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Rede

Elisabeth Kula: Gute Arbeits- und Studienbedingungen sind Voraussetzung für gute Forschung und Lehre

Elisabeth KulaWissenschaft

In seiner 73. Plenarsitzung am 18. Mai 2021 gab Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) eine Regierungserklärung zur hessischen Hochschulstrategie ab. Unsere bildungspolitische Sprecherin Elisabeth Kula antwortete darauf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nein, ein Plädoyer für die Privaten ist jetzt tatsächlich nicht zu erwarten.

„Nach einem Jahr, in dem man seine Freunde kaum getroffen und seine Dozenten nur auf einem Computerbildschirm gesehen hat, werde ich langsam müde.“ – „Psychisch krasse Belastung. Finanzielle Unterstützung fehlt.“ – „Das Studieren ist deutlich eintöniger und schwieriger geworden.“ – „Seit einem Jahr herrscht Ausnahmezustand und wir sollen am besten ganz normal weiterstudieren.“ – So beschreiben Studierende ihre aktuelle Situation unter dem Motto „Uni_zu“ auf Instagram. Sie skizzieren äußerst belastende Umstände, unter denen sie aktuell ihr Studium absolvieren müssen.

Dass diese Schilderungen keineswegs nur subjektive Eindrücke einzelner Studierender sind, zeigen verschiedene Studien und Umfragen aus dem letzten Jahr, etwa eine durch die Techniker Krankenkasse beauftragte Forsa-Umfrage oder die Onlinebefragung Stu.diCo eines Forschungsteams der Universität Hildesheim. Sie belegen, wie dramatisch sich Corona auf die Lebenswelt und Gesundheit von Studierenden auswirkt. Nicht nur ist demnach die Arbeitsbelastung enorm angestiegen. Auch Zukunftsängste und finanzielle Probleme haben zugenommen.

Dazu kommt, dass allein in Hessen über ein Drittel aller Anträge von Studierenden auf finanzielle Soforthilfe abgelehnt worden ist und diese Soforthilfe bei den Mietpreisen und Lebenshaltungskosten in den Unistädten viel zu knapp bemessen war.

Besonders besorgniserregend sind die Befunde zu psychischen Belastungen bis hin zu Depressionen unter Studierenden. 2012 haben laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks 3 % der Studierenden angegeben, sie seien psychisch beeinträchtigt. 2016 ist der Anteil auf 7 % und laut einer Befragung für das Corona-Jahr 2020 auf 10 % angestiegen.

Von „Chancengerechtigkeit und Mut“, die die Ministerin heute im Titel ihrer Regierungserklärung beschworen hat, spüren viele Studierende aktuell herzlich wenig. Im Gegenteil, es gehören Vereinzelung, Antriebslosigkeit und soziale Leere zum aktuellen Studienalltag. Die Corona-Krise ist längst zu einer Bildungskrise geworden. Das Ausmaß der Verheerungen ist kaum absehbar, und ein Zurück zum Normalzustand an den Hochschulen, wie es Herr Hofmeister beschworen hat, ist oft keine schöne Aussicht.

Die Krise trifft nicht nur diejenigen Studierenden besonders hart, die sich durch Nebenjobs das Studium finanzieren müssen und seit einem Jahr ohne Einkommen auskommen müssen. Nein, die Krise trifft auch die Beschäftigten an den Hochschulen. Die Probleme in der Personalstruktur der Hochschulen sind durch Corona noch deutlicher hervorgetreten. Die seit mittlerweile drei Semestern anhaltende Ausnahmesituation wird zum gefühlten Dauerzustand. Die digitale Lehre bringt einen deutlich höheren Arbeitsaufwand für Lehrende mit sich. Kommunikation mit den Studierenden aufrechterhalten, die Freischussregelung für Prüfungen der Studierenden umsetzen, digitale Formate entwickeln – all das hat die Lehre im letzten Jahr geprägt und ist nur dank der systematischen Selbstausbeutung der Lehrenden im Sinne der eigenen Profession möglich gewesen.

Die prekären Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen verschärfen die aktuelle Situation. Das führt dazu, dass viele Beschäftigte an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Schließlich müssen auch sie Beruf, Homeschooling und Kinderbetreuung unter einen Hut bringen. Der Druck zur permanenten Verfügbarkeit hat unter Corona massiv zugenommen, und die Entgrenzung zwischen Arbeitswelt und Privatem setzt vielen Hochschulbeschäftigten zu. Auch hier gilt: Klatschen und Dank alleine reichen nicht aus. Hier braucht es konkrete Verbesserungen für die Beschäftigten.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Der Digitalpakt Hochschule sorgte zwar für einen Digitalisierungsschub an den hessischen Hochschulen, aber nicht für Entlastung. Die Digitalisierung muss aber so ausgestaltet werden, dass sie den Beschäftigten und Studierenden dient und kein Selbstzweck ist. Es braucht langfristige Förderung für langfristige Aufgaben. Die Digitalisierung von Forschung und Lehre an den Hochschulen umzusetzen und zu begleiten, das sind langfristige Aufgaben, und sie müssen deswegen an dauerhafte Beschäftigung geknüpft werden.

Wir als LINKE sagen ganz klar: Die Digitalisierung im gesamten Bildungsbereich darf nicht zu Personalabbau führen. Pädagogische und wissenschaftliche Leistungen der Beschäftigten sind nicht digitalisierbar.

Die Arbeitsbedingungen an den Hochschulen waren aber schon vor Corona nicht gerade verlockend. 84 % der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben befristete Stellen. Eigenverpflichtungen der Hochschulen zur Schaffung von unbefristeten Stellen haben sich als wenig wirksam erwiesen – kein Wunder. Schließlich hängt die Finanzierung unserer Hochschulen seit Jahren immer mehr an Drittmitteln. Um diese Mittel einzuwerben, müssen Anträge gestellt werden; die Mittel müssen gemanagt und ihre Verwendung nachgewiesen werden. Dieser Prozess frisst zunehmend einen großen Teil der Arbeitskapazitäten an den Hochschulen auf, die dann in Lehre und Forschung fehlen. Dabei handelt es sich bei den Drittmitteln oftmals auch um öffentliche Mittel, welche über diesen Umweg mit hohem Arbeitsaufwand an den Universitäten landen.

Die Konferenz der hessischen Universitätsleitungen hat diesen Irrsinn 2019 als Drittmittel-Hamsterrad beschrieben. Das finde ich sehr passend. Dieser Auswuchs der Entwicklung hin zu einer neoliberalen Hochschulfinanzierung sorgt dafür, dass trotz steigender Studierendenzahlen Unterfinanzierung und Projektarbeit an der Tagesordnung sind. Dieses Dilemma löst sich auch nicht durch Exzellenzforschungsprogramme wie LOEWE. Diese Mittel werden nach dem Wettbewerbsprinzip vergeben und kommen somit hauptsächlich den sowieso schon großen und starken Universitäten zugute. Die Hochschulen für angewandte

Wissenschaften sind bei der LOEWE-Förderung komplett außen vor, was das Ungleichgewicht zwischen ihnen und den Universitäten weiter verschärft.

Wir lehnen wettbewerbsorientierte Exzellenzförderung ab. Stattdessen wollen wir das Grundbudget der Hochschulen bedarfsgerecht ausbauen, um an allen Hochschulen gute Forschung und Lehre zu ermöglichen.

(Beifall DIE LINKE)

Leider sieht die Realität ganz anders aus. Das Befristungsunwesen an unseren Hochschulen steht den eigenen Ansprüchen einer Spitzenforschung und hoch qualitativer Lehre diametral entgegen. Wer eine befristete Stelle hat, kann kaum das eigene Leben und die Familie planen. Wer unter prekären Arbeitsbedingungen arbeitet, kann kaum nachhaltig gute Forschung und Lehre praktizieren. Der Druck im wissenschaftlichen Mittelbau ist so groß, dass sich etliche Initiativen gegründet haben, um dem Befristungsspuk ein Ende zu setzen, so z. B. „UniKassel Unbefristet“, „Darmstadtunbefristet“ oder „just_unbefristet“ aus Gießen.

Die GEW hat mit dem Templiner Manifest bereits vor zehn Jahren einen wegweisenden Beitrag geleistet, um die Wissenschaftspolitik zum Umdenken zu bringen. Ja, sowohl im Bund als auch in Hessen hat ein vorsichtiger Sinneswandel stattgefunden. Schließlich konnte niemand mehr die Probleme an den Hochschulen leugnen. Die 2016 in Kraft getretene Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sollte unsachgemäßen Befristungen einen Riegel vorschieben, die Novelle 2020 pandemiebedingte Vertragsverlängerungen ermöglichen. Auch der Zukunftsvertrag „Studium und Lehre stärken“ von Bund und Ländern legte einen Schwerpunkt beim Ausbau unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse.

