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Rede

Hermann Schaus - Die hessischen Vereine müssen die Corona-Pandemie unbeschadet überstehen

Hermann Schaus
CoronaHermann SchausInnenpolitik

In seiner 38. Plenarsitzung am 5. Mai 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Soforthilfen für hessische Vereine in der Corona-Krise. Dazu die Rede unseres sportpolitischen Sprechers Hermann Schaus.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Corona-Pandemie hat neben der Wirtschaft auch unser gesamtes soziales Leben in Deutschland hart getroffen. Erst in den letzten Wochen ist uns allen in unterschiedlichster Weise klar geworden, was es bedeutet, wenn unser gesellschaftliches Leben erheblich eingeschränkt wird.

Vieles, was unser Leben erst lebenswert macht, haben wir in der Vergangenheit als selbstverständlich wahrgenommen. Jetzt erst – nach den pandemiebedingten Einschränkungen – nehmen wir vieles genauer oder anders wahr. Ja, ich glaube, dass wir sind uns in der Distanz tatsächlich nähergekommen sind. Es wird deshalb spannend werden, wie sich unsere Gesellschaft nach Corona weiterentwickeln wird.

Ein wichtiger Bestandteil unseres sozialen Lebens sind auch die vielen Tausend ehrenamtlich geführten Vereine und Verbände, im Sport, der Kultur, den unterschiedlichsten sozialen und gesundheitlichen Bereichen, dem Natur-, Umwelt- und Tierschutz. Diese Vereine verfügen oft über kein finanzielles Polster, keine Rücklagen. Sie leben vom vielfältigen ehrenamtlichen wie auch finanziellen Engagement ihrer Mitglieder, und deshalb brauchen sie endlich schnelle finanzielle Hilfe und Unterstützung.

(Beifall DIE LINKE und Günter Rudolph (SPD))

Lassen Sie mich zunächst auf die 7.600 hessischen Sportvereine eingehen, die seit dem 17. März keinen Spiel- oder Trainingsbetrieb mehr durchführen dürfen. Sportvereine finanzieren sich aus den Mitgliedsbeiträgen ihrer 2,1 Millionen Mitglieder, in geringerem Teil auch aus staatlichen Zuschüssen. Einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen erzielen sie aber auch aus dem Verkauf von Speisen und Getränken bei den Sport- und Wettkampfveranstaltungen sowie aus Gewinnen bei eigens organisierten Veranstaltungen und Festen. Und genau diese Einnahmen fehlen jetzt. So erzielte z. B. die Handballabteilung meines Sportvereins jedes Jahr bei ihrer Pfingstveranstaltung an Gewinn mehr als 50 % der gesamten Jahreseinnahmen.

Diese erhebliche Summe wird aber in diesem Jahr gänzlich wegfallen, und so geht es vielen anderen Vereinen auch. Selbst bei einem kleinen, nur einige Hundert Mitglieder umfassenden Sportverein bewegen wir uns da im sechsstelligen Eurobereich. Es ist gut, dass diesen Vereinen nun bis zu 10.000 € Zuschuss angeboten wird; das ist dennoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch eine zusätzliche Unterstützung aus dem Corona-Virus-Soforthilfeprogramm Hessen 2020 wird nur einen geringen Teil der Einnahmeverluste ausgleichen können.

Deshalb sagen wir auch, dass gerade im Sport auch ein sozialer Ausgleich stattfinden müsste. Da denke ich zuerst einmal an den Fußball, der übrigens alleine 71 % sämtlicher Sponsorengelder im Sport erhält. Wenn schon die Vorbereitungen für umstrittene Geisterspiele auf Hochtouren laufen, dann erwarte ich, dass die Deutsche Fußball Liga mindestens ein Drittel der noch ausstehenden Fernseheinnahmen in Höhe von 304 Millionen € bis zum Ende der Saison in einen Solidarfonds für die Amateurvereine, die momentan keinerlei Einnahmen haben, einbringt. Um nicht missverstanden zu werden: Eine „Lex Fußball“ allein wegen des Geldes darf es nicht geben. Die DFL ist in den vergangenen Jahren beim Umsatz und Gewinn von Rekord zu Rekord geeilt. Jetzt sollten die Profivereine der obersten beiden Ligen zeigen, dass sie in der aktuellen Notlage auch teilen können.

Sollte es für die Geisterspiele eine Genehmigung von der Bundesregierung und den Landesregierungen geben, dann muss allerdings gleichzeitig sichergestellt sein, dass die Spiele im frei zugänglichen Fernsehen oder kostenfrei im Internet verfolgt werden können, um Fan-Ansammlungen in Stadionnähe oder private Pay-TV-Partys zu vermeiden.

Zudem fordern wir nach Prüfung der gesundheitlichen Risiken eine größtmögliche Lockerung der Beschränkungen für den Breitensport – natürlich mit Augenmaß. Begonnen werden sollte mit Sportaktivitäten im Außenbereich unter Beachtung der Abstands- und Hygieneregeln sowohl im Breiten- als auch im Schulsport. Dies schließt den Rehaund den Gesundheitssport im Rahmen der Möglichkeiten ausdrücklich mit ein. Unter Beachtung von Regeln und der Entwicklung der Infektionszahlen sollte perspektivisch und schrittweise auch der Zugang zu den Freibädern ermöglicht werden. Es ist höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten endlich auch dieser Thematik umfassend annehmen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich komme nun zu den über 30.000 Vereinen im Sozial-, Gesundheits-, Jugend-, Kultur-, Umwelt- und Tierschutzbereich. Auch diese weitestgehend ehrenamtlich organisierten Vereine und Selbsthilfegruppen brauchen ebenso dringend finanzielle Unterstützung. Hier fehlt es aber zudem, z. B. bei den Vereinen, die im Sozial- und Gesundheitsbereich aktiv sind, weiterhin oft auch an Schutzausrüstungen. Die Gesundheitsämter haben noch immer zu wenig, und die Verteilungsstrukturen sind sehr unterschiedlich. Oft kaufen Bürgermeister oder Landräte diese zusätzlich ein, um die Arbeit der Vereine vor Ort zu unterstützen. Wichtig ist bei diesen Vereinen aber auch, dass deren hauptamtliche Strukturen erhalten bleiben, um die Mitglieder weiter zu erreichen und vor allem die jeweiligen Zielgruppen weiterhin betreuen oder unterstützen zu können.

Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen werden meist von Vereinen mit hohem ehrenamtlichen Aufwand getragen. Sie fordern zu Recht eine Finanzierung pro Platz. Es ist leider eine traurige Wahrheit, dass gerade jetzt viel mehr Unterbringungsmöglichkeiten für Frauen und Kinder notwendig sind. Wir brauchen deshalb dringend kreative Sofortlösungen für mehr Schutzwohnungen. Schon seit Langem fordern die Verbände die Erhöhung der Platzzahlen in den Frauenhäusern. Das ist also nicht neu, aber unter Corona wird diese Notwendigkeit leider auf dramatische Weise deutlich.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Frauenzentren und Opferberatungseinrichtungen fehlt derzeit meist das Geld, das sie an Einnahmen aus Vortragsund Seminararbeit erzielten. Dies sollte ihnen vollständig ersetzt werden. Ihnen fehlen zudem aber auch Einnahmen aus Bußgeldern, da derzeit auch weniger Gerichtsverfahren stattfinden.

Zahlreiche Vereine führen Maßnahmen zur beruflichen Integrationdurch, die aktuell aber nicht stattfinden können. Dadurch entstehen große Löcher im Budget.

Jugendhilfe kann meist nicht mit 2 m Abstand durchgeführt werden. Auch hier fehlt es an entsprechender Schutzausrüstung.

Ehrenamtliche familienentlastende Dienste für Menschen mit Behinderungen finden derzeit nicht statt. Soll dieser Bereich nicht ganz wegbrechen, dann brauchen die Vereine weit mehr als einmalig 10.000 € zum Überleben.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Ambulante Hilfen können zudem nicht im üblichen Umfang durchgeführt werden. Zum Beispiel können keine Lernhilfen stattfinden, die über Bildungs- und Teilhabepakete finanziert werden, außer in den wenigen Fällen, wo die Lernhilfe online stattfindet. Hier ist mehr als nur Geld gefordert.

Ambulante Hospizdienste sind bei der Zuteilung von Schutzausrüstung völlig vergessen worden. Familienbildung, Unterstützung von Menschen mit demenziellen Erkrankungen etc. – hier liegt vieles auf Eis. Der Gefahr, dass derzeit wichtige Strukturen zerstört werden, muss jetzt entschieden begegnet werden. Da brauchen wir individuell zugeschnittene Programme; das geht nicht mit der Gießkanne.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Bei den Tafeln hat das Land bereits 1,25 Millionen € für die Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Das ist gut. Die Helfer und Helferinnen der Tafeln sind vielfach Ehrenamtliche, die selbst zur Corona-Risikogruppe zählen.

Tierschutzvereine, die auch Betreiber von Tierheimen sind, beklagen eine erhebliche Verringerung des Spendenaufkommens und die Reduzierung der Vermittlung von Tieren. Hier muss jetzt unbedingt über eine dauerhafte Zuschusserhöhung durch die Kommunen nachgedacht werden

Zuletzt will ich auch die seit Wochen leer stehenden Jugendherbergen ansprechen. Der hessische Jugendherbergsverband hat angeboten, die Einrichtungen für obdach- und wohnungslose Menschen und auch für Frauen, die aufgrund von Gewalt aus ihren Wohnungen heraus müssen, zu öffnen. Hier ist immer noch keine Lösung gefunden worden. 111 Jahre besteht das Jugendherbergswerk in diesem Jahr – das darf es nicht alles gewesen sein. Meine Damen und Herren, da haben wir Verantwortung; sie muss auch wahrgenommen werden.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. An all diesen Beispielen habe ich versucht aufzuzeigen, wie vielschichtig sich derzeit die Problemlage in den gemeinnützigen Vereinen darstellt. Da ist es gut, dass es jetzt endlich ein Soforthilfeprogramm gibt.

Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Hermann Schaus (DIE LINKE):

Mein letzter Satz, Herr Präsident. – Geld allein, noch dazu in dieser geringen Zuschusshöhe, reicht aber bei Weitem nicht aus, die bestehenden Vereinsstrukturen auch tatsächlich zu erhalten.

(Beifall DIE LINKE)