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Rede

Christiane Böhm in der Debatte um einen zweiten Lockdown

Christiane Böhm
Christiane BöhmCoronaGesundheitRegierung und Hessischer LandtagWirtschaft und Arbeit

In seiner 55. Plenarsitzung am 1. Oktober 2020 diskutierte der Hessische Landtag darüber, wie ein zweiter Lockdown in der Corona-Pandemie verhindert werden kann. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich denke, es ist ein Zeitpunkt, um festzustellen, ob das, was bisher gemacht worden ist, erfolgreich, erfolgversprechend, sinnvoll gewesen ist. Das ist ganz sicher richtig.

Aber mir geht es wie Herrn Rock; die fünf Minuten werden auf keinen Fall ausreichen. Deswegen habe ich mir einfach unsere Positionen vorgenommen, die wir im März fünf Tage nach dem Lockdown zu dem Thema „Garantien für ein solidarisches Miteinander in Zeiten der Corona-Krise“ veröffentlicht haben. Die zentralen Aussagen des Papiers möchte ich mit dem, was passiert ist, kontrastieren.

Wir haben damals gefordert, dass es Gehaltszulagen für Beschäftigte gibt, insbesondere in der Pflege, auch um Anreize zur zeitweiligen Berufsrückkehr zu schaffen. Das werden wir mit den 1.500 € nicht hinbekommen, die auch nur die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen und in der Altenpflege bekommen. Andere, die vergleichbare Tätigkeiten machen, gehen leer aus.

Sie haben ein Weiteres versäumt, und das ist das Entscheidende. Wir müssen unser Gesundheitswesen Corona-fest machen, wir müssen es überhaupt für eine gute Versorgung fest machen. Sie haben versäumt, die Arbeitsbedingungen für das Personal in den Gesundheitseinrichtungen zu verbessern.

Die Verfügbarkeit von Hygieneprodukten auch für Kitas und Schulen ließ ewig auf sich warten. Das treibt inzwischen echte Blüten, wenn Schulleitungen unter Berufung auf das Kultusministerium die Eltern anweisen, den Kindern Handtücher und Seife mit in die Schule zu geben, damit sie sich zwischendrin die Hände waschen können. Ich weiß gar nicht, ob von Seife die Viren übertragen werden können. Aber solche Blüten treibt das.

Die Kommunen waren viel zu lange auf sich selbst gestellt, wenn es um die Schutzausrüstung geht. Viele Einrichtungen haben heute noch das Problem, dass sie sich völlig überteuerte Produkte anschaffen müssen. Es gab und gibt z. B. immer noch keine Maßnahmen vonseiten des Landes, um wohnungs- und obdachlose Menschen mit grundlegenden Hygieneprodukten zu versorgen.

Arme Menschen wurden in der Krise sowieso vergessen. Sie haben keinen Aufschlag auf die Grundsicherung erhalten, obwohl vieles teurer geworden ist und die Tafeln lange genug nicht aktiv waren. Die Hilfe des Landes für die Tafeln war nur ein kleiner Schritt. Allerdings fiel dieser Teil einer Armutsstruktur in Deutschland viel zu lange aus.

(Beifall DIE LINKE)

Immerhin waren Sie in der Lage, die Macht über die Kliniken zu übernehmen. Ob es tatsächlich sinnvoll war, den Corona-Kliniken den Zugriff auf Personal und Einrichtungen anderer Kliniken zuzugestehen, ohne einen Ausgleich festzulegen, das bezweifle ich. Ich bin aber froh, dass es nicht so weit kommen musste. Ob Sie die Lehre für die Zukunft gezogen haben, dass das Gesundheitswesen und der Pflegebereich nicht länger kaputtgespart oder durch Privatisierung dem Profitstreben untergeordnet werden dürfen, daran habe ich nach der gestrigen Diskussion um die Krankenhäuser meinen immensen Zweifel.

Ich kann jetzt nicht alle Punkte aus unserem Papier durchgehen, aber noch ein paar: Das Verbot von Entlassungen und Vertragslösungen bei allen Unternehmen, die Liquiditätshilfen bekommen, gibt es nicht. Ich nenne hier nur die Lufthansa. Bei der Lohnfortzahlung für betreuende Familienangehörige hat das Ministerium geschlagene drei Monate gebraucht, bis das auf der Webseite stand. Notbetreuung gab es nur eingeschränkt.

Zu den Testungen. Nach und nach ringen Sie sich durch, Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher und Pflegekräfte in den Senioreneinrichtungen – ich glaube, das ist gerade für die alten Menschen eine ganz wichtige Frage – endlich zu testen. Aber dazu haben wir ständig nachfragen und fordern müssen. Wenn allerdings die Testergebnisse für die Lehrkräfte noch immer dauerhaft sechs bis sieben Tage brauchen, bis sie dort angekommen sind, ist eine Quarantäne überflüssig und somit auch die gesamte Aktion.

(Beifall DIE LINKE)

Immerhin wurden teilweise die Sanktionen und Leistungskürzungen beim SGB II ausgesetzt und Sozialleistungen unbürokratisch gewährt. Das könnte auch auf Dauer so bleiben. Allerdings gibt es kein Pandemie-Überbrückungsgeld für Soloselbstständige. Ich denke, gerade in diesem Bereich muss dringend etwas passieren. Es wäre doch eine gute Initiative, wenn wir ein Grundeinkommen für Kulturschaffende einführen. Das wird auch in Nicht-Pandemiezeiten gebraucht.

Dass Sie die Schuldenbremse ausgesetzt haben, dafür haben Sie bereits unsere Zustimmung bekommen. Das muss allerdings auch in Zukunft so bleiben, nicht nur um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern, sondern wir brauchen ein mittel- und langfristiges Investitionsprogramm für die Bereiche Gesundheit, Bildung, Kinderbetreuung, Wohnen, öffentlicher Nahverkehr und Energiewende. – Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE)