Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler - Klimaziele im Verkehrssektor einhalten

"Für eine zukunftsfähige Mobilitätsindustrie leistet die IAA keinen allzu großen Beitrag"

Janine Wissler
Janine WisslerUmwelt- und KlimaschutzVerkehr

Internationale Automobilausstellung (IAA) zur Internationalen Mobilitätsausstellung weiterentwickeln – Klimaziele im Verkehrssektor einhalten (Antrag Fraktion der CDU, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ds. 20/1224)

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Während der IAA protestierten viele Tausend Menschen gegen die rückwärtsgewandte Ausrichtung der Automobilindustrie und gegen die immer noch autozentrierte Verkehrspolitik im Land.

(Manfred Pentz (CDU): Waren Sie auch bei der IAA?)

– Ich habe den Zwischenruf gehört. Natürlich war ich dort.

(Manfred Pentz (CDU): Davor und Steine geworfen oder dahinter? – Vereinzelt Heiterkeit – Gegenruf Hermann Schaus (DIE LINKE): Meine Güte!)

– Herr Pentz, Sie wissen sicher, dass über 25.000 Menschen in Frankfurt demonstriert haben – zu Fuß, aber auch in Form von Fahrraddemonstrationen. Sie kamen aus allen Teilen Hessens, und für sie wurden Teilabschnitte der Autobahnen gesperrt.

(René Rock (Freie Demokraten): Wir sind mehr! – Robert Lambrou (AfD): Aha, wurde die Autobahn doch abgesperrt!)

Das war eine großartige Demonstration. Dort wurde ein ganz wichtiges Zeichen gegen eine rückwärtsgewandte Automobilindustrie gesetzt.

(Beifall DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf AfD: „Rückwärtsgewandt“ müsste Ihnen doch gefallen!)

Am letzten Freitag gab es weltweit einen der größten Protesttage in der Geschichte der Menschheit. Ich finde, diese besorgten Bürger, die zu Millionen am letzten Freitag demonstriert haben, sollte man endlich ernst nehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE – Robert Lambrou (AfD): Die Islamisten, die da mit demonstriert haben, auch?)

Beim globalen Klimastreik haben Millionen Menschen auf allen Kontinenten gefordert, dass endlich alles Menschenmögliche unternommen wird, um die globale Erwärmung zu stoppen, solange wir es noch können. Dieses Zeitfenster schließt sich gerade. Genau in dieser Zeit findet die IAA statt, eine Ausstellung, bei der übermotorisierte große Autos gezeigt werden, die Produkte einer Automobilindustrie sind, die für große Teile des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist und den Umstieg blockiert.

(Zurufe AfD)

Ich finde die Debatte in Teilen ein bisschen abstrus. Die Probleme der IAA und der Automobilindustrie sind doch nicht entstanden, weil irgendwelche Politiker diese Messe schlechtreden oder weil jemand die Entwicklung in der Automobilindustrie kritisieren würde.

(René Rock (Freie Demokraten): Das politische Klima! Natürlich!)

Wenn sich die Besucherzahlen von 1 Million auf 500.000 halbieren, liegt das nicht an den GRÜNEN, den LINKEN, an OB Feldmann oder an „Sand im Getriebe“, sondern man muss darüber reden, was die Automobilindustrie vielleicht getan hat und ob sie sich das nicht selbst zuzuschreiben hat.

(Beifall DIE LINKE und SPD – René Rock (Freie Demokraten): Wer ist denn „die Automobilindustrie“?)

