Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Christiane Böhm zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung in Hessen

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheit

n seiner 33. Plenarsitzung am 18. Februar 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Der letzte Redebeitrag, der Beitrag von Herrn Dr. Bartelt, hat mich etwas zuversichtlicher gemacht, dass die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen dieses Thema tatsächlich ernst nehmen und angehen. Beim Redebeitrag davor habe ich mir gedacht: Jetzt weiß ich endlich, wie der hessische Weg geht: Wir warten mal ab, wir schauen mal, wie viele Landärztinnen und Landärzte noch abspringen, und dann sehen wir, was wir machen. – Es ist schön, dass Sie durchaus bereit sind, auf diesem Weg aktiv zu werden; denn das ist dringend erforderlich.

Die Hausärztinnen und Hausärzte werden gebraucht; das haben jetzt schon viele Redner hier gesagt. Wir alle machen die Erfahrung – insbesondere im ländlichen Raum –, dass Ärztinnen und Ärzte in Rente gehen. Es sind gerade einmal 4.000 Ärztinnen und Ärzte in Hessen in der Grundversorgung tätig, und jeder Zehnte sucht aktuell oder schon seit längerer Zeit eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger. Wir brauchen nicht über die 300 schon vakanten Arztsitze zu sprechen, die vorhin genannt worden sind. Das Thema steht uns allen sehr deutlich vor Augen, und die Lage ist prekär.

(Beifall DIE LINKE)

Ich denke, das weiß jeder aus seinem eigenen Wahlkreis. Ich habe mir das bei mir im Kreis Groß-Gerau angeschaut. Da gibt es Kommunen, in denen nur die Hälfte der Hausarztsitze besetzt ist, und es ist auch sehr schwierig, die Hausärztinnen und Hausärzte im Nachbarort aufzusuchen, da viele gar keine Patientinnen und Patienten mehr aufnehmen.

Außerdem muss eine Arztpraxis innerhalb kurzer Zeit erreichbar sein. Man kann zwar in einen Nachbarort fahren, aber man kann mit einem kranken Kind nicht eineinhalb Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein, wie es den Menschen im Odenwald zugemutet wird. Das kann man weder den Eltern noch dem Kind, noch den Mitfahrenden zumuten.

(Beifall DIE LINKE)

Uns fehlen Ärzte für die Grundversorgung, Hausärzte, Kinderärzte, aber es fehlen auch viele andere Ärzte, z. B. Psychiater und Psychotherapeuten. Der Mangel trifft ganz besonders die Menschen, die in prekären Verhältnissen leben. Wir brauchen eine Gesundheitsversorgung, die tatsächlich allen in Deutschland lebenden Menschen zugutekommt.

Um die allgemeinmedizinische Versorgung auf dem Land zu verbessern, schlagen wir Folgendes vor.

Erstens. Die Zahl der Medizinstudienplätze in Hessen muss erhöht werden. In Hessen gibt es 1,4 Medizinstudierende auf 1.000 Einwohner. Es müsste aber eine Quote von 1,5 bis 1,6 sein. Hier besteht ein deutlicher Handlungsbedarf bei der Landesregierung. Es reicht nicht, Teilstudienplätze in volle Studienplätze umzuwandeln. Das ist völlig unzureichend. Hier muss auf jeden Fall gehandelt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Zweitens. Die zusätzlichen Studienplätze sollten für Anwärterinnen und Anwärter bereitgestellt werden, die bereit sind, in nicht urbanen Gebieten tätig zu werden. Ihnen allerdings mit einer Strafe in Höhe von 250.000 € zu drohen, ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll. Ich finde das ein bisschen übertrieben, insbesondere deshalb, weil die Medizinstudierenden noch weit weg davon sind, Ärztin bzw. Arzt zu sein, noch gar nicht wissen, wo es hingeht und wo es langgeht. Ein Medizinstudium dauert sehr lang, ist sehr teuer und wird nur für wenige junge Menschen infrage kommen, deren Eltern ein geringes Einkommen haben. Das ist ganz eindeutig ein Studium für Kinder aus reichen Familien, und ein Stipendium in Verbindung mit einer künftigen Landarzttätigkeit zu vergeben, sehe ich als durchaus überlegenswert und sinnvoll an.

