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Rede

Jan Schalauske - DIE LINKE will 8. Mai zum Feiertag erheben

Jan Schalauske
Jan SchalauskeAntifaschismusRegierung und Hessischer LandtagInstagram

Auf unseren Antrag hin debattierte der Hessische Landtag in seiner 39. Plenarsitzung am 6. Mai 2020 darüber, den 8. Mai zum gesetzlichen Gedenk- und Feiertag in Hessen zu erklären. Dazu die Rede unseres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Jan Schalauske:

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass wir hier und heute im Hessischen Landtag über den 8. Mai und seine Bedeutung debattieren müssen, dann ist es das heute zu lesende unsägliche Geschwafel eines Herrn Gauland, für den das Kriegsende – ich zitiere – den „Verlust von großen Teilen Deutschlands“ und den „Verlust von Gestaltungsmöglichkeiten“ bedeutet.

Ich sage es klipp und klar: Diesem Geschichtsrevisionismus, dieser Verherrlichung der Verbrechen des Faschismus muss überall entschieden entgegengetreten werden. Das ist die Pflicht aller Demokratinnen und Demokraten.

(Lebhafter Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Das ist auch eine Lehre des 8. Mai.

Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

So formulierte es kein Geringerer als Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner viel beachteten Rede anlässlich des 40. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Bundestag. Völlig zu Recht hat auch Parlamentspräsident Rhein gestern Bundespräsident Weizsäcker zitiert.

Als am 8. Mai 1945 die Waffen endlich schwiegen und der Zweite Weltkrieg sein Ende fand, lag halb Europa in Schutt und Asche. Das faschistische Deutschland hat einen Vernichtungskrieg entfesselt, dem weltweit 65 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Die Rassenideologie der Nazis gipfelte in dem bis heute unvorstellbaren Verbrechen der Schoah. Allein sechs Millionen Jüdinnen und Juden wurden erschossen oder vergast. Wollte man für jedes Opfer des Holocaust auch nur eine Schweigeminute abhalten, es wäre elf Jahre lang still.

Wenn sich der 8. Mai 1945 in diesem Jahr zum 75. Mal jährt, dann ist das in erster Linie ein Tag, um all derer zu gedenken, die dem verbrecherischen Naziregime und seinen historisch beispiellosen Verbrechen zum Opfer gefallen sind.

(Beifall DIE LINKE, SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig ist es aber auch ein Tag, um Danke zu sagen, Danke den Alliierten der Anti-Hitler-Koalition, den Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee, der US Army, der britischen und französischen Streitkräfte, den Partisaninnen und Partisanen, den Widerstandsgruppen in allen besetzten Ländern, die Nazideutschland in die Knie und zur bedingungslosen Kapitulation zwangen. Sie haben gekämpft, und sie haben Opfer erbracht. Sie sind gestorben, um Europa und Deutschland vom Faschismus zu befreien. Sie sind dafür gestorben, die Menschen aus den Arbeitsund Vernichtungslagern zu befreien, und sie sind auch dafür gefallen, dass wir heute in Frieden und Freiheit leben können. Deshalb ist der 8. Mai ein Tag der Befreiung.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Deshalb sage ich ganz persönlich heute in tiefer Dankbarkeit Spasibo, Thank you und Merci.

Aus guten Gründen hat das Land Berlin mit den Stimmen von LINKEN, SPD und GRÜNEN den 8. Mai 2020 zu einem gesetzlichen Feiertag erklärt. Auch Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen begehen seit einigen Jahren den 8. Mai als offiziellen Gedenktag.

Ich glaube, das ist auch deshalb so wichtig – das haben wir heute von dieser Rechtsaußenfraktion bzw. ihren Kumpanen im Bundestag wieder erlebt –, weil wir erleben, dass das Unsagbare wieder sagbar geworden ist und dass nach dem Sagbaren auch die Grenze des Machbaren bröckelt, weil es wieder Kräfte im Bundestag, aber auch hier im Landtag gibt, die davon reden, den „Schuldkult“ zu beenden, die den Hitlerfaschismus als „Vogelschiss“ bezeichnen und die endlich einen Schlussstrich ziehen wollen. – Nein, es darf und es wird keinen Schlussstrich geben. Das muss die Botschaft auch hier im Hessischen Landtag sein.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich möchte Parlamentspräsident Rhein ausdrücklich recht geben. Der 8. Mai ist eng und untrennbar verbunden mit dem 30. Januar 1933, der Machtübernahme der Nazis. So hat es Parlamentspräsident Rhein gestern formuliert. Freilich, es hat in der Geschichte der Bundesrepublik – ich will es freundlich formulieren – lange gedauert, bis sich diese Erkenntnis gesamtgesellschaftlich durchgesetzt hat. Aber heute ist sie da, und sie ist so wichtig in Zeiten, in denen Rassismus, Antisemitismus und völkisches Gedankengut immer stärker um sich greifen und selbst ernannte Alternative die liberale Demokratie infrage stellen. In diesen Zeiten müssen wir entsprechende Zeichen setzen, und dafür ist der 8. Mai so wichtig.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Durch die Aufwertung des 8. Mai zum staatlich anerkannten Gedenktag sind alle zivilgesellschaftlichen Akteure, Vereine, Organisationen, Gewerkschaften, Schulen, andere öffentliche Einrichtungen, der Hessische Landtag und auch die Hessische Landesregierung aufgerufen, ein vielseitiges Angebot des gemeinschaftlichen Gedenkens, der Erinnerungskultur und des gesellschaftlichen Diskurses zu gestalten.

Damit an diesem Diskurs möglichst viele Menschen teilnehmen können, an Veranstaltungen, an Festen und Diskussionen, ist eine Aufwertung zu einem Feiertag angemessen. Wir freuen uns, dass der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann von der SPD oder auch Claudia Roth von den GRÜNEN im Deutschen Bundestag diese Forderung unterstützen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will auch sagen, dass auch für uns konkret in Hessen der 8. Mai ein wichtiges Datum ist. Er ist Ausgangspunkt für den 19. September 1945 und den 1. Dezember 1946. Das erste Datum ist der Tag der Proklamation Nr. 2 durch

General Eisenhower, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa. Die Soldaten der US Army befreiten Hessen, wie wir wissen, Ende März/Anfang April. Die Proklamation Nr. 2 ist quasi die Geburtsurkunde unseres heutigen Hessen. Das zweite Datum ist die Annahme unserer hessischen Landesverfassung, an deren Erarbeitung Sozialdemokraten, Konservative, Kommunisten und andere mitgewirkt haben

(Zurufe Freie Demokraten) und die durch eine breite Mehrheit in der Bevölkerung angenommen worden ist. Diese Verfassung zieht die Lehren aus Faschismus und Krieg. Sie atmet den Geist antifaschistischer Neuordnung. Die Gründung und Verfassung unseres Bundeslandes Hessen sind untrennbar mit dem 8. Mai verbunden. Insofern sind wir uns mit Parlamentspräsident Rhein einig, der von einem „konstitutiven Datum“ sprach.

Ich komme zum Schluss. Die Holocaust-Überlebende und Vorsitzende des deutschen Auschwitz-Komitees, Esther Bejarano, hat in einem offenen Brief an die Regierenden und alle Menschen, die aus der Geschichte lernen wollen, Folgendes gefordert. Sie hat gesagt:

Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. … Wie viele andere aus den Konzentrationslagern wurde auch ich auf den Todesmarsch getrieben. Erst Anfang Mai wurden wir von amerikanischen und russischen Soldaten befreit. Am 8. Mai wäre dann Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Lebhafter Beifall DIE LINKE)