Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Das ist ein Paragraf, der aus der Zeit des Faschismus stammt, als den Frauen noch keinerlei Selbstbestimmungsrecht zugestanden wurde"

Christiane Böhm
Christiane BöhmFrauenGesundheit

Ersatzlose Streichung des § 219a StGB (Dringlicher Antrag der Fraktion DIE LINKE, Ds. 20/126)

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Gestern hat sich zum 100. Mal das Zusammentreten der Weimarer Nationalversammlung gejährt. Es war das erste Mal, dass in Deutschland Frauen im Parlament waren. Schon damals hat das Thema „Selbstbestimmungsrecht von Frauen“ eine wichtige Rolle gespielt. Nun habe ich eine Frage an Sie. Wer hat gesagt: „Die SPD Frauen können dem niemals zustimmen“? Das war die Bundesvorsitzende der ASF, der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Was meinte sie damit? – Sie meinte damit im letzten Dezember den neu gefassten Kompromiss, der zwischen CDU und SPD getroffen wurde. Die SPD wollte eigentlich den § 219a StGB abschaffen, über den wir jetzt schon so lange diskutieren. Das ist ein Paragraf, der aus der Zeit des Faschismus stammt, als den Frauen noch keinerlei Selbstbestimmungsrecht zugestanden wurde. Aufgrund dieses Paragrafen standen in den letzten Monaten drei hessische Frauenärztinnen vor Gericht. Sie haben Frauen darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, so, wie sie auch andere medizinische Leistungen anbieten. Dafür wurden sie von sogenannten Lebensschützern angezeigt.

Der Kompromiss, der in einem Referentenentwurf formuliert war und gestern vom Kabinett beschlossen wurde, ermöglicht weiterhin nur diese Information. Die Frauenärztin und der Frauenarzt dürfen auf der Website nicht darüber informieren, mit welcher Methode der Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden kann, welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind, was frau vorher tun muss und welche Kosten auf die Frauen zukommen. Darüber zu informieren soll lediglich den offiziellen Stellen, den Ärztekammern usw., vorbehalten bleiben.Das ist ein Grund, warum dieser Kompromiss sehr schlecht ist.

(Beifall DIE LINKE)

Ärztinnen können weiterhin belangt werden, wenn sie informieren. Was passiert denn, wenn die Gießener Frauenärztin z. B. einen Fachartikel zu dem Thema Schwangerschaftsabbruch veröffentlicht? Gilt das dann auch als Werbung?

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Genau!)

Wie kann man nur auf die Idee kommen, dass man für Schwangerschaftsabbrüche werben kann? Sie haben wohl die Vorstellung, dass die Städtereklame hier demnächst große Tafeln aufstellen lassen wird, auf denen die Leistung angepriesen werden soll. Wen sollte denn eine solche Werbung erreichen? Die Frauen, die in einer Zwangssituation sind, weil sie ungewollt schwanger wurden? – Eine Frau in dieser Krisensituation braucht Unterstützung. Sie braucht Informationen. Sie braucht eine sichere Begleitung und Beratung.

(Beifall DIE LINKE)

Vieles davon können die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen sicherlich abdecken; sie können aber keine medizinische Beratung durchführen. Sie können auch keine Ärztinnen und Ärzte gewinnen, die die Abbrüche vornehmen. Das werden auch immer weniger. Gerade aufgrund der Aktivitäten von sogenannten Lebenschützern und dieses § 219a sind viele inzwischen nicht mehr bereit und trauen sich nicht mehr, darüber zu sprechen, dass sie diese Leistung erbringen können. Beispielsweise gibt es in Gießen nur noch eine Ärztin, die  das macht. Es gibt auch Ärzte, die sich für die Frauen und das Schicksal von Frauen so verantwortlich fühlen, dass sie mit 70  Jahren noch nicht in Rente gehen, weil sie wissen, dass es keine Nachfolgerin und keinen Nachfolger gibt – vielen Dank diesen Ärztinnen und Ärzten. Vielen Dank diesen Ärztinnen, die sich getraut haben und vor Gericht gezerrt wurden. Diesen gilt unsere Anerkennung, weil sie für uns alle diese schwierige und für sie auch teure Auseinandersetzung führen.

(Beifall DIE LINKE)

Das Land Hessen hat einen Versorgungsauftrag. Es muss sicherstellen, dass es vor Ort genügend Ärztinnen und Ärzte gibt, die den Eingriff vornehmen können. Ich bin auch gespannt, wie die Landesregierung aktiv wird, insbesondere ob sie es den Frauen ermöglichen wird, diskriminierungsfrei in eine Beratungsstelle gehen zu können. Es muss auch Teil der Ausbildung sein, weil es ja wichtig ist, dass diese Ärztinnen und Ärzte gut ausgebildet sind; und daher reicht eine Vorlesung in Ethik wahrlich nicht. Der § 219a steht aber auch für ein antiquiertes und überkommenes Frauenbild. Wie vorhin gesagt: Inzwischen befinden wir uns im 100. Jahr des Frauenwahlrechts. Frauen sind nicht mehr das Anhängsel von Männern – von Männern, die in ihrer Mehrheit in Parlamenten festlegen, wie Frauenleben aussehen sollen.

(Vizepräsidentin Heike Hofmann: Frau Böhm, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist abgelaufen)

Genau. – Frauen sollen dann Kinder bekommen, wenn sie es richtig finden. Deswegen finde ich: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Der § 219a muss dringend abgeschafft werden.

Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)