Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske - Baukosten senken? Bodenspekulation beenden!

Jan SchalauskeWohnen

In seiner 87. Plenarsitzung am 10. November 2021 diskutierte der Hessische Landtag über den Anstieg der Baukosten. Dazu die Rede unseres Vorsitzenden und wohnungspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auf Antrag der SPD-Fraktion diskutieren wir hier und heute über steigende Baukosten, insbesondere beim Wohnungsbau. Das  ist zweifelsohne ein wichtiges Thema. Die bisherige Debatte hat auch gezeigt, dass es da durchaus einen gewissen fraktionsübergreifenden Konsens gibt. Ich glaube, niemand im Haus möchte, dass Bauen behindert wird. Niemand möchte Kapazitäts- und Lieferengpässe, Preissteigerungen bei Baumaterialien oder einen sich verschärfenden Fachkräftemangel. Dazu wurde in der Debatte schon eine Reihe an Zahlen genannt. Niemand möchte, dass Kostenpläne überschritten werden, dass Bauvorhaben sich verzögern oder sogar ganz abgesagt werden müssen. Ich glaube, an diesem Punkt gibt es hier durchaus eine Menge Einigkeit. Natürlich ist es grundsätzlich immer sinnvoll, wenn verschiedene Akteure, die auf diesem Feld aktiv sind, sich zusammensetzen und über Lösungen sprechen. Das ist überhaupt kein Thema. Natürlich kann man auch, wie es im Antrag heißt, sagen: Da sollte die Landesregierung eine „Koordinations- und Moderationsrolle“ einnehmen. – Auch dagegen kann man nichts haben. Wichtig allerdings wäre – da möchte ich doch ein paar andere Akzente setzen –, worüber bei einem solchen Baukostengipfel gesprochen wird. Ich finde, wenn wir nun zum Ende der Debatte kommen, muss man doch einige Punkte, die hier genannt werden, vom Kopf auf die Füße stellen. Zum einen – das klang in einigen Redebeiträgen an – dürfen im Windschatten der Diskussion um die Baukosten nicht, wie es in der Vergangenheit durchaus der Fall war, insbesondere auch bei Vorstößen der FDP, wichtige Regeln und Standards infrage gestellt werden. Davon sagt der SPD-Antrag erst einmal glücklicherweise nichts, aber ich möchte es für DIE LINKE ausdrücklich festhalten. Über Barrierefreiheit haben wir gestern diskutiert. Energetische Standards sind für uns nicht verhandelbar, meine Damen und Herren, und dürfen auch in Debatten über steigende Baukosten nicht zur Disposition gestellt werden. (Beifall DIE LINKE) Solche Festlegungen sind sehr wichtig; denn natürlich hat der Klimaschutz Auswirkungen auf die Baukosten. Da gibt es niemanden, der etwas anderes behauptet. Das wird in den nächsten Jahren eher zunehmen – schauen Sie sich einmal die Zahlen vom VdW an –, gerade wenn wir daran denken, dass es mehr Nachfrage an Holz gibt und dass der Klimakiller Zement hoffentlich an Bedeutung verliert. Meine Damen und Herren, das sind alles Kosten, die sich die Gesellschaft leisten muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, teurer als Klimaschutz ist gar kein Klimaschutz. (Beifall DIE LINKE) Für uns stellt sich am Ende die Frage, wer für den Klimaschutz bezahlt. Sind es die Mieterinnen und Mieter, Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen, für die Bauen und Wohnen immer unerschwinglicher wird? Wir sagen, für den Klimaschutz sollen diejenigen bezahlen, die in den vergangenen Jahren durch steigende Immobilienpreise ihre Einkommen und Vermögen verbessern konnten. Deswegen brauchen wir eine gerechtere Besteuerung und eine öffentliche Unterstützung, damit die Jahrhundertaufgabe Klimaschutz sozial gestaltet und eine weitere Vertiefung der Spaltung unserer Gesellschaft verhindert werden kann. (Beifall DIE LINKE) Warum sage ich das so ausdrücklich? Das ist in der bisherigen Debatte kaum zur Sprache gekommen. Auch der Antrag der SPD lässt einen kritischen Blick auf Gewinner und Verlierer der steigenden Baukostenentwicklung vermissen. Immerhin hat Kollegin Elke Barth in ihrer Rede vorhin gesagt, steigende Baupreise bedeuteten, dass letztlich Mieterinnen und Mieter belastet werden. Ich finde, das ist eine wichtige Perspektive, die in dieser Debatte viel zu kurz gekommen ist. Nun möchte ich etwas zu dem sagen, worüber hier sehr viel mehr gesprochen wurde, nämlich zu der Perspektive, die der Antrag der SPD einnimmt, die aber auch im Antrag von CDU und GRÜNEN enthalten ist. Wir haben den Eindruck, er nimmt viel zu stark die Perspektive des Verbandes der Wohnungswirtschaft ein. Er macht sich sozusagen deren Forderungen zu eigen. Sie fordern also weniger staatliche Regulierung und vor allem mehr Geld. Diese Perspektive ist für uns nicht überzeugend. Natürlich ist es richtig, beim Thema Bauen und Wohnen auch die Perspektive der Immobilienwirtschaft zu berücksichtigen. Die Politik sollte diese Perspektive aber nicht einfach unkritisch übernehmen. Von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hätte ich da nichts anderes erwartet, von der FDP sowieso nicht. Vom Antrag der SPD hätte ich mir jedoch ein bisschen mehr kritische Perspektive auf die Forderung der Immobilienwirtschaft gewünscht. (Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten)) Das will ich Ihnen auch einmal erläutern. Schauen wir uns doch an, wie die Bauwirtschaft selbst die Entwicklung beurteilt. Ich zitiere den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Dieser sagt: Für die Deutsche Bauindustrie ist die Preissteigerung seit 2006 auch Ausdruck einer allmählichen Normalisierung auf dem deutschen Baumarkt. Sie spiegelt nicht nur Veränderungen auf der Kostenseite wider, sondern bildet auch die verbesserte Marktstellung der Bauunternehmen ab. Nach Jahren der Baukrise … sind die Unternehmen wieder in der Lage, die Risiken des Baugeschäfts angemessen zu bepreisen. Ich will es einmal mit anderen, mit weniger wolkigen Worten formulieren: In dem gigantischen Bau- und Immobilienboom, den wir in Deutschland in den vergangenen zehn bis 15 Jahren erlebt haben, kann sich die Bauindustrie wie die Immobilienbranche insgesamt ordentlich gesundstoßen. Niemand nagt da am Hungertuch. Niemand braucht Sonderförderprogramme. Schauen Sie sich die Geschäftszahlen im Baugewerbe an. Volumen, Umsatz, Rendite, Eigenkapitalquote, Beschäftigtenzahlen, überall jagt ein Rekord den nächsten. Wenn sich sogar der Hauptverband der Bauindustrie auf einem guten Kurs sieht, dann zeigt das doch eines, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Idee, „Bauen, Bauen, Bauen“ würde zu sinkenden Preisen führen, geht nicht auf. Im Gegenteil, die Preise und die Unternehmensprofite steigen. Deswegen ist es richtig, dass die Hauptverantwortlichen für die positive Entwicklung dieses Sektors, nämlich die Beschäftigten, selbstbewusst ihren Anteil einfordern. Die Tarifeinigung im Baugewerbe zeigt, dass Spielräume vorhanden sind. Es lohnt sich, gemeinsam für gute Arbeit und gute Löhne zu kämpfen. Das ist ein wichtiges Signal und treibt nicht die Preise in die Höhe. Vielmehr fordern die Hessischer Landtag · 20. Wahlperiode · 87. Sitzung · 10. November 2021 6985 Beschäftigten ihren gerechten Anteil ein. Von unserer Fraktion senden wir solidarische Grüße. (Beifall DIE LINKE) Jetzt komme ich zum wichtigsten Punkt, bei dem ich die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen möchte. Der eigentliche Punkt, der uns am Antrag der SPD stört, ist, dass der eigentliche Preistreiber am Wohnungsmarkt in der bisherigen Debatte kaum zur Sprache gekommen ist. Das betrifft die Spekulation mit Grund und Boden. Der einzige Kollege, der das benannt hat, war Kollege Naas von der FDP, der das etwas freundlich umschrieben hat mit der Flucht in die Sachwerte. So kann man das auch formulieren. Es geht also um die Spekulation mit Grund und Boden und den damit einhergehenden gigantischen Anstieg der Grundstückspreise. Darüber müssen wir doch sprechen, wenn es um steigende Kosten beim Neubau und einen massiven Mangel an bezahlbarem Wohnraum geht, aber nicht über irgendwelche Corona-Ausbrüche in chinesischen Containerhäfen oder die Blockade des Suezkanals. Wir müssen über steigende Grundstückspreise reden. Diese explodierenden Bodenpreise, insbesondere in den Großstädten, sind nichts Neues. Die sind schon seit Langem bekannt. Hierzu möchte ich einen Experten heranziehen, und zwar Hans-Jochen Vogel, den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt München und SPD-Vorsitzenden. Er hat am Beispiel München ausgerechnet, dass die Bodenpreise in München seit 1950 um nicht weniger als 39.390 % gestiegen sind. Sie haben richtig gehört: 39.390 %. In München liegt der Grundstücksanteil am Preis einer Neubauwohnung bei bis zu 70 % des Kaufpreises. Das muss man sich einmal vorstellen. München ist kein Einzelfall. Laut Statistischem Bundesamt haben sich die Preise für Baulandgrundstücke in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich um 102 % erhöht. Im Schnitt kostet der Quadratmeter baureifes Land in Großstädten aktuell über 1.000 €. Wer sich hin und wieder die aktuellen Bodenrichtwerte anschaut, der wird sehen, dass es in zentrumnahen Wohnvierteln in Frankfurt am Main gerne einmal 6.000 € bis 8.000 € pro Quadratmetersind. Es ist doch vollkommen klar: Unter diesen Bedingungen kann doch kein bezahlbarer Wohnraum entstehen. Das ist nicht vorgesehen; denn es geht beim Geschäft mit Betongold um möglichst hohe Renditen, um die Flucht in die Sachwerte. Dies lässt sich nun einmal am besten mit Bodenspekulation, mit teuren Eigentumswohnungen oder mit Luxusmodernisierungen realisieren. Die Bedürfnisse von Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen, die Tatsache, dass laut Landesregierung 45 % der Mieterhaushalte in Hessen eigentlich Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten, das alles spielt gar keine Rolle. Das ist der eigentliche Skandal, der hinter explodierenden Bodenpreisen steht, und damit werden wir uns als LINKE niemals abfinden. (Beifall DIE LINKE) Zum Schluss will ich sagen: Natürlich kann man etwas unternehmen: kein Verkauf mehr von öffentlichen Grundstücken, eine aktive Ankaufs- und Vorkaufspolitik durch den Bund, Bodenpreisdeckel, Bodenwertzuwachssteuer. Da gibt es viele Vorschläge, wie man gegen die Immobilienspekulation und vor allem gegen die Spekulation mit Grundstücken vorgehen kann. Das alles hat in dieser Debatte viel zu wenig eine Rolle gespielt. An diesen Punkten müssen wir Maßnahmen ergreifen. Sonst wird sich auch nichts an den steigenden Baupreisen ändern. (Beifall DIE LINKE)