Reden wir doch einmal über die Automobilindustrie. Die Konzerne haben betrogen und gefälscht. Grenzwerte wurden einfach nicht eingehalten. Abschalteinrichtungen wurden manipuliert. Kunden wurden getäuscht. Die Gesundheit von Menschen wurde gefährdet. Da frage ich Sie: Liegt das vielleicht daran, dass der VDA und die Automobilindustrie sich derzeit nicht des allerbesten Ansehens in der Bevölkerung erfreuen? Liegt das vielleicht daran, dass die Automobilindustrie in den vergangenen Jahren eine verheerende Rolle gespielt hat? Das ist doch der eigentliche Grund, aber nicht das, worüber Sie hier reden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

In der Automobilindustrie wurden Ingenieure angehalten, zu manipulieren, statt zukunftsfähige und klimafreundliche Antriebstechniken zu entwickeln. Genau darin liegt das Problem. Natürlich brauchen wir einen sozial-ökologischen Umbau der Automobilindustrie, gerade um die Arbeitsplätze zu schützen. Hier ist von Arbeitsplätzen gesprochen worden. An die Adresse der FDP gerichtet, sage ich, dass ich es übrigens interessant finde, dass hier nicht thematisiert wird, wie viele Arbeitsplätze im Bereich der Windenergie in den vergangenen Jahren abgebaut worden sind. Zudem wurden viele Arbeitsplätze gefährdet, unter anderem deshalb, weil Sie gegen Windkraft mobilisieren.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie erhalten will, der muss doch darauf drängen, dass sich die Automobilindustrie weiterentwickelt zu einer zukunftsfähigen Mobilitätsindustrie. Wer sagt, es solle alles einfach so weitergehen, der gefährdet die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Deswegen brauchen wir zukunftsfähige Konzepte. Dazu leistet die IAA leider keinen allzu großen Beitrag, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Wir reden hier über Schadstoffe, über Flächenverbrauch, über Unfälle und auch über den Klimawandel. Insofern ist es gut, wenn sich die schwarz-grüne Koalition in dem vorliegenden Antrag dazu bekennt, die Klimaziele auch im Verkehrssektor einzuhalten. Dann aber auch los, könnte man sagen. Hier gäbe es eine ganze Menge nachzuholen. Der Verkehrssektor ist der große blinde Fleck bei allen Klimaschutzbemühungen, im Gebäudebereich, bei der Stromerzeugung usw. Es gibt zumindest einen Trend in die richtige Richtung, dass die CO2-Emissionen sinken, aber die CO2-Emissionen des Verkehrs sind seit 1990 nicht gesunken. Außerdem nimmt der Verkehr nach wie vor zu. 70 % des Energieverbrauchs im Verkehr entfallen auf den Personenverkehr. Dessen Verbrauch ist in den vergangenen 20 Jahren sogar noch angestiegen. Das liegt aber nicht am Eisenbahnverkehr. In diesem Bereich sind die Emissionen gesunken. Beim Straßenverkehr sind die Emissionen in etwa konstant geblieben. Die Emissionen des Luftverkehrs steigen immer weiter an. Der Verkehrssektor ist laut Umweltministerium mit 38 % der größte CO2-Emittent in Hessen. Natürlich muss man deshalb auch an der Verkehrspolitik ansetzen, wenn man die Klimaziele erreichen möchte. Natürlich gibt es auch Probleme jenseits des Klimaschutzes, die eine Verkehrswende erfordern: Lärm, Abgase, Flächenverbrauch usw. Gerade die Ballungsgebiete ersticken in Autos. So kann es nicht weitergehen.

(Zuruf Robert Lambrou (AfD))

Das ist auch eine soziale Frage. Wer wohnt denn an den stark befahrenen Straßen? An den am stärksten befahrenen Straßen wohnen die Menschen, die sich die Mieten in den Höhenlagen im Taunus und außerhalb der Städte nicht leisten können. Das ist die Ausgangssituation. Die Automobilindustrie sagt: Wir haben verstanden. Jetzt bauen wir 400-PS-SUVs mit Batterie und machen weiter wie bisher. Noch größere SUVs und immer mehr PS: Für diese Irrwege stand die IAA auch in diesem Jahr. Deshalb sind die Proteste bitter nötig, und die Kritik ist mehr als berechtigt.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Wagner, ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Elektroautos lösen keine Probleme. Sicher ist es grundsätzlich richtig, den Autoverkehr von fossilen Treibstoffen zu lösen. Sie werden uns aber bei der Aufgabe, den Klimawandel in den nächsten zehn bis 20 Jahren zu stoppen, kaum helfen; denn der Treibstoff von Elektroautos ist Strom. Solange wir nicht 100 % Ökostrom im Netz haben, fahren auch diese Autos weiterhin mit fossilen Treibstoffen. Nur der Auspuff ist woanders. Der Auspuff des E-Autos ist der Schornstein des Kohlekraftwerks. Die anderen Probleme unserer im Autoverkehr erstickenden Städte werden auch nicht dadurch gelöst, weil natürlich auch Elektroautos im Stau stehen. Auch Elektroautos brauchen Platz und brauchen Parkplätze. Deshalb stehen wir vor massiven Herausforderungen im Verkehrsbereich. Wir haben eigentlich noch gar nicht so richtig damit angefangen. Deshalb muss Schluss damit sein, immer abzuwägen und Verkehrsmittel angeblich nicht gegeneinander auszuspielen, was auch im schwarz-grünen Antrag so ein bisschen durchklingt, was hier vor allem aber auch von FDP und AfD gesagt wurde. Ja, wir brauchen integrierte Mobilitätskonzepte. Herr Dr. Naas, ja, in diesen integrierten Mobilitätskonzepten muss auch das Auto eine Rolle spielen. Die Frage ist aber, ob wir wollen, dass das Automobil weiter Dreh- und Angelpunkt der Verkehrspolitik ist, dem jede andere Art und Weise des Verkehrs untergeordnet ist. Das ist die Frage, und genau das wollen wir nicht. Das Verständnis von Automobilen unterscheidet uns in der Tat. Ich würde sagen, wir als LINKE haben ein abgeklärt rationales Verhältnis zu Automobilen,

(Holger Bellino (CDU): Das kann man so oder so sehen! – Zuruf Robert Lambrou (AfD))

während ich bei Ihnen eher ein leicht verklärt erotisches Verhältnis zum Automobil herausgehört habe.

(Beifall DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die entscheidende Frage ist: Wollen wir Städte, die autogerecht sind, die auf das Auto ausgerichtet sind, und alles andere wird an den Rand gedrängt? Oder sagen wir, dass wir auch Autos brauchen, gerade im ländlichen Raum? So wäre eine Möglichkeit im ländlichen Raum gegeben, den nächstgelegenen Bahnhof zu erreichen. Ich finde, wir müssen von der Klimafreundlichkeit her denken. Wir dürfen die Welt nicht dauerhaft durch die Windschutzscheibe wahrnehmen, meine Damen und Herren. Wir brauchen die Verkehrswende aus ökologischen, aber auch aus sozialen Gründen, weil Menschen nicht auf Autos angewiesen sein dürfen, um ihre täglichen Wege zu erledigen. Deswegen müssen wir auch über die Kosten und über die viel zu hohen Fahrpreise sprechen. Menschen wollen mehr Busse und Bahnen benutzen. Das geht aber auch nur, wenn dies bezahlbar ist. Sie wissen, dass wir mittelfristig für ein Konzept des Nulltarifs eintreten. Um es in FDPSprech zu sagen: freie Fahrt für freie Bürger.

(Beifall DIE LINKE)

Uns ist natürlich klar, dass man dafür die Infrastruktur massiv ausbauen muss, dass wir barrierefreie Bahnhöfe brauchen und dass in diesem Bereich eine ganze Menge Investitionen getätigt werden müssen. Ich komme zum Schluss. In Ihrem Antrag stehen auch richtige Punkte. Das betrifft das Bürgerticket und auch die Erreichung der Klimaziele. Sie werden aber natürlich an Ihren Taten gemessen. Ich finde, an dieser Stelle passiert in Hessen viel zu wenig. Wir brauchen viel mutigere Reformen in Richtung einer echten Verkehrswende. Die IAA spielt leider keine vorwärtsbringende Rolle für die Verkehrswende und bei Zukunftstechnologien. Deshalb sage ich, die IAA wird sich verändert müssen, und zwar grundlegend, oder sie wird Geschichte sein.

(Zuruf René Rock (Freie Demokraten))

Andernfalls wird sie ein Museum für eine veraltete Technologie werden. In dieser Form ist sie aber keine Messe für zukunftsweisende Produkte. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)