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Rede

Janine Wissler - Innenminister Beuth, treten sich endlich zurück!

Janine WisslerAntifaschismusInnenpolitik

Auf unseren Antrag hin diskutierte der Hessische Landtag in seiner 78. Plenarsitzung am 17. Juni 2021 über den hessischen Polizeiskandal und das SEK in Frankfurt. Dazu die rede unserer Vorsitzenden Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der letzten Woche wurde bekannt, dass das Frankfurter SEK aufgelöst wird, weil gegen 17 Beamte strafrechtlich ermittelt wird, die sich in rechten Chatgruppen ausgetauscht haben. Nach der Begehung der Diensträume wurde sogar entschieden, dass das SEK komplett umziehen muss, weil der in den bisherigen Räumen – Zitat – „zur Schau gestellte Korpsgeist“ einem Neuanfang widerspreche. Offenbar war die Aufmachung so martialisch und gewaltverherrlichend.

Nun mussten wir diese Woche in einer Sitzung des Innenausschusses erfahren, dass die Dimension dieses Skandals noch deutlich größer ist. 49 hessische Polizisten beteiligten sich an rechten Chatgruppen, darunter waren 36 Beamte des Frankfurter SEK, aber eben auch Angehörige mehrerer Polizeipräsidien, der Polizeiakademie, des Landeskriminalamts, der Bereitschaftspolizei und des Landespolizeipräsidiums. Das ist eine Abteilung des Innenministeriums.

Herausgekommen ist das alles nur durch Zufall, und zwar durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mainz gegen einen Polizisten wegen des Vorwurfs der Kinderpornografie. Das macht fassungslos.

Wir müssen davon ausgehen, dass es ein rechtes Netzwerk innerhalb der Polizei gibt. Das muss endlich Konsequenzen haben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Denn es sind keine Einzelfälle, wie Innenminister Beuth noch letztes Jahr behauptete, als er seine Studie zur Polizei vorstellte. Ich will nur einige dieser vermeintlichen Einzelfälle der letzten Jahre nennen.

Polizisten des 1. Reviers in Frankfurt chatten in einer rechtsradikalen Gruppe. Ein Mitglied dieser Gruppe fragt illegal Daten von Seda Başay-Yıldız ab, die kurz darauf Morddrohungen erhält.

Bei einer Hausdurchsuchung stellt man fest, dass ein Polizeibeamter ein privates Hitler-Museum eingerichtet hat und Waffen hortet.

An der Polizeistation Schlüchtern hissen Polizeibeamte die Fahnen am Holocaust-Gedenktag falsch herum – ein klares Reichsbürgersymbol.

Und durch Zufall wird entdeckt, dass in der Frankfurter Asservatenkammer Waffen fehlen und der jahrelang dafür zuständige Polizeibeamte nebenbei illegal für eine rechte paramilitärische Söldnertruppe gearbeitet und illegal Daten abgerufen hat.

Allein die Vorwürfe im Komplex NSU 2.0 und die illegalen Datenabfragen in drei Polizeirevieren, allein die Vorwürfe, die in diesem Zusammenhang bekannt wurden, summieren sich auf fast 100 Einzelfälle – und jetzt kommen noch 49 dazu, darunter ein halbes SEK.

Dieses Gerede vom „Einzelfall“ oder von den „unentschuldbaren Dummheiten“ macht das Problem nur größer, weil Sie Dinge verharmlosen, statt die Dinge endlich anzugehen, Herr Beuth.

(Beifall DIE LINKE, SPD und vereinzelt Freie Demokraten)

Rechtsradikale in Uniform sind ein Sicherheitsrisiko. Polizeibeamte haben Zugang zu Waffen, zu Sprengstoffen, zu sensiblen Daten, und das SEK hat eine militärische Ausbildung. Übrigens waren 13 der beschuldigten SEK-Beamten am 19. Februar 2020 in Hanau im Einsatz. Wir brauchen endlich eine unabhängige Beschwerdestelle und eine wissenschaftliche Studie über Rassismus in der Polizei – und das hat nichts, aber auch gar nichts mit einem Generalverdacht zu tun.

(Beifall DIE LINKE)

Nazis und Rechtsradikale haben im Landesdienst nichts zu suchen, und schon gar nicht bei der Polizei. Deshalb müssen sie auch aus dem Landesdienst entfernt werden.

Diese Polizeiskandale können nicht durch die hessische Polizei intern, sondern sie müssen durch externe Ermittler aufgeklärt werden. Es kann doch nicht sein, dass das LKA jetzt wegen Chats ermittelt, an denen LKA-Beamte selbst beteiligt waren.

Natürlich stellen sich jede Menge Fragen. Herr Beuth, wie konnte es so lange unentdeckt bleiben, obwohl Sie doch jedem Einzelfall auf den Grund gehen wollten, obwohl es Expertengruppen, Sonderermittler, Führungsansprachen und was noch alles gab? Wieso sind denn diese Polizeibeamten und ihre Räumlichkeiten im Dienstalltag offenbar nicht aufgefallen? Gibt es Verbindungen zum rechten Netzwerk Nordkreuz oder zu rechten Beamten aus anderen Bundesländern? Und wer waren eigentlich die nicht polizeilichen Teilnehmer an diesen Chats, die es offensichtlich auch gab? Auf alle diese Fragen erwarten wir Antworten, Herr Beuth. Wir erwarten diesmal, dass Sie aufklären und informieren, und nicht immer hinterherkleckern;

(Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

denn alle diese Vorgänge haben eines gemeinsam: Nie hat der Innenminister aufgedeckt. Im Gegenteil, er mauert und versucht, die Vorfälle unter den Teppich zu kehren. Es war Kommissar Zufall, es waren Journalisten, es waren auch kritische Polizisten oder die Opposition, die für Aufklärung sorgten. Wenn sich Missstände nicht mehr verschweigen lassen, dann sind immer die anderen schuld. Dann schieben Sie die Verantwortung ab: Beim NSU 2.0 waren es das LKA und der damalige Polizeipräsident, und jetzt beklagt der Innenminister allen Ernstes eine mangelhafte Führung der Polizei. – Ja, richtig: Die Polizei hat ein Führungsproblem, und das heißt Peter Beuth.

(Beifall DIE LINKE, SPD und vereinzelt Freie Demokraten)

Sie sind seit sieben Jahren der oberste Dienstherr. Es ist Ihre Führung, es ist Ihre Fehlerkultur, die hier versagt hat. Sie sind Teil des Problems, und deswegen müssen Sie endlich Verantwortung für diese unerträglichen Zustände übernehmen. Sie sind als Innenminister untragbar, und deshalb müssen Sie zurücktreten, Herr Beuth.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin Wissler, Sie müssten zum Ende kommen.

Janine Wissler (DIE LINKE):

Mein letzter Satz. – Herr Ministerpräsident Bouffier, von Ihnen hat man in den letzten Tagen nichts zu alldem gehört, kein Wort. Vielleicht ändert sich das heute, weil wir uns wirklich fragen, wie lange Sie und die schwarz-grüne Koalition noch an diesem Innenminister festhalten wollen. Denn dieser Innenminister ist der Letzte, dem Aufklärung und ein Neuanfang zuzutrauen ist – das hat dieser neue Polizeiskandal wieder gezeigt. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)