraktion vorgelegte Antrag im Kern recht. Das Land Hessen drückt sich seit Jahren vor den notwendigen Investitionen im Kita-Bereich. Die Pauschalen des Landes für die Kita-Finanzierung werden auch mit dem aktuellen Gesetzentwurf von SchwarzGrün wieder nicht dynamisiert, sodass Tarif- und Betriebskostensteigerungen weiterhin auf Kosten der Kommunen und Träger gehen oder über Kita-Beiträge an die Eltern weitergereicht werden.

Der Investitionsstau bei der Sanierung oder dem notwendigen Neubau von Kindertagesstätten ist hessenweit enorm, aber besonders eklatant in den Ballungsräumen. Es ist nur nicht so, dass die Beträge, die Sie in Ihrem Investitionsprogramm vorgesehen haben, viel zu niedrig sind, es ist auch angesichts der äußerst unterschiedlichen Bedarfe im Land tatsächlich völlig unsinnig, hier mit einer Gießkanne zu verteilen. Wir brauchten stattdessen eine vernünftige Bedarfsermittlung: Was ist denn notwendig an Mitteln, die wir in die Kitas investieren wollen? – Es ist aber klar, das wollen Sie nicht. Wenn Sie diese Zahlen sehen würden, wüssten Sie genau, dass Ihre Investitionsmittel gerade nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))

Wir wüssten, dass der Zugzwang aufseiten des Landes, mehr zu investieren, viel größer ist. Wenn man nicht weiß, welche Zahlen man zu erfüllen hat, dann tut man so, als würde das nicht existieren, und über die Kommunalen Spitzenverbände muss man dann auch nicht mehr reden.

All das geht zulasten der frühkindlichen Bildung. Aber das wissen wir schon, das wurde während der Corona-Krise besonders deutlich. Da wurden Kinderbetreuungsangebote als Letztes wiedereröffnet, nach allem anderen, was Ihnen wesentlich wichtiger ist.

Da der Antrag der SPD in der Sache vollkommen zutreffend ist, werden wir ihm natürlich auch zustimmen. Es geht uns darum, in der frühkindlichen Bildung die Grundlagen zur Bildungsgerechtigkeit zu legen und ausreichend finanzielle Mittel, beste Betreuungssituationen und den möglichst komplett kostenfreien Zugang für alle Kinder zu gewährleisten. Davon sind wir in Hessen noch sehr weit entfernt. An diesen Anforderungen muss sich die schwarzgrüne Landesregierung weiter messen lassen.

Jetzt flatterte mir heute Morgen der Antrag von SchwarzGrün auf meinen Schreibtisch, und dazu muss ich noch etwas sagen – nicht zu Ihrer unseriösen Hochrechnung, bei der Sie sich für Geld loben, das Sie vom Bund bekommen und den Kommunen weggenommen haben; nicht für Ihre Berechnungen, mit denen Sie so tun, als würden Sie viel Geld ausgeben, und hoffen, dass keiner merkt, dass diese Summe auf viele Jahre gestreckt ist. Was mich wirklich ärgert: Heute Morgen haben Sie sich mit einem Halbsatz entlarvt – es ärgert mich eigentlich nicht, es war klar –: „Viele Eltern haben noch nicht den Platz, den sie sich für ihr Kind wünschen“ – so steht es in Ihrem Antrag. Nein, viele Eltern haben noch gar keinen Platz. Viele Eltern werden vertröstet, dass ihr Kind dann vielleicht mit vier Jahren in die Kita kommt. Das ist die Realität in den Kommunen.

(Zurufe)

Vielleicht kennen Sie diese Realität nicht, aber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker müssten das eigentlich wissen, wenn sich Eltern beschweren.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Schließlich kommen mehr Kinder auf die Welt, es ziehen auch noch Menschen mit Kindern zu. Ich denke, es ist deutlich, dass die Kita-Plätze nicht ausreichen.

(Zuruf René Rock (Freie Demokraten))

Aber dieser Halbsatz „den Kita-Platz, den sie sich wünschen“, was soll das? – Ja super, wenn ich einen Arbeitsplatz habe, zu dem ich morgens um sieben auf die Arbeit fahren muss und vielleicht zwischen fünf und halb sechs nach Hause komme, dann nutzt mir ein Platz von 8 bis 12 Uhr nichts. Was soll ich damit anfangen? Damit kann ich meiner Arbeit nicht nachgehen. Wer kümmert sich denn in den restlichen sechs Stunden um das Kind bzw. vielleicht auch um die Kinder?

Es ist kein Wunder, dass die Bertelsmann-Studie vor wenigen Tagen vermeldet hat, dass Frauen im Durchschnitt ein um 45 % geringeres Lebenserwerbseinkommen als Männer haben.

(Heike Hofmann (Weiterstadt) (SPD): Hört, hört!)

Das gilt insbesondere bei Müttern, die ein um 62 % geringeres Lebenserwerbseinkommen als Männer haben.

Auch wenn es heute schon viele Paare gibt, die Erwerbstätigkeit und Familienarbeit teilen: Wenn es aber um das Einkommen geht, von dem die Familie leben muss, das haben wir gerade zu Corona-Zeiten deutlich gemerkt, müssen Frauen immer zurückstecken, weil das Geld ansonsten nicht reicht.

Auch ohne Kinder verdienen Frauen immer noch 13 % weniger, wie die Bertelsmann-Studie sagt. Mit dem mangelhaften Ausbau der Kinderbetreuung sorgen Sie dafür, dass sich dieses Gap immer weiter vergrößert. Das ist der Skandal.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))

Ich möchte noch ein Wort zur FDP sagen. Herr Rock, ich hoffe doch, dass Sie auch bei den anderen Themen, wenn es um die Unterfinanzierung der Kommunen geht, an unserer Seite stehen, so wie heute bei der Kita-Betreuung. Das würde ich mir in Zukunft wünschen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber Kindertagesstätten und die frühkindliche Bildung sind nicht nur wichtig für die Steuereinnahmen – ich hoffe, ich habe Sie falsch verstanden. Es geht wirklich um eine Bildungsaufgabe, einen Bildungsauftrag und eine Frage der Zukunft der Kinder. Ich will das nicht nur anhand von fiskalischen Erwägungen beurteilen.

Weil ich nicht daran glaube, dass sich Schwarz-Grün heute ernsthaft der Aufgabe widmen wird, die Kindertagesbetreuung, die frühkindliche Bildung tatsächlich auszubauen, brauchen wir endlich die Möglichkeit, dass dieser Föderalismuswahn beendet wird und der Bund dauerhaft die Bildung finanzieren kann.

Wir brauchen ein Kita-Qualitätsgesetz des Bundes, um wegzukommen von diesen launenhaft erfolgenden Finanzspritzen, um den Kommunen tatsächlich eine Planungssicherheit zu bieten und um, das ist ganz wesentlich, bundesweit vergleichbare Standards in der frühkindlichen Bildung durchzusetzen. In diese Richtung muss es gehen. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)