Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Hermann Schaus zu den Angriffen auf Polizei und Einsatzkräfte in Hessen II

Hermann Schaus
Hermann SchausInnenpolitik

Auf Antrag der CDU diskutierte der Hessische Landtag in seiner 46. Plenarsitzung am 25. Juni 2020 auch in einer zweiten Debatte über Gewalt gegen Polizist*innen. Dazu die Rede unseres innenpolitischen Sprechers Hermann Schaus.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die Randale in Stuttgart hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Auch in Hessen kam es z. B. vor einigen Wochen in Dietzenbach zu geplanten Angriffen auf Polizei und Rettungskräfte. Wie Sie wissen, habe ich mich in der Vergangenheit des Öfteren bei diesem Thema auf Experten bezogen; das will ich auch heute tun. Um die Dinge etwas einzuordnen, zitiere ich Prof. Dr. Rafael Behr. Er war 15 Jahre lang Polizist und lehrt heute unter anderem Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei in Hamburg.

Herr Prof. Behr hat am 22. Juni, also vor drei Tagen, live in den „Tagesthemen“ darauf hingewiesen, dass es in Stuttgart einen unvorhersehbaren Ausbruch an Gewalt gegeben habe. Solche Ausbrüche habe es in der deutschen Geschichte leider immer wieder gegeben. Die Zahlen, mit denen das BKA eine angebliche Zunahme von Gewalt gegen Polizeikräfte belegen möchte, seien – so seine Worte – mit Vorsicht zu betrachten.

Erstens seien Taten erfasst worden, die vor wenigen Jahren noch nicht zu erfassen waren – Stichwort: die Änderung in § 114 StGB. Zweitens bewerte die Polizei im Bericht des BKA Handlungen als Gewalt, die zu keinerlei Verletzung geführt hätten. Zitat von Prof. Behr: „Das muss man etwas runterkochen und nüchtern betrachten.“

Die „Tagesthemen“ fragten dann:

Sie würden sagen, die Gewalt nimmt gar nicht in dem Maße zu, wie die Politik in diesen Tagen behauptet?

Antwort von Prof. Behr:

Genau, das ist wahr. Nicht in dem Maße, wie es die Politik behauptet, wie es auch Interessengruppen behaupten, die natürlich etwas davon haben, zu sagen: Die Gewalt steigt. – Das ist aber ein unkluger Ratgeber, immer nur darauf zu schauen, welche Vorteile man selbst davon hat, diese Gewaltspirale zu bedienen.

Prof. Behr sprach sich im Weiteren dagegen aus, so zu tun, als gäbe es in Deutschland kein Problem mit Rassismus und Gewalt, auch bei der Polizei.

Zitat von Prof. Behr:

Ganz sicher nicht in dem Ausmaß, wie wir das aus den USA kennen, aber das ist überhaupt kein Grund … zu sagen: Hier passiert gar nichts.

Prof. Behr bezieht auch Stellung zur Anzeige, die – das ist auch schon angesprochen worden – nach dem Willen von Bundesinnenminister Horst Seehofer gegen die Zeitung „taz“ gestellt werden soll. Herr Behr wendet sich zwar entschieden gegen den entsprechenden Artikel in der „taz“ – das tue ich im Übrigen auch, Satire hin oder her –,

(Zuruf: Das ist keine Satire! – Holger Bellino (CDU): Das ist eine Sauerei!)

aber er sagt auch:

Ich halte diese Stellungnahme auch für unterirdisch. Ich würde mich nicht damit identifizieren, aber das Strafrecht ist sicherlich nicht geeignet, um hier einen Vorteil zu erzielen für die Polizeibeamten – im Gegenteil. … Ich bin sehr dafür, die Menschenwürde auch von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten hochzuhalten, aber nicht mit den Mitteln des Strafrechts.

Meine Damen und Herren, ich kann mich den Ausführungen des langjährigen Polizisten und Polizeiwissenschaftlers Prof. Behr nur anschließen. Ausschreitungen wie in Stuttgart oder in Dietzenbach sind inakzeptabel, und niemand wird sie rechtfertigen. Man muss die Täter finden und bestrafen, aber die ewige Debatte um Strafrechtsverschärfungen ist – um es mit dem Lieblingswort von Herrn Bellino zu beschreiben – purer Populismus.

(Beifall DIE LINKE)

So zu tun, als seien Polizeibeamte das primäre Opfer von Hass und Gewalt, geht völlig an der Realität vorbei. Ja, das gibt es, aber es ist nicht das primäre Problem – im Gegenteil: Die Polizei ist auch weiterhin beliebt und anerkannt. Lassen Sie uns also die Dinge so benennen, wie sie sind, und sachgerecht und angemessen damit umgehen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE – Jan Schalauske (DIE LINKE): Das war eine hervorragend sachliche Rede!)