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Rede

Elisabeth Kula - Hessens Schulen zukunftsfähig machen

Elisabeth KulaBildung

In seiner 88. Plenarsitzung am 11. November 2021 diskutierte der Hessische Landtag grundlegend über die Situation an Hessens Schulen. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden und bildungspolitischen Sprecherin Elisabeth Kula.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den letzten eineinhalb Jahren haben wir im Landtag sehr oft über Schulen und über Bildungspolitik diskutiert. Fast in jeder Plenarwoche setzte die Opposition das Thema „Lage an den Schulen“ auf die Tagesordnung. Um es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich gesagt zu haben: Die Corona-Politik dieses Kultusministers besteht im Großen und Ganzen darin, die Verantwortung auf Schulen, Eltern und Lehrkräfte abzuschieben. (Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD) Nach fast zwei Jahren Pandemie fehlen Luftfilter in den Klassen, es gibt kaum benutzbare digitale Infrastruktur, und es gibt keine pädagogischen Konzepte für Wechseloder Distanzunterricht. Welche Maßnahmen an den Schulen umgesetzt werden und welche nicht, ist schon lange nicht mehr nachvollziehbar. Aber vor allem haben Sie die Last dieser Pandemie vor Ort, nämlich in den Schulen und in den Elternhäusern, abgeladen. Wir können froh und dankbar sein, dass wir engagierte Lehrkräfte und sehr leidensfähige Eltern haben. Ansonsten wäre Ihnen diese Pandemie schon viel früher auf die Füße gefallen. Den Kahn Schule durch diese stürmischen Gewässer zu manövrieren wäre Ihre Aufgabe gewesen. Aber letztlich waren es die Lehrkräfte, die unter Deck ruderten wie verrückt, um zu verhindern, dass die Passagiere, unsere Schülerinnen und Schüler, über Bord gehen und völlig abgehängt werden. Von diesem Pult aus hat man sich schon oft für die großartigen Leistungen der Lehrkräfte während der Pandemie bedankt. Aber, meine Damen und Herren, Dank bringt keine  Entlastung, und Dank wird auch den gravierenden Lehrermangel nicht beseitigen. (Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD) Ja, die Corona-Krise war ein Stresstest für unser Bildungssystem. Aber an vielen Schulen war vor der Pandemie auch der Normalzustand schon eine Krise. Die Antworten des Kultusministers auf unsere Große Anfrage zur Situation von Lehrkräften in Hessen belegen das – abgesehen davon, dass es fast ein Jahr gedauert hat, bis Sie die Anfrage beantwortet haben. Aber das kennen wir fast nicht anders. Legt man die Zahlen zugrunde, die Sie uns zur Verfügung gestellt haben, stellt man fest, sie zeichnen ein schonungsloses Bild Ihrer Bildungspolitik. Ja, Hessen ist Spitzenreiter, aber eben nicht bei Bildungsgerechtigkeit oder gut ausgestatteten Schulen, sondern bei Lehrkräften, die wegen Berufsunfähigkeit frühzeitig in den Ruhestand gehen. Im Schuljahr 2019/2020 schieden insgesamt 1.023 Lehrkräfte aus dem Schuldienst aus, und davon sind zwei Drittel frühzeitig in den Ruhestand gegangen. Das geht schon seit Jahren so; auch vor Corona war das schon so. Unsere Lehrerinnen und Lehrer können oft schlichtweg nicht mehr, weil die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren einfach zu groß geworden ist. Immer mehr Aufgaben kamen dazu – Inklusion, Ganztag –, aber dafür gab es kaum spürbare Entlastungen. Eine höhere Zahl an Pflichtstunden als in Hessen gibt es sonst kaum irgendwo; auch bei den Grundschulen sind wir da trauriger Spitzenreiter. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat 2019 an Frankfurter Schulen eine Studie zur Arbeitszeit und zur Arbeitsbelastung von Lehrkräften durchgeführt. Jede vierte Vollzeitkraft berichtet, während der Schulzeit regelmäßig mehr als 48 Stunden pro Woche zu arbeiten. Da das keine Ausnahmen sind, verstößt das gegen den Arbeitsschutz. Das muss doch auch den Kultusminister als Dienstherrn etwas angehen. Das ist absolut inakzeptabel. (Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD) Ob Mehrarbeit unter der Woche oder am Wochenende: Hessens Lehrkräfte haben kaum Zeit für Erholung und Pause. Das hält kaum jemand bis zum Alter von 65 Jahren durch; das macht körperlich und psychisch krank. Vor dem Hintergrund des gravierenden Lehrkräftemangels sind diese Arbeitsbedingungen umso dramatischer. Wie wollen wir denn junge Menschen für den Lehrerberuf begeistern und gewinnen, wenn sie sehen, wie ihre Freunde und Studienkollegen an den Schulen systematisch verheizt werden? Es muss sich endlich etwas in Richtung besserer Arbeitsbedingungen an unseren Schulen bewegen. Stattdessen reagiert der Kultusminister noch nicht einmal auf Überlastungsanzeigen und Briefe der Lehrkräfte. So geht man nicht mit den eigenen Beamtinnen und Beamten um – um das einmal ganz klar zu sagen. (Beifall DIE LINKE) Der Lehrermangel trifft die Grundschulen besonders hart. Bereits jetzt können viele Stellen nicht mehr besetzt werden. Bis 2025 werden rund 1.500 zusätzliche Grundschullehrkräfte gebraucht. Da ist aber das Recht auf Ganztag noch gar nicht einberechnet. Das wirkt sich natürlich auf die Qualität des Unterrichts aus: 12 % der Lehrkräfte an den Grundschulen haben kein Lehramt studiert, oder sie haben keine Lehrbefähigung. Oft sind es Beschäftigte, die sich nicht für das Lehramt qualifizieren, sondern an sechs Tagen fortgebildet werden, um dann als Tarifbeschäftigte an Grundschulen eingesetzt zu werden. Für einen richtigen Quereinstieg in das Lehramt haben sich 2020 ganze 48 Personen entschieden. Dabei brauchen wir die Lehrkräfte gerade an den Grundschulen, die schließlich Gemeinschaftsschulen sind. In die Grundschulen gehen alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam. Diese Schulen leisten Inklusion und haben oft auch in ihrem Viertel eine wichtige soziale Rolle. Gerade hier brauchen wir doch die am besten ausgebildeten Lehrkräfte und kleine Klassen, um allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden zu können. (Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD) Stattdessen wird das Grundschullehramt von dieser Landesregierung wie ein Lehramt zweiter Klasse behandelt. Immer noch bekommen Lehrerinnen und Lehrer – an den Grundschulen arbeiten zu einem großen Teil Frauen – eine geringere Besoldung als ihre Kolleginnen und Kollegen an allen anderen Schulformen. Thüringen ist im August dieses Jahres als zehntes Bundesland dazu übergegangen, die Grundschullehrkräfte den Kolleginnen und Kollegen an anderen Schulen gleichzustellen. Da frage ich mich schon: Worauf wartet Herr Lorz eigentlich noch? Die Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen fühlen sich und ihre Arbeit von dieser Hessischen Landesregierung nicht wertgeschätzt. Wir sagen ganz klar: A 13 für alle Grundschullehrerinnen und -lehrer jetzt. Alles andere wäre angesichts des Mangels an Lehrkräften an den Grundschulen völlig irrsinnig. (Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD) Aber eine höhere Besoldung wird nicht ausreichen, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Was wir dringend brauchen, ist eine Entlastung an den Schulen: weniger Pflichtstunden – zumindest eine weitere halbe Stunde weniger, wie es auch Lehrerverbände gefordert haben. Es braucht Schritte hin zu kleineren Klassen, bessere Bedingungen für den qualifizierten Quereinstieg ins Lehramt, mehr UBUS-Stellen und eine stärkere Förderung echter Schulsozialarbeit, eine echte Ausbildungsoffensive für Lehrer und pädagogische Fachkräfte an den Hochschulen, eine gute digitale Ausstattung, Fortbildungen während der Arbeitszeit statt in der kostbaren Freizeit, usw. Wir haben heute in einem Antrag konkrete Vorschläge zur Entlastung von Lehrkräften vorgelegt, auch um dem Lehrkräftemangel zu begegnen. Der Winter fängt erst an, aber der politische Winterschlaf von Schwarz-Grün muss endlich ein Ende haben, damit sich an unseren Schulen etwas verändert. Ansonsten werden nicht nur unsere Schülerinnen und Schüler abgehängt, sondern Hessen insgesamt wird bildungspolitisch abgehängt. Leider sind die GRÜNEN bildungspolitisch komplett untergetaucht. Das ist besonders besorgniserregend. Bewegen Sie sich also, und üben Sie Druck auf den Kultusminister aus. Wir brauchen an den Schulen endlich Entlastung. (Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)