Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Die Bildungsperspektive darf nicht vom Einkommen der Eltern abhängig sein!"

Janine Wissler
Janine WisslerBildungSoziales

BAföG weiter verbessern für mehr Chancengleichheit – Orientierungsstudium in Hessen erleichtern, besondere Lebenssituationen

stärker berücksichtigen (Antrag Aktuelle Stunde Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ds. 20/425)

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Bildung darf nicht von der Herkunft abhängig sein. Das ist sie in Deutschland aber leider. Das deutsche Bildungssystem ist sozial selektiv. Es wirkt wie ein Flaschenhals. Ich will das mit Zahlen verdeutlichen. Von 100 Akademikerkindern beginnen 77 ein Hochschulstudium. Von 100 Nichtakademikerkindern sind es nur 23. Um dieser sozialen Ungleichheit im Bildungssystem zu begegnen, ist der Ausbau des BAföG ein wichtiges Mittel. Nun wurde aber zu Recht festgestellt, dass die Zahl der BAföG-Bezieher rückläufig ist, obwohl immer mehr Studierende an die Hochschulen kommen. Die geplante Erhöhung des BAföG-Satzes und die Erweiterung der Elternfreibeträge sind nicht ausreichend. Wer in Frankfurt eine Wohnung bezahlen will, kommt mit 850 € nicht über die Runden. Er kommt mit den bisher 250 € Wohnpauschale überhaupt nicht hin. Er wird aber auch mit den zukünftig 325 € nicht hinkommen. Es wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass für Studierende in Frankfurt die Miete durchschnittlich bei 375 € liegt. Das heißt, das BAföG ist nicht bedarfsdeckend. Deswegen brauchen wir eine deutliche Erhöhung der BAföG-Sätze.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich brauchen wir auch dringend mehr bezahlbaren Wohnraum. Da müsste die Landesregierung deutlich mehr tun. Denn Hessen ist noch immer, was die Wohnheimquote der Studierenden angeht, im Vergleich mit den anderen Bundesländern auf einem der allerhintersten Plätze. Es wird zwar gebaut, aber bei Weitem nicht so viel, wie Studierende an die Hochschulen kommen. Es ist gerade für Studierende aus ärmeren Familien wichtig, dass wir endlich bezahlbaren Wohnraum schaffen. Da müssen wir endlich eine größere Anstrengung an den Tag legen.

(Beifall DIE LINKE)

Die BAföG-Reform wird ein Reförmchen bleiben. Weder werden die Altersgrenzen angegangen, noch wird eine vernünftige Rückzahlungsregelung gefunden. Das heißt, Studierende, die auf den Höchstsatz angewiesen sind, sind am Ende ihres Studiums hoch verschuldet. Sie müssen aber schon während des Studiums zusätzlich arbeiten, weil sie vom BAföG allein in der Regel nicht leben können. Es wurde zu Recht gesagt, dass das BAföG zum Leben reichen muss. Auch das will ich ausdrücklich unterstützen. Das ist eine langjährige Forderung auch von uns. Das BAföG muss elternunabhängig sein. Denn es handelt sich um erwachsene Menschen. Die Bildungsperspektive darf nicht vom Einkommen der Eltern abhängig sein.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten))

Von Frau Kollegin Sommer wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass das Deutschlandstipendium abgeschafft werden müsste. Dessen Mittel müssten zurück ins BAföG überführt werden. Denn das Deutschlandstipendium verstärkt noch die soziale Selektion im Bildungssystem. Damit werden nicht die gefördert, die auf die Förderung dringend angewiesen sind. Das BAföG ist ein sehr viel gerechteres Förderungssystem, um soziale Durchlässigkeit im Bildungssystem zu erreichen. Wir diskutieren heute auch über die Orientierungsstudiengänge, die an den Universitäten in Kassel und Frankfurt ab dem Jahr 2019 als Modellversuche angeboten werden. Das Ziel der Orientierungsstudiengänge ist vor allem, die Abbrecherquote zu senken. Als wir die Debatte im letzten Jahr geführt haben, habe ich schon gesagt, dass wir die Orientierungsstudiengänge grundsätzlich für sinnvoll halten. Ich habe dann gefragt, ob sich die Bezugsdauer für das BAföG dann verlängert oder ob bei einem Fachwechsel die förderungsfähige Zeit verkürzt wird. Das ist jetzt geklärt. Das ist natürlich gut. Wie viel das Orientierungsstudium wirklich bringen wird, bleibt abzuwarten. Zumindest schadet es aber nicht, wenn es auf die Bezugsdauer des BAföG angerechnet wird. An deutschen Hochschulen bricht fast jeder Dritte in der Prüfungsphase sein Studium ab und muss sich dann neu orientieren. Nach einer bundesweit repräsentativen Studie stieg die Abbruchquote bei Studierenden mit Abschluss Bachelor im Vergleich zu früheren Untersuchungen sogar leicht an. Bei den Universitäten sank sie ganz leicht. Bei den Fachhochschulen ist sie etwas angestiegen. Das liegt aber auch daran, dass an den Fachhochschulen der Anteil der Studierenden aus einkommensschwachen Familien und der Anteil derjenigen, die nebenher arbeiten müssen oder die schon etwas älter sind und vielleicht schon Kinder haben, stärker vertreten sind. Besonders hoch sind die Abbrecherquoten beim Studium der Mathematik oder der Naturwissenschaften. Da liegen sie bei etwa 40 %. Ich glaube, dass man mit den Orientierungsstudiengängen den Ursachen für den Abbruch eines Studiums nur sehr begrenzt begegnen kann. Denn aufgrund von Untersuchungen wissen wir, dass oft finanzielle Gründe ausschlaggebend sind. Es geht dabei auch um die Studierbarkeit und den immer weiter zunehmenden Leistungsdruck. Wir hören immer mehr davon, dass Studierende unter Depressionen leiden. Sie nehmen Beratungsangebote in Anspruch, weil der Leistungsdruck immer weiter zunimmt. Deswegen kann man das nicht allein mit den Orientierungsstudiengängen
lösen. Ich komme zum Schuss meiner Rede. Es ist richtig, das BAföG auszubauen. Es muss bedarfsdeckend sein. Wir brauchen für die Studierenden eine gute soziale Infrastruktur. Wir müssen die Studienbedingungen verbessern, damit möglichst viele Studierende ihr Studium erfolgreich abschließen können. Dabei können die Orientierungsstudiengänge ein kleiner Baustein sein. Aber damit wird man die grundsätzlichen Probleme natürlich nicht lösen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)