Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Hermann Schaus zur Ladenöffnung

Hermann Schaus zur Ladenöffnung

Hermann Schaus
Hermann SchausKommunalesWirtschaft und Arbeit

In seiner 26. Plenarsitzung am 10. Dezember 2019 diskutierte der hessische Landtag zum zweiten Mal über ein neues Ladenöffnungsgesetz zur Sonntagsöffnung. Hier die Rede von Hermann Schaus dazu.

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Ich war etwas überrascht, dass ich so früh drangekommen bin, weil es zwei Antragsteller gibt. Aber sei es drum.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute neben dem FDP-Gesetzentwurf vor allem über einen von der Koalition kurzfristig in der vergangenen Ausschusssitzung gravierend veränderten Gesetzentwurf der Landesregierung. Die Veränderungen, die CDU und GRÜNE kurzfristig in die Ausschusssitzung einbrachten und die in § 6 vorgenommen werden sollen, konterkarieren den vorgelegten Entwurf der Landesregierung. Mit den scheinbar nur unwesentlichen Veränderungen wird die bisherige Diskussion zur Sonntagsöffnung quasi auf den Kopf gestellt. Dieser parlamentarischen Überfallaktion setzen wir unseren Änderungsantrag entgegen und fordern damit die Rücknahme der vorgenommenen Änderungen.

(Beifall DIE LINKE)

Zum Vorgehen von CDU und GRÜNEN schreibt die aus Kirchen und Gewerkschaften bestehende Allianz für den freien Sonntag: Beide Landtagsfraktionen scheinen durch eine relativ harmlos wirkende Korrektur ihres eigenen Ursprungstextes zur Novellierung des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes zu versuchen, die durch die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts vorgegebene höhere Verbindlichkeit bei der Vergabe von Sondergenehmigungen für verkaufsoffene Sonntage überlisten zu wollen. – Ich finde, „überlisten“ ist genau der richtige Begriff für das Vorgehen der Koalitionsfraktionen.

(Beifall DIE LINKE)

Denn mit der beantragten Änderung werden die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für eine anlassbezogene Sonntagsöffnung, die letztendlich zu einer Rechtsklarheit führten, gezielt verwässert, wie der juristische Berater der Allianz für den freien Sonntag, Dr. Kühn, in einer ersten Stellungnahme darlegte. Durch die Einfügung des Wortes „insbeso dere“ in § 6 Abs. 1 werden die danach aufgeführten Kriterien zu reinen Regelbeispielen herabgestuft. Hierzu heißt es in einer Stellungnahme: Dies bedeutet, dass nach der Änderung eine prägende Wirkung der Anlassveranstaltung zwar weiterhin anhand der Kriterien – zeitlicher Bezug, räumlicher Bezug und Besucherverhältnisse – festgelegt werden kann,

(Michael Boddenberg (CDU): Richtig!)

die Festlegung der prägenden Wirkung aber auch anhand anderer Prüfungsmaßstäbe möglich ist. Damit würden die bisher beabsichtigten klaren gesetzlichen Voraussetzungen für Sonntagsöffnungen wieder aufgeweicht und für andere Maßstäbe geöffnet. Vielleicht ist gerade dies beabsichtigt. Möglicherweise wurde hierzu insbesondere der genannte sprachliche Kniff verwendet. Doch niemand sollte sich dadurch auf eine falsche Fährte locken lassen. Denn die Herabstufung der Voraussetzungen zu einem Regelbeispiel widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. So stellt es Dr. Kühn fest. In einer aktuellen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu anlassbezogenen Sonntagseröffnungen vom 12. Dezember 2018 – Aktenzeichen 8 CN 1.17 – heißt es in den Leitsätzen – Zitat –: Eine Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen aus Anlass einer Veranstaltung … genügt Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV nur, wenn die Veranstaltung das öffentliche Bild des Sonntags prägt und die Ladenöffnung sich als deren Annex darstellt. Dies setzt notwendig – und nicht nur im Regelfall – voraus, dass die Veranstaltung für sich genommen prognostizierbar einen erheblichen Besucherstrom anzieht, der die bei eine alleinigen Ladenöffnung – ohne die Veranstaltung – zu erwartende Besucherzahl übersteigt. Aus dem Einschub „und nicht nur im Regelfall“ ergibt sich also, dass die mit der Änderung beabsichtigte Herabstufung zu einem reinen Regelbeispiel mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in Einklang steht. Die von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Nachgang zur Anhörung vom 17. Oktober 2019 im Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss vorgenommenen Änderungen werden die sich aus dem Grundgesetz ergebe den Anforderungen und die bereits bestehende Rechtssicherheit – die gibt es nämlich bei der Freigabe verkaufsoffener Sonntage – ohne Not wieder aufgeben. Sie wissen auch, dass das so ist.

In der Folge könnten die Städte und Gemeinden auch weiterhin nicht mit größerer Gewissheit auf die Rechtmäßigkeit ihrer Sondergenehmigung hoffen. Sie werden sehr bald erkennen: Aus einem Mehr an Rechtssicherheit wurde durch das Wort „insbesondere“ wieder zunehmend Rechtsunsicherheit. Die Anzahl der gerichtlichen Auseinandersetzungen wird also wieder ansteigen. Deshalb muss die Änderung rückgängig gemacht werden. Deshalb brauchen wir eine erneute Beratung im Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss und eine dritte Lesung, die ich hiermit beantrage.

(Beifall DIE LINKE)

Darüber hinaus verlangen wir mit unserem Änderungsantrag auch, die bisherigen Öffnungszeiten von Montag bis Samstag von 0 bis 24 Uhr einzuschränken. Die bisher gesetzlich erlaubten Öffnungszeiten für Verkaufsstellen fördern nicht, sondern sie hemmen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Einzelhandelsbeschäftigten; das sind immerhin 240.000 in Hessen. Über 80 % davon sind Frauen, auf denen die Hauptlast langer Öffnungszeiten liegt. Zunehmend sind sie nicht mehr in Vollzeit, sondern oft und unfreiwillig in Teilzeit mit ständig weiter verringertem Arbeitsvolumen tätig. Das von ihnen wie selbstverständlich geforderte Höchstmaß an Flexibilität beim Einsatz an Werktagen widerspricht der ihnen gleichermaßen immer noch geschlechterspezifisch zugewiesenen Fürsorgepflicht für eine verantwortungsvolle Betreuung der Kinder.

(Beifall DIE LINKE)

Die Verkäuferinnen geraten durch immer längere Öffnungszeiten in Bedrängnis. Ist das Geschäft beispielsweise von 7 bis 22 Uhr geöffnet, bedingt dies in der Frühschicht nicht selten einen Arbeitsbeginn schon um 5 oder 6 Uhr und in der Spätschicht ein Arbeitsende erst um 22:30 Uhr oder 23 Uhr. Zu diesen frühen und späten Zeiten findet sich aber keine Tagesstätte zur Betreuung der Kinder. Die Folge ist häufig, dass Mütter in der Frühschicht ihre Kinder alleine zur Kindertagesstätte oder Schule gehen lassen müssen. Wenn sie in der Spätschicht sind, müssen die Kinder ebenfalls alleine nach Hause finden und sich versorgen, bis die Mutter oder der Vater die Arbeit beendet hat. Hier muss und hier kann der Landesgesetzgeber handeln. Deshalb wollen wir die Ladenöffnungszeiten wie folgt neu festlegen: montags bis freitags von 7 bis 20 Uhr und an Samstagen von 7 bis 16 Uhr. Ein Blick nach Bayern genügt, um festzustellen, dass solche Öffnungszeiten möglich sind und nicht zu Versorgungsproblemen führen.

(Beifall DIE LINKE)

Darüber hinaus fordern wir die Einführung eines Verbots von Samstagsarbeit an mindestens zwei Samstagen pro Monat für die Beschäftigten im Einzelhandel. Die von uns vorgeschlagene neue Regelung des Abs. 4 entspricht nahezu wörtlich § 12 Abs. 3 des Thüringer Ladenöffnungsgesetzes vom 24. November 2006. Es war wohl eine CDURegierung, wenn ich mich recht erinnere, die das damals in Thüringen eingeführt hat.

(Zuruf Michael Boddenberg (CDU))

Herr Boddenberg, diese Regelung wurde im Übrigen ausdrücklich vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14. Januar 2015 für verfassungsgemäß erklärt; sie wurde nämlich bestritten. Dort heißt es – ich zitiere –: Die Regelung des thüringischen Ladenöffnungsgesetzes, nach der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Verkaufsstellen im Regelfall an mindestens zwei Samstagen im Monat nicht beschäftigt werden dürfen, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. …

(Michael Boddenberg (CDU): Das hatte doch gar keiner! Trotzdem Blödsinn!)

Eine Gesetzgebungskompetenz des Landes ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, denn der Bund …

Vizepräsidentin Karin Müller: Herr Abg. Schaus, ich bin noch nicht so in Weihnachtsstimmung wie der Vizepräsident Dr. Hahn. Sie müssen zum Ende kommen.

(Michael Boddenberg (CDU): Da merkt man mal, wie weit weg vom Einzelhandel Sie sind!)

Hermann Schaus (DIE LINKE): Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. Lassen Sie mich bitte noch das Zitat zu Ende bringen.

(Michael Boddenberg (CDU): So ein Blödsinn!)

Die Vorschrift ist auch materiell mit der Verfassung vereinbar; insbesondere ist der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Beschwerdeführerin verhältnismäßig. Aus all diesen genannten Gründen fordern wir eine Veränderung

(Michael Boddenberg (CDU): Es geht doch nicht um die Verfassung! Es geht um die Einzelhändler!)

des bestehenden Ladenöffnungsgesetzes und auch eine Konkretisierung hinsichtlich der Öffnungszeiten und des Samstagsschutzes. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)