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