Aber dieses Programm ist nicht nur wachsweich formuliert. Es packt das Problem auch nicht bei seiner Wurzel, nämlich der zu niedrigen Grundfinanzierung der Hochschulen und dem damit verbundenen Zwang zur Drittmittel-Akquise. In Hessen weist die schwarz-grüne Koalition mit dem Hochschulpakt 2021 bis 2025 immerhin in die richtige Richtung. Die von Studierenden seit Jahrzehnten vorgebrachte Forderung nach einer Dynamisierung der Grundfinanzierung wurde endlich aufgenommen: 4 % des Sockelbetrags mehr pro Jahr. Dieser umfasst das Grundbudget, die QSL-Mittel, die zur Verbesserung von Studium und Lehre als Ersatz für die Studiengebühren eingeführt wurden, sowie Gelder aus der Bund-Länder-Vereinbarung. Diese Dynamisierung ist ausdrücklich zu begrüßen.

Aber leider muss man immer wieder betonen, dass das nicht ausreichen wird, um selbst die eigenen Ziele von Schwarz-Grün zu erreichen. Die Landesregierung will wieder hin zu einer Betreuungsrelation in der Lehre, wie wir sie 2005 hatten. Aber allein dafür brauchen wir 3.000 Vollzeitstellen mehr. Auch müsste die Steigerungsrate von 4 % rückwirkend für die letzten 13 Jahre berechnet werden, in denen die QSL-Gelder einen inflationsbedingten Wertverlust erlitten haben. Durch die Weigerung der Landesregierung, hier eine rückwirkende Lösung zu finden, entsteht eine erhebliche Finanzierungslücke.

Im Hochschulpakt finden sich auch Zusagen zur Eindämmung der befristeten Beschäftigung. Auch das ist gut. Die Erkenntnis, dass es für Daueraufgaben auch Dauerstellen braucht, ist mittlerweile in der Wissenschaftspolitik angekommen. Wie nachhaltig diese Erkenntnis ist, wird sich zeigen. Aber wenn man die Knausrigkeit der Hochschulen bei Corona-bedingten Verlängerungen von Beschäftigungsverhältnissen anschaut, dann kann man ein großes Fragezeichen an den Ausbau der Dauerbeschäftigung an Hochschulen machen.

Wir warten ab, was der von Frau Dorn angekündigte „Kodex für gute Arbeit“ bringen wird und inwiefern er zur tatsächlichen Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen führen wird. Warme Worte reichen hier schon längst nicht mehr aus.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Eine weitere Baustelle im wahrsten Sinne des Wortes ist der Sanierungs- und Investitionsstau an den Hochschulen. Das Hochschulbauprogramm HEUREKA soll hier Abhilfe leisten. Aber die Landesregierung weiß nicht einmal, wie groß der eigentliche Bedarf ist, weil sie wie bei den Schulen keine Erhebung des Sanierungsstaus durchführen will. Aber wenn HEUREKA substanziell etwas am baulichen Zustand der Hochschulen ändern soll, dann wäre es jetzt an der Zeit, den tatsächlichen Investitionsbedarf zu erheben und die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen.

Insgesamt hat sich die Ministerin auf einen richtigen Weg gemacht. Aber vielen Beschäftigten und Studierenden ist aktuell kaum nach einem Segeltörn mit der Wissenschaftsministerin zumute. Sie versuchen nämlich gerade, unter Deck die großen Löcher im Rumpf des Schiffes zu stopfen.

Es braucht dringend den politischen Mut, den Frau Dorn selbst mit warmen Worten anpreist: den Mut, mit festen Quoten von 50 % und konkreten Vorgaben in den Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschulen Befristungen den Kampf anzusagen. Es braucht den Mut, die Hochschulen finanziell so auszustatten, dass die Qualität von Studium, Lehre und Forschung nicht länger von Drittmitteln abhängig ist, sondern vom engagierten Einsatz der Beschäftigten für ihre Profession. Es braucht Mut, die Hochschulen zu demokratisieren, sodass die Studierenden nach Corona endlich echte Mitbestimmung ausüben können, sowohl als studentische Hilfskräfte als auch als Teil der verfassten Studierendenschaft.

Wo bleibt der Mut zur Drittelparität in den Hochschulgremien? Wo bleibt der Mut zum Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte, wo der Mut zur Chancengleichheit, wenn es darum geht, Bildungshürden wie NCs oder Aufnahmeprüfungen endgültig eine Absage zu erteilen, der Mut zur Initiative im Bundesrat für ein elternunabhängiges und bedarfsgerechtes BAföG?

Die Segel der Landesregierung sind in die richtige Richtung gewandt, aber ein laues Lüftchen wird nicht für gute Arbeitsbedingungen, ein gutes Studium und gute Forschung sorgen. Dafür müssen schon die Beschäftigten und Studierenden weiter Wind machen.