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Rede

Christiane Böhm - Psychisch-Kranken-Hilfe der Landesregierung ist ambitionslos und unterfinanziert

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 92. Plenarsitzung am 14. Dezember 2021 debattierte der Hessische Landtag zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz und zum Maßregelvollzugsgesetz. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! 46 Jahre nach der Psychiatrie-Enquete sind deren Forderungen noch nicht erfüllt. Um Prof. Karl Beine, Chefarzt in Hamm, zu zitieren:

Die Kernforderungen … von 1975 sind noch längst nicht alle erfüllt; weder die soziale und rechtliche Gleichstellung von psychisch Kranken mit körperlich Kranken, noch die gemeindenahe Psychiatrie und der Umbau der Psychiatrie zu einem therapeutisch rehabilitativen Versorgungssystem.

Selbiges gilt es auch über dieses Gesetz zu sagen. Das Gesetz entspricht nicht den von der Landesregierung verkündeten Ansprüchen; aber es sollte doch zumindest möglich sein, dass Sie einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem Sie Klarheit schaffen und die Rechte der Menschen mit psychischen Erkrankungen schützen. Genau das passiert heute aber nicht.

Herr Klose, Herr Bartelt, Sie haben uns in der zweiten Lesung darauf hingewiesen, dass nach dem Gesetz auch Zwangsmaßnahmen unterhalb der Fünfpunkt- und der Siebenpunktfixierung unter dem Richtervorbehalt stünden. Das könnte man zwar so, aber auch ganz anders verstehen; im Sinne des kürzlich ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs ist das sozusagen eine Auslegung, die in den Gesetzestext hineingelesen werden kann.

Einige Fragen will ich jetzt noch einmal aufwerfen, die sich gerade mit dem § 21 Abs. 1 Nr. 6 PsychKHG beschäftigen. Sie sagen, eine „sonstige Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch eine mechanische Vorrichtung“ sei eine zulässige besondere Sicherungsmaßnahme. Was ist eine „sonstige Einschränkung“? Dazu gibt es in der Begründung kaum Erläuterungen. Erläuterungen gibt es nur zu Maßnahmen unterhalb der Aufhebung der Bewegungsfreiheit. Deutlich wird aber, dass eine Aufhebung der Bewegungsfreiheit durch Medikamente nicht mit gemeint ist, dass also die Medikamentierung von Menschen bis zur Bewegungsunfähigkeit nicht unter den Richtervorbehalt fällt.

Es ist außerdem von einem „längeren Zeitraum“ und von „regelmäßig“ die Rede. Wie lang ist ein „längerer Zeitraum“? Das ist völlig unklar. Heißt das, dass der Richter erst nach ein paar Stunden eine Begutachtung vornehmen muss? Was bedeutet „regelmäßig“? – Sie arbeiten mit völlig unbestimmten Rechtsbegriffen, ohne Rechtssystematik, was dazu führen wird, dass Ärztinnen und Ärzte keinen Antrag auf Genehmigung stellen werden, Richterinnen und Richter keine klare Rechtsgrundlage für ihre Entscheidungen haben und Patientinnen und Patienten nicht beurteilen können, ob die an ihnen vorgenommenen Maßnahmen tatsächlich rechtmäßig waren. Ein Gesetz sollte Klarheit schaffen. Das bietet Ihre Vorlage nicht; sie verschärft die Unklarheit und schafft zusätzliche Unklarheiten.

(Beifall DIE LINKE)

Der Gesetzentwurf ist völlig unambitioniert. Ich habe in der zweiten Lesung über die Entwicklungen in Dänemark gesprochen. Dort werden siebenmal weniger psychiatrische Betten und sechsmal weniger forensische Betten zur Verfügung gestellt, als wir in Hessen haben. Allerdings sind die Kliniken in Dänemark wesentlich besser und großzügiger ausgestattet. Es handelt sich also nicht um eine Sparmaßnahme, sondern um eine Abkehr von der Hospitalisierung von Menschen mit seelischen Erkrankungen. Das Ziel der dänischen Regierung ist es, die Zahl der Zwangsund Akutmedizin- bzw. Notfallmaßnahmen um 50 % zu reduzieren. Ich merke an, dass die Zahl der Zwangsmaßnahmen dort schon jetzt wesentlich geringer ist als bei uns.

Allerdings ist Hessen nicht einmal in der Lage, festzustellen, wie viele Zwangsmaßnahmen überhaupt vorgenommen wurden. Seit 2017, als das Gesetz verabschiedet wurde, ist das Land nicht in der Lage, den Kliniken eine Vorgabe zur Erfassung der Maßnahmen an die Hand zu geben. Wir haben nur eine Zahl aus einem Monat des Jahres 2018: Damals kam es zu 519 Fixierungsfällen. Demgegenüber nehmen sich die 40 Fälle pro Jahr in der dänischen Klinik sehr bescheiden aus.

Hier sind wirklich größere Schritte erforderlich, um der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Recht der Betroffenen auf Selbstbestimmung zu entsprechen. Es braucht ambitioniertere Ziele, um die ambulanten und stationären Einrichtungen zu unterstützen, die Kompetenzen der Psychiatrieerfahrenen zu nutzen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die ambulante Versorgung, die ja nur zum Teil über niedergelassene Ärzte erfolgen kann, überall und zu jeder Zeit erreichbar ist.

Alles, was mit der ambulanten Versorgung zusammenhängt, stellen Sie locker in die Zuständigkeit der Kommunen. Sie sehen keinen Bedarf, die 40 Cent pro Einwohnerin und Einwohner für sozialpsychiatrische Dienste aufzustocken, obwohl selbst dann, wenn nur ein Minimum der Anforderungen erfüllt wird, damit nur ein Drittel der Aufwendungen finanziert wird. Da sind die Aufgaben nach diesem Gesetz – davon abgesehen, dass es nicht einmal ein Konzept für die Krisendienste gibt – noch nicht einmal eingerechnet. Das geht letztendlich auf Kosten der Menschen, die Hilfe und Unterstützung benötigen, obwohl nach den Forderungen der Psychiatrie-Enquete psychisch wie somatisch Erkrankte diese Hilfen bekommen sollen.

Da der Gesetzentwurf zu den ausgeführten Punkten weder rechtlich haltbar noch hilfreich ist, hat DIE LINKE davon abgesehen, einen Änderungsantrag vorzulegen. Bei einem so schlechten Gesetzentwurf kann man keine Änderungen vorschlagen. Wir haben vor, im nächsten Jahr einen völlig neuen Gesetzentwurf einzubringen, der die Fehler und Leerstellen dieses Gesetzes heilt.

(Beifall DIE LINKE)