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Rede

Christiane Böhm zum Haushalt 2020 im Bereich Soziales

Christiane Böhm
Christiane BöhmHaushalt und FinanzenSoziales

In seiner 31. Plenarsitzung am 29. Januar 2020 diskutierte der Hessische Landtag ausführlich den Landeshaushalt für das Jahr 2020. Hier die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm für den Teilbereich der Sozialpolitik

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich glaube, diese Art, die Debatte zu führen, die immer mehr zur Ermüdung der Teilnehmenden führt, entspricht nicht der Bedeutung eines Sozialhaushalts, der die Gesundheitsversorgung und die Integration beinhaltet.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf AfD: Was war denn Ihre Rede?)

Wir haben gestern von dem Kollegen Jan Schalauske deutlich gehört, dass wir eine Spaltung der Bevölkerung in Arm und Reich haben. Die Schere geht immer weiter auseinander. Wir haben deutlich gehört, dass die Armut auch in Hessen – in diesem reichen Hessen – steigt, dass Hessen über dem Durchschnitt der anderen Bundesländer liegt. Ich denke, das sind Gründe genug, in einem Sozialhaushalt zumindest das abzufedern – wenn man es nicht woanders regeln kann; eigentlich wären hier die Wirtschaftspolitik und die Wohnungspolitik gefragt –, was in dieser Gesellschaft kaputt- und auseinandergeht. Dazu brauchen wir Maßnahmen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Kollegin Wissler hat heute etwas zum Thema Erwerbsarmut gesagt. Es gibt immer mehr Beschäftigte im Niedriglohnbereich. Wir sollten nicht den Wirtschaftshaushalt, den Wirtschaftsbereich loben, sondern eher sehen, wie schwierig es für Menschen heute ist, ihren Lebensunterhalt zu organisieren und sicherzustellen.

Über Altersarmut werden wir morgen sprechen. Bei Kinderarmut haben wir völlige Fehlanzeige in diesem Haushalt. Ich finde nichts dazu.

Der soziale Ausgleich fehlt in diesem Landeshaushalt. Stattdessen wird von Frau Ravensburg das Ehrenamt gelobt. Klar, ich lobe auch das Ehrenamt. Ich freue mich darüber, wenn Menschen ehrenamtlich tätig sind.

(Zuruf CDU: Das glaubt nur keiner!)

Aber das ist doch kein Ersatz für Politik, Leute. Es kann doch nicht wahr sein, dass die Ehrenamtlichen das ausbaden müssen, was die Politik versäumt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ich finde, da missbrauchen wir das Ehrenamt, den Großmut und das Engagement von Ehrenamtlichen. Es ist zwar schön, wenn Sie auch den Tafeln etwas zukommen lassen wollen; aber es ist schlimm genug, dass wir die Tafeln brauchen. Sozialpolitik hat doch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es keine Tafeln mehr gibt, dass sie nicht mehr notwendig sind.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich will mich jetzt noch mit drei Themen beschäftigen, die wir aus dem Sozialhaushalt herausgeholt haben, die uns besonders wichtig sind, bei denen wir eine besondere Diskrepanz zu Ihren Ankündigungen sehen, aber auch zu dem, was Sie tun.

Es geht um die Frage der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Ich habe gewettet, dass die Istanbul-Konvention in Ihrem Haushaltsplan auftaucht, und habe gewonnen, weil ich wusste, dass Sie in der Lage sind, schöne Etiketten an wenig erfolgreiche Politik zu hängen. Dem Etikett folgt aber nicht mal das Notwendige. Es gibt weder eine Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Konvention, die im Übrigen notwendig und verpflichtend ist, noch gibt es Geld für die Investition in neue Frauenhäuser. Da wartet man auf Geld vom Bund. Sehr viele Kommunen aber sehen, auch bei mir im Kreis Groß-Gerau, wie notwendig es ist, neue Frauenhäuser zu bauen. Denn wir haben mehr Bedrohungen, das Problem nimmt weiter zu.