Drittens. Die Allgemeinmedizin muss an den Universitäten viel höher bewertet werden. Allgemeinmedizin muss Pflichtfach werden, damit Studierende mit diesem Fach im Studium überhaupt zu tun haben und es als wesentliche Grundlage der Gesundheitsversorgung aufgewertet wird. Ich denke, man könnte schon im Studium viele Weichen stellen, um die Allgemeinmedizin aufzuwerten.

Viertens. Die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin muss verbessert werden. Es muss mehr Praxen geben, in denen eine Weiterbildung überhaupt stattfinden kann. Die Praxen zu fördern, die sich dieser Aufgabe unterwerfen, ist eine gute Sache. Ihre Förderung seitens des Landes sollte weiter ausgebaut werden.

(Beifall DIE LINKE)

Fünftens. Jüngere Ärztinnen und Ärzte wünschen sich eine Arbeitsstelle, auf der sie gerade in den ersten Berufsjahren Kolleginnen und Kollegen an ihrer Seite haben. Sie haben oft genug nicht die Möglichkeit, das finanzielle Risiko einer Praxisübernahme zu tragen. Außerdem wünschen sie sich klare Arbeitszeiten. Das Berufsbild ist in einem Veränderungsprozess. Auch deshalb ist die Stärkung des ländlichen Raums in dem Zusammenhang sehr wichtig. Wer möchte denn auf das Land ziehen, wenn es dort keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, wenn man seine Kinder mit dem Auto überallhin fahren muss, weil kein Bus fährt, wenn es keine Arbeit für die Angehörigen gibt – auch die wollen vielleicht arbeiten –, wenn nicht mehr Schulen aller Zweige vorhanden sind, wenn es an Kita-Plätzen fehlt, wenn Krankenhäuser fehlen, wenn es an Kulturangeboten fehlt? Wer möchte dann auf das Land ziehen, liebe Leute? – Das macht die Notwendigkeit der Stärkung des ländlichen Raums doch sehr deutlich; denn sonst werden wir keine Ärztinnen und Ärzte gewinnen – aber auch sonst keine Menschen, die im ländlichen Raum wohnen wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Sechstens. Gesundheitszentren und medizinische Versorgungszentren können Ärztinnen und Ärzte im Angestelltenverhältnis beschäftigen. Dies ist aufgrund der Kollegialität eine befriedigendere Art, zu arbeiten. Ärztenetzwerke sind zu fördern.

Siebtens. Auch die sprechende Medizin ist wichtig. Es gibt zwar nie einen Mangel an radiologischen Praxen, aber stets an Allgemeinarztpraxen.

Achtens. Ärztinnen und Ärzte sollten für den Beruf zurückgewonnen werden. Mehr als 20 % von ihnen sind in anderen Bereichen tätig.

Allgemein gesprochen, haben wir die Situation, dass die gesundheitliche Versorgung in diesem Land seit einigen Jahren an die Wand gefahren wird. Seit es möglich ist, mit der Gesundheitsversorgung richtig Geld zu machen, drängt auch im ambulanten Bereich die profitorientierten Gesundheitswirtschaft auf einen Markt, der eigentlich kein Markt sein dürfte. Gesundheitseinrichtungen sind nämlich dazu da, Menschen gesund zu machen und mit dem Geld der Versicherten wirtschaftlich umzugehen. Sie sind aber nicht dafür da, für private Konzerne Profite zu erwirtschaften.

(Beifall DIE LINKE)

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin, ich bedauere es sehr, aber Ihre Redezeit ist jetzt um.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich komme zum Ende. – Deshalb darf es keine medizinischen Versorgungszentren in den Händen der Gesundheitskonzerne geben.

Wir werden in der Anhörung und in der weiteren Beratung beurteilen, ob der Ansatz im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion hilfreich ist. Wir sehen aber auch eine ganze Reihe weiterer Baustellen.

(Beifall DIE LINKE)