Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske - DIE LINKE steht dem Fall der Schuldenbremse nicht im Weg

Jan Schalauske
Jan SchalauskeCoronaHaushalt und Finanzen

In seiner 47. Plenarsitzung am 30. Juni diskutierte der Hessische Landtag zum zweiten Mal darüber, dass die die benötigte 2/3-Mehrheit zur Aussetzung der Schuldenbremse abgeschafft werden soll. Nötig wir dies, da sich die Landesregierung mit Teilen der Opposition nicht auf ein gemeinsames Vorgehen für ein Corona-Hilfspaket einigen konnte. Dazu die Rede unseres haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Mit Blick auf die vorangegangene Debatte möchte ich eine Vorbemerkung zu den Rechten des Parlaments machen. Nach meiner Kenntnis der verfassungsmäßigen Ordnung kann eine Änderung an einem einfachen Gesetz im Hessischen Landtag auch mit einer einfachen Mehrheit des Hessischen Landtags beschlossen werden.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Genau!)

Das kann einem gefallen, das kann einem auch nicht gefallen.

(René Rock (Freie Demokraten): Dieses Mal schon, ne? – Janine Wissler (DIE LINKE): Dieses Mal geht es!)

CDU und GRÜNE beschließen hier ständig Gesetze und Anträge, die mir meistens überhaupt nicht gefallen. Formal ist es aber so, dass es zunächst ein banaler Vorgang ist. So weit zu den Formalien.

Viel interessanter wird es, wenn man sich den Inhalten zuwendet. Die von Schwarz-Grün beabsichtigte Veränderung, die Änderung der Zweidrittelregelung, ist inhaltlich alles andere als banal; denn sie könnte der Anfang vom Ende der Schuldenbremse sein. Daran werden wir arbeiten.

(Beifall DIE LINKE und Freie Demokraten – Zurufe)

Es ist auch deswegen nicht banal, weil bei allen Diskussionen um formale Abläufe Menschen, die politisch aktiv sind – insbesondere wie im Hessischen Landtag –, daran gemessen werden, was sie vorher politisch eingefordert haben. Zumindest die hessische CDU muss sich bei der Vorlage dieser Änderung der Einschätzung aussetzen, dass sie diese Änderung nicht aus tiefsten politischen Überzeugungen vornimmt, sondern vor allem aus machtpolitischen Erwägungen. Das zeigt allein ein Blick auf ihre Verlautbarungen der letzten zehn Jahre. 2013 war es die CDU, die diese Zweidrittelregelung auf Vorschlag der FDP unbedingt wollte. Der Kollege Pentz konnte seine Begeisterung

(Zuruf Manfred Pentz (CDU))

für dieses wegweisende Quorum im Hessischen Landtag kaum unterdrücken. Es war die hessische CDU, die uns zehn Jahre lang gepredigt hat, dass es darum geht, die schwarze Null und die Schuldenbremse in diesem Land brutalstmöglich durchzusetzen. Wenn Sie jetzt mit einer solchen Änderung kommen, dann ist das alles andere als glaubwürdig.

(Beifall DIE LINKE)

Auch die hessischen GRÜNEN, die 2013 gegen die Zweidrittelregelung waren, sollten in dieser Debatte kleinere Brötchen backen; denn sie waren es auch, die einst das Hohelied der Schuldenbremse fröhlich geträllert und der hessischen Bevölkerung jahrelang das Märchen von den bösen Schulden und der vermeintlichen „Generationengerechtigkeit“ erzählt haben. Wenn man Sie alle als einstige Befürworter der harten Schuldenbremse an Ihren eigenen politischen Maßstäben misst, bekommen Sie von CDU und GRÜNEN mit dieser anvisierten Gesetzesänderung ein verdammt dickes Glaubwürdigkeitsproblem.

(Beifall DIE LINKE)

Da kommt die erste dicke Krise, und die von Ihnen zu verantwortende Schuldenbremsenarchitektur bricht jämmerlich in sich zusammen. Meine Damen und Herren, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben.

Aber kommen wir zurück zum Anfang vom Ende der Schuldenbremse. Wie Sie sich vorstellen können, stehen wir dieser Änderung allein deshalb nicht im Weg, weil wir die Schuldenbremse grundsätzlich ablehnen und weil wir es für richtig halten, dass eine Mehrheit des Landtags wieder das Recht haben sollte, über die Aufnahme von Krediten für Investitionen in Notsituationen entscheiden zu können. Wir waren schon immer dagegen, dass die Ausnahme von der Schuldenbremse nur von zwei Dritteln im Landtag beschlossen werden kann.

Ich möchte noch einmal daran erinnern: Bei der Einbringung dieses Gesetzes war es auch der SPD-Abgeordnete Schmitt, der so weit ging, anzudeuten, dass dieses Zweidrittelquorum sogar verfassungsrechtlich bedenklich sein könnte. Die SPD war damals gegen diese Zweidrittelregelung. Heute deutet die SPD an – teilweise zumindest –, dass die Abschaffung dieser Zweidrittelmehrheit verfassungsrechtlich bedenklich sein könnte. Da fragt man sich: Ja, wie denn nun?