Wir brauchen 300 neue Plätze in Hessen. – Ja, wo wollen Sie die denn herholen? Wo soll denn die entsprechende Barrierefreiheit herkommen? Wo wollen Sie das im Haushalt darstellen? Wie soll denn mit dem wenigen Geld, das Sie da zur Verfügung stellen, die Prävention stattfinden?

Wir brauchen flächendeckende Beratungseinrichtungen gegen sexualisierte, gegen häusliche Gewalt und gegen Gewalt gegen Frauen. Dazu gehören natürlich auch Maßnahmen gegen digitale Gewalt. Wir brauchen die Übernahme von Dolmetscherkosten, und wir brauchen den flächendeckenden Ausbau der medizinischen Soforthilfe nach Vergewaltigung. Davon ist zwar immer mal wieder die Rede, allein, es mangelt an der finanziellen Ausstattung. Hier wäre es notwendig, wirklich nachzusteuern.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer (SPD))

Das zweite Thema, das ich aus dem Haushalt herausgreifen möchte, ist die gesundheitliche Versorgung. Gut, Sie sind nicht in der Lage, eine Planung auf den Weg zu bringen, obwohl der Landeskrankenhausrahmenplan alle fünf Jahre neu aufgelegt werden sollte – der jetzige ist von 2009 und sieht überhaupt keine Planungen vor. Dies führt dazu, dass innerhalb von acht Jahren 25 % der Geburtshilfestationen geschlossen wurden, obwohl deutlich mehr Kinder geboren werden. – Jetzt merkt man das. In Frankfurt findet mehr als die Hälfte der Gebärenden keine Hebamme mehr für die Nachsorge. Das ist ein Skandal, der aus 20 Jahren CDURegierung resultiert, die sich dafür als völlig unzuständig erklärt hat. Es ist leider so, dass sich nach einem Jahr grüner Sozialministerei und sechs Jahren grüner Sozialbeteiligung nichts daran zu ändern scheint.

Für Kliniken mit finanziellen Problemen hat die Landesregierung nur eine Abwrackprämie im Angebot. Wenn der jetzige Sozialminister nur die Sprechblase seines Vorgängers wiederholt, dass nicht die Landesregierung, sondern der Träger die Kliniken schließe, dann ist das gegenüber den Kliniken, die heute vor großen Herausforderungen wie der Digitalisierung oder der Unterfinanzierung stehen, eine riesige Unverschämtheit. Genauso wurde das auch von den Betroffenen gewertet – falls Sie sich am Montag die Diskussion im hr zu Wolfhagen angeschaut haben.

(Beifall DIE LINKE)

Es wird Zeit, dass das Land tatsächlich für die Investitionskosten der Kliniken aufkommt und das nicht nur Schrittchen für Schrittchen macht. Das Gutachten zur Hebammenversorgung ist eine schöne Sache; aber man muss auch Geld für die Umsetzung einplanen.

(Michael Boddenberg (CDU): Wollen Sie das aus der Vermögensteuer bezahlen?)

Unser Haushaltsantrag wird sich damit beschäftigen.

Wenn man den runden Tisch nun so wertschätzt, aber für die Umsetzung kein Geld zur Verfügung steht, dann ist das eine reine Verhohnepipelung. Wir müssen dafür sorgen – hier ist die Landesregierung tatsächlich auch aufgefordert –, dass Frauen ihre Kinder nicht im Auto oder mithilfe der Feuerwehr auf die Welt bringen müssen, so wie ich es gestern auch schon erwähnt habe.

(Beifall DIE LINKE)

Dass es an Aufsicht, an Ausstattung und vielerorts auch an einer kritischen Diskussion in der Psychiatrie mangelt, ist im letzten Jahr deutlich geworden. Es ist Unsinn, immer mehr Geld in forensische Kliniken zu stecken – wo die Tagessätze natürlich ganz toll sind; andere würden sich die Finger danach lecken –, aber kein Geld für die Prävention von Krisen und die Krisenintervention zur Verfügung zu stellen. Wir brauchen in Hessen ein flächendeckendes Krisensystem, das der Unterstützung und der Anschubfinanzierung des Landes bedarf. Da sollte es eine klare Rahmenplanung vonseiten des Landes geben, die regional umgesetzt wird. Das muss ein echtes Krisensystem sein, sodass Menschen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche auch die Möglichkeit haben, sich in einer psychischen Krise dorthin zu wenden und dort kurzfristig zu übernachten und zu wohnen. Allerdings ist der Haushaltsansatz dazu ein Trauerspiel. Wir fordern die Landesregierung auf, endlich einmal „ambulant vor stationär“ wahr zu machen und die Menschen in psychischen Notsituationen tatsächlich zu unterstützen.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer (SPD))

Das dritte Thema, mit dem ich mich beschäftigen möchte, ist die frühkindliche Bildung. Wir haben gestern gehört, dass das Bundesprogramm „Fachkräfteoffensive“ eingestellt werden soll. Hier ist es ganz besonders wichtig, dass in Hessen nachgesteuert wird. Bis 2025 werden 300.000 ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher fehlen, wenn die Ausbildungsquoten nicht signifikant erhöht werden. Vor diesem Hintergrund sind die zusätzlichen 200 praxisintegrierten Ausbildungsstellen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir wollen, dass es mindestens 800 sind. Das wäre ein Zeichen für einen deutlichen Fachkräfteaufwuchs, und mindestens das wäre notwendig.

(Beifall DIE LINKE)

Zugleich ist es wichtig und notwendig, nicht nur in die Ausbildung zu investieren, sondern auch Fachkräfte in den Einrichtungen zu halten. Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt, dass ein Viertel der Berufseinsteiger und -einsteigerinnen innerhalb der ersten fünf Jahre den Arbeitsplatz Kita wieder verlässt. Dem sollte mit einer fachgerechten Anleitungspraxis entsprochen werden. Auch da ist der Ansatz der Landesregierung wesentlich zu gering und müsste eher verdoppelt werden, sodass es tatsächlich möglich wird, dass die Berufseinsteiger und -einsteigerinnen eine gute Ausbildung erfahren und hinterher eine gute Arbeitspraxis erleben können.

Viel Geld in eine Werbe- und Imagekampagne zu stecken, ist ohnehin nicht unser Ansatz. Hier sollte eher die Qualifizierung der Fachanleitungen entwickelt und verstärkt werden. Ich denke, das sind Maßnahmen, die einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung des Mangels an Erziehern und Erzieherinnen leisten würden. Hier erwarten wir von der Landesregierung einen ernsthaften Beitrag für die frühkindliche Bildung. Sich nur für Geld zu loben, das man den Kommunen vorher weggenommen hat, ist sowieso die unterste Schublade.

(Beifall DIE LINKE)

Es gäbe noch vieles zu dem Einzelplan zu sagen. Einiges wird Ihnen meine Kollegin Saadet Sönmez darstellen.

Trotz des einen oder anderen guten Ansatzes erfüllt dieser Haushaltsplan weder die realen Anforderungen noch seine eigenen Versprechungen, wenn Herr Bocklet sagt: Ja, das Sozialbudget wächst. – Wir wissen, warum es das Sozialbudget gibt. Ich erinnere noch einmal daran; einige haben vielleicht nicht so ein langes Gedächtnis: Es ist im Prinzip der Ersatz für die „Operation düstere Zukunft“. Ich weiß nicht, in wie vielen Einrichtungen ich war, wo mir die Leute heute noch sagen, dass sie immer noch an den Folgen der „Operation düstere Zukunft“ von Roland Koch zu knapsen haben. Diese Folgen sind immer noch nicht ausgeglichen. Ich glaube, da müssten Sie noch eine Menge auf das Sozialbudget drauflegen.

(Beifall DIE LINKE, Heike Hofmann (Weiterstadt) und Dr. Daniela Sommer (SPD))

Es fehlen viele andere Dinge, wie z. B. das Taubblindengeld. Die Ombudsstelle für Kinderrechte wird immer noch nicht vom Land finanziert, die Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit sind zahnlos. Es gibt weder einen Ausbau öffentlicher Beschäftigung noch eine unabhängige Erwerbslosenberatung. Aber genau dazu werden wir die notwendigen Anträge stellen. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)