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Rede

Elisabeth Kula: Gesetzlicher Anspruch auf Ganztagsgrundschulplätze muss umgesetzt werden

Elisabeth KulaBildungFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

In seiner 83. Plenarsitzung am 29. September 2021 diskutierte der Hessische Landtag über den gesetzlichen Anspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen. Dazu die Rede unserer bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 6. September haben sich Bund und Länder nach zähem Ringen geeinigt, den Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder auf den Weg zu bringen, und das war ein dringender Schritt, um auf längst geänderte Lebensrealitäten von Familien zu reagieren. Aber leider kommt er viel zu spät.

Bis 2026 soll der Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung umgesetzt werden. Bis dahin müssen Eltern von KitaKindern noch bangen, ob sie überhaupt einen Betreuungsplatz bekommen. In einigen Bundesländern müssen jetzt enorme Schritte gegangen werden, weil in der Vergangenheit viel zu wenig für den Ganztagsschulausbau getan wurde – und das, obwohl schon länger klar ist, dass der Rechtsanspruch kommen wird.

Meistens müssen beide Elternteile arbeiten, um überhaupt über die Runden zu kommen. Oder – das muss man in Richtung AfD noch einmal sagen – Frauen entscheiden sich ganz bewusst, ihr Erwerbsleben erfolgreich und selbstbestimmt zu gestalten. Das Doppelverdienermodell ist die neue Normalität.

Die schulischen Anforderungen an diese neue Normalität haben sich aber leider nicht so schnell gewandelt. Besonders die CDU stand jahrzehntelang dem Ausbau von Ganztagsschulen aus ideologischen Gründen entgegen. Das muss man auch einmal sagen.

Schauen wir uns die Situation in Hessen an, dann wird schnell klar, dass auch Schwarz-Grün beim Ganztag schmalspurig unterwegs ist. Aktuell sind nur knapp 2 % aller hessischen Grundschulen echte Ganztagsschulen, Frau Anders. Hessen hat mit unter 5 % den geringsten Anteil an Schülerinnen und Schülern, die eine echte Ganztagsschule besuchen.

Diese Zahlen stehen den Bedürfnissen der Eltern in Hessen entgegen. Bedarfsschätzungen in Hessen besagen, dass bis 2025  70 % der Grundschulkinder einen Ganztagsschulplatz mit Bildung und Betreuung bis in den späten Nachmittag hinein brauchen werden. Um das zu lösen, hat man sich eine Mogelpackung überlegt. Diese Mogelpackung heißt Pakt für den Nachmittag, bald Pakt für den Ganztag und hat nichts mit einer echten Ganztagsschule zu tun.

(Beifall DIE LINKE)

Der Pakt für den Nachmittag sieht häufig so aus: Bis zu 50 Kinder werden am Nachmittag aufbewahrt und erledigen ihre Hausaufgaben oder sind in einer AG. Die Beschäftigten sind oft Honorarkräfte und werden nicht nach Tarif bezahlt. Eltern müssen Beiträge für die Nachmittagsbetreuung zahlen. Das Land stellt eben nicht genügend Mittel bereit, um mit dem Pakt für den Nachmittag einen qualitativ hochwertigen Ganztag mit Unterricht, Sport, Freizeit und Musik im Wechsel zu finanzieren. Der Pakt stellt hinsichtlich der Ausfinanzierung eine Verschlechterung gegenüber dem Hortsystem dar; denn für Horte gibt es wenigstens Qualitätsmindeststandards für das Fachkräfteangebot, für Gruppengrößen und für die Räumlichkeiten.

Meine Damen und Herren, der Pakt für den Nachmittag ist und bleibt Augenwischerei. Er ist alles andere, aber kein echter schulischer Ganztag.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Den will Herr Lorz auch augenscheinlich nicht für die Grundschulen; denn die Schulen, die sich auf den Weg machen, in das Ganztagsprogramm des Landes mit dem Profil 3 zu gehen – das sind die echten verpflichtend ganztägig arbeitenden Schulen –, bekommen dann einen Aufschlag von maximal 30 % zur Grundunterrichtsversorgung.

Herr Lorz, Sie wissen selbst ganz genau, dass das nicht ausreicht, um einen qualitativ hochwertigen Ganztag umzusetzen. Weil das so ist, gibt es in Hessen nur ganze zwölf echte Ganztagsschulen im Grundschulbereich, die im Profil 3 arbeiten. Wenn das die großen Anstrengungen in Richtung Ganztag im Grundschulbereich sind, Herr Lorz, dann wird der Ganztag in Hessen eher auf Sparflamme gefahren werden.

Sie haben schon angekündigt, dass für die Umsetzung des Rechtsanspruchs die Schulen im Pakt für den Ganztag und die Schulen in Profil 3 zuständig sein sollen. Schaut man sich das jetzt, Stand 2021, einmal an, dann wird bei zwölf echten ganztägig arbeitenden Grundschulen und 299 Paktschulen schnell klar, wohin die Reise in Hessen gehen wird: Schulen sollen vor allem in den Pakt für den Nachmittag gedrängt werden. Für die Landesregierung ist er natürlich günstiger zu haben. Aber das geht zulasten der Qualität von Bildung und Betreuung, weil die Mittel vom Land so gering sind und es keinerlei Standards für die Nachmittagsbetreuung im Pakt gibt.

Meine Damen und Herren, nein, der Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung im Grundschulbereich darf nicht auf der lorzschen Schmalspur umgesetzt werden.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Moritz Promny (Freie Demokraten))

Ganztagsschulen sind nicht nur aus Gründen der Familienorganisation unersetzbar. Sie können auch einen großen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit leisten, aber nur, wenn sie gut ausgestattet sind, gebunden oder teilgebunden und rhythmisiert arbeiten. Nur dann gibt es Zeit und Raum für individuelle Förderung und Inklusion.

Raum wird es sowieso deutlich mehr brauchen. Die baulichen Herausforderungen bis 2026 werden immens sein. Schade eigentlich, dass der Kultusminister überhaupt nicht weiß, wie hoch der Investitionsbedarf an den Schulen ist. Er will es auch nicht wissen. Herr Lorz, ich bin einmal gespannt, wie Sie das Recht auf Ganztagsbetreuung in Hessen umsetzen wollen, ohne die baulichen Notwendigkeiten dafür zu kennen. Ich glaube, Sie weigern sich so vehement gegen eine Erhebung, weil Sie wissen, dass Sie feststellen müssten, dass es an hessischen Schulen oft von der Decke bröckelt, die Räume zu klein sind, Toiletten dauerhaft geschlossen sind und Turnhallen gesperrt sind. Das ist die Realität an hessischen Schulen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wie „wichtig“ Ihnen das ist, zeigt auch das Kommunalinvestitionsprogramm der Landesregierung. Darin sind keinerlei Mittel für den Ganztagsausbau der Schulen vorgesehen.

Angesichts dieser Lage in Hessen ist es höchste Zeit für eine Qualitäts- und Fachkräfteoffensive für den Ganztag. Statt den Schwindel mit dem Pakt braucht es jetzt beherzte Schritte für einen echten, gut ausgestatteten Ganztag an den Grundschulen. Der Lehrerberuf muss weiter aufgewertet werden. Es muss Schluss sein mit der Schlechterbezahlung von meistens weiblichen Grundschullehrkräften. A 13 für alle, das muss spätestens jetzt kommen, um junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern.

Wir brauchen gut ausgestattete Schulen mit echten multiprofessionellen Teams aus Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern, Sozialpädagoginnen und -pädagogen, ein gutes, warmes, kostenfreies Mittagessen für alle Kinder im Ganztag und gebührenfreie Bildung und Betreuung für alle.

Der Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung in der Grundschule kann ein Anstoß sein, Bildung endlich zur politischen Priorität dieser Landesregierung zu machen und politische Ziele für die Weiterentwicklung unserer Schulen zu formulieren. Er kann Anstoß sein für eine Verkleinerung von Klassengrößen an den Grundschulen, für eine Demokratisierung von Schule und längeres gemeinsames Lernen.

Statt Ganztag auf Sparflamme von Schwarz-Grün wollen wir den Turbo für unsere Schulen zünden, für Familien, für die Lehrkräfte und vor allem für diejenigen Schülerinnen und Schüler, deren Benachteiligungen im Bildungssystem durch Corona breit diskutiert wurden, aber schnell wieder vergessen gehen, sobald das politische Alltagsgeschäft wieder da ist.

Der Antrag der SPD fasst die Beschlusslage vom Bund zusammen. Er fordert aber auch eine Anhörung aller Beteiligten und eine Bedarfsanalyse. Das unterstützen wir ausdrücklich. Leider können wir uns dem Lob der Bundesregierung nur bedingt anschließen, weil wir finden, dass die Initiative viel zu spät kam. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)