(Zuruf Stephan Grüger (SPD))

Wo ist der Unterschied? Wie ist das heute? Ich halte beides für falsch. Das geforderte Zweidrittelquorum für die Schuldenbremse war Unsinn. Es war aber leider zulässig. Schon in der damaligen Anhörung – wir werden heute im Haushaltsausschuss noch das Vergnügen haben, uns diese Anhörungsunterlagen sehr intensiv zu Gemüte zu führen –

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Sadist!) hat diese Regelung bei vielen Anzuhörenden für völlige Verwunderung gesorgt. Sie haben damals schon gesagt: Es ist doch klar, dass der Landtag bei der ersten Gelegenheit gezwungen sein wird, diese Regelung mit einfacher Mehrheit abzuschaffen.

Wenn ich auf das politische Verhalten von SPD und FDP blicke, habe ich ein bisschen den Eindruck, dass es nicht allein um die Frage der Zweidrittelregelung ging, sondern dass SPD und FDP auch ein wenig gekränkt sind, weil sie am Tisch der Regierungsfraktionen, CDU und GRÜNE, eben keinen Platz bekommen haben. Da wären Sie gerne dabei gewesen, und jetzt stellen Sie sich ein Stück weit auf die Hinterfüße.

(Zurufe Freie Demokraten)

– Jetzt hören Sie mir einmal zu, ich habe Ihnen auch sehr sorgfältig zugehört. – In diese Debatte führen Sie dann das Argument der Transparenz ein. Auch die Regierenden sprechen ständig von Transparenz. Ich will Sie einmal fragen: Wie transparent ist eigentlich eine auf Jahre angelegte Haushaltskonzeption, die in Kungelrunden hinter den verschlossenen Türen von nur vier der fünf demokratischen Fraktionen im Landtag besprochen wird? Wie transparent sind eigentlich solche Kungelrunden? Wir finden sie wenig transparent.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf: Sie sind aber keine demokratische Fraktion! – Zuruf SPD)

Mein Kollege Willi van Ooyen hat im Jahr 2013 Folgendes gesagt – ich hatte es bei der letzten Debatte schon zitiert –: Bei einer Zweidrittelregelung, die mit einfacher Mehrheit geändert werden könne, handele es sich um einen ziemlich irrationalen Vorschlag, der wahrscheinlich irgendwann nur als Verhandlungsmasse dienen werde. Ich kann mit Blick auf die heutigen Ereignisse nur feststellen, wie recht unser Willi damals gehabt hat.

(Beifall DIE LINKE)

Bei der Verabschiedung des Artikel 141-Gesetzes durch CDU und FDP im Jahr 2013 war die SPD in dieser Hinsicht schon weiter. Sie haben die Zweidrittelregelung abgelehnt. Heute suggerieren die hessischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass die Gesetzgebung in Hessen in Richtung der Gesetzgebung in autoritären Staaten rücken würde. Solche Analysen sind da, wo sie eine Virulenz haben, dringend notwendig. An dieser Stelle erscheinen sie mir aber sachlich wenig geboten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Klatschen Sie nicht zu früh, liebe GRÜNE. – Ich will das Stichwort „autoritäre Entwicklung“ gerne aufgreifen. In der kritischen politischen Ökonomie – einem eher im angelsächsischen Raum verbreiteten Zweig der Wissenschaft von Politik und Wirtschaft – werden Instrumente zur Verhinderung einer expansiven Fiskalpolitik im internationalen Maßstab seit geraumer Zeit als disziplinierender oder autoritärer Neoliberalismus bzw. neuer Konstitutionalismus verhandelt. Es geht also darum, eine bestimmte ökonomische Politik mithilfe von rechtlichen Mitteln abzusichern, sie zukünftigen demokratischen Entscheidungen zu entziehen. Ich habe den Eindruck, dass es sich lohnen würde, die Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz und in der Hessischen Verfassung als lokalen Ausdruck solcher autoritären neoliberalen Tendenzen wissenschaftlich zu überprüfen.

(Beifall DIE LINKE)

Der breiten Mehrheit hier im Haus ging es bei der Einführung der Schuldenbremse letztlich um die Verrechtlichung einer Politik, die den Sozialstaat in der Konsequenz aushöhlt, die Unternehmen pampert und alle Bereiche des menschlichen Lebens den Gesetzen des Marktes ausliefert. Kritische Ökonomen, Gewerkschafter und Linke haben das immer entschieden abgelehnt, lehnen es heute entschieden ab und werden es auch in Zukunft entschieden ablehnen.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, die schwarz-grüne Landesregierung hat mit dem Gesetz zum Sondervermögen und mit der Änderung der Zweidrittelregelung eingestanden, dass sie in der Realität angekommen ist. Sie hat aber zugleich mit ihren ganzen Entwürfen deutlich gemacht, dass sie keine Idee hat, wie man Hessen in eine bessere Zukunft führen könnte. Die versprochene sozial-ökologische Erneuerung ist nicht mehr als ein fades Lippenbekenntnis einer ideenlosen Koalition des „Weiter so“.

Ich komme damit zum Schluss. Wir wollen einen anderen Weg gehen. Wir wollen Investitionen in Krankenhäuser, in Schulen, in bezahlbaren Wohnraum und in die Energieund Verkehrswende; und wir wollen Hessen sozial und ökologisch umbauen. Wenn an der Schuldenbremse gesägt wird, dann werden wir das Sägen nicht verhindern. Aber seien Sie gewiss: Das Gleiche gilt für diese Landesregierung. Sie haben jetzt eine Stimme Mehrheit; das ist das Ergebnis der Landtagswahl. Diese steht Ihnen – Stand: heute – zu. Jedenfalls wir werden in Zukunft dafür kämpfen, dass die Schuldenbremse überwunden wird und dass diese schwarz-grüne Landesregierung ihr politisches Ende findet.

(Beifall DIE LINKE)