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Rede

Christiane Böhm zur Arbeit und Behandlung in Psychatrien

Christiane Böhm zur Arbeit und Behandlung in Psychatrien

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheit

In seiner 29. Plenarsitzung am 13.12.2019 diskutierte der Hessische Landtag auf unseren Antrag über die Arbeit und Behandlung in Psychatrien. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich hoffe, Sie sind heute Morgen alle wach. Das Thema Psychiatrie hat uns in diesem Jahr sehr beschäftigt, mehr, als ich gedacht habe. Aber ich denke, es gibt auch eine ganz hohe Frustration bei den Betroffenen, insbesondere bei den Menschen, die krank sind und in den psychiatrischen Einrichtungen Hilfe suchen. Diese Erfahrungen kann ich gut nachvollziehen.

Mich hat es sehr erschreckt, als ich gehört habe, wie viele Fixierungen allein in der Uniklinik Frankfurt stattgefunden haben. Es waren 503 Fixierungen in eineinhalb Jahren bei 156 Patienten und Patientinnen. Wir sind sehr gespannt auf die schon seit einem Jahr andauernden Auswertungen zu den Fixierungen und zum PsychKHG und hoffen, dass sie uns bald vonseiten der Landesregierung vorliegen, dass es nicht lange dauert, bis die Zahlen schöngerechnet sind, und dass das auch nicht passiert wie bei dem Bericht der Besuchskommission zum Maßregelvollzug; denn den bekommen wir überhaupt nicht mehr.

Schauen wir uns aber auch einmal die Beschäftigten an. Informationen gibt uns dazu das Versorgungsbarometer von ver.di. Ich habe darüber schon einmal geredet, aber ich möchte es Ihnen in Erinnerung rufen. Drei von vier Beschäftigten haben in den letzten vier Wochen vor der Befragung mindestens eine Zwangsmaßnahme erlebt. Jeder Fünfte erlebt das in praktisch jedem Dienst. Ungefähr 60 % sagen, diese Fixierungen könnten mit mehr Personaleinsatz vermieden werden. Drei Viertel sagen, mit dieser Belastung werden sie nicht bis zur Rente in dem Beruf bleiben können. – Hier müssen die Rahmenbedingungen in der Psychiatrie dringend verändert werden; sonst werden Sie überhaupt kein Personal mehr finden.

(Beifall DIE LINKE)

Leider ist die Richtlinie über die personelle Ausstattung der stationären Einrichtungen für Psychiatrie und Psychosomatik des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht geeignet, die vorhandenen Probleme zu lösen. Gerade gestern haben die Kolleginnen und Kollegen einer ganzen Klinik, der Psychiatrie in Schlüchtern, gegen diese Richtlinie demonstriert; denn sie sagen: Sie bringt uns nur mehr Bürokratie und keine Hilfe in unserer schwierigen Situation. Hier ist wirklich die Landesregierung gefordert, auf den Bundesgesundheitsminister Druck auszuüben, damit er diese Richtlinie nicht unterschreibt, damit er weiter verhandelt und für eine gute Versorgung in der Psychiatrie sorgt.

(Beifall DIE LINKE)

Aber wesentlich ist für uns – und das ist der Bereich, in dem die Hessische Landesregierung tätig werden muss – der Aufbau der sinnvollen ambulanten Infrastruktur von Krisendiensten. Krisendienste verhindern stationäre Aufenthalte. Sie verhindern Gewalttaten und Kurzschlusshandlungen, Familienkonflikte und vieles mehr. Wir haben uns auch beim Caritasverband in Darmstadt über das äußerst erfolgreiche und sinnvolle Konzept der Krisenberatung und Krisenintervention informiert.

Es gibt durchaus Ideen für die Struktur eines Krisendienstes für ganz Hessen. Regionale Krisendienstkoordinierungsstellen sollen täglich 24 Stunden geöffnet sein und mit geschulten psychiatrischen Fachkräften besetzt werden. Das Team sollte auf der fachlichen Grundlage des Open Dialogue arbeiten, d. h. dass systemisch gearbeitet wird und alle Bezugspersonen in die Krisenbewältigung mit einbezogen werden. An diese Koordinierungsstelle können sich Menschen in seelischer Not, aber auch ihre Angehörigen, Betreuerinnen und Betreuer, Ärztinnen und Ärzte, Fachstellen, Polizei, Rettungsdienste wenden. Alle möglichen Personen können sich dorthin wenden und Hilfe bekommen. Die Koordinierungsstelle kann beraten und weitervermitteln, sie kann ambulante Krisenbehandlungen mit mobilen Einsätzen vor Ort leisten, und sie kann eine Krisenpension vorhalten für Menschen, die nicht im unmittelbaren häuslichen Umfeld bleiben können.

Wenn jetzt eingewandt wird, dass das Land solche Einrichtungen nicht finanzieren kann, dass das alles wieder viel zu teuer ist, dann sage ich Ihnen: Zuerst einmal sind die Krankenkassen daran interessiert, in ambulante Kriseneinrichtungen zu investieren, um nicht die wesentlich teureren stationären Behandlungen bezahlen zu müssen, die dann aufgrund der längeren Anlaufzeit auch häufig zur Chronifizierung der Erkrankung führen. Aber auch Unternehmen haben das Interesse, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seelische Krisen schneller überwinden können. Zum Zweiten gibt es auch Möglichkeiten, innerhalb dieses Haushalts Umstrukturierungen vorzunehmen. Mehr Prävention führt zu weniger geschlossenen Einrichtungen.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abg. Böhm, Sie müssten zum Schluss kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ja. – Es wäre nicht nur gut für die Landesfinanzen, sondern ganz besonders für die Betroffenen wäre dies ein echter Fortschritt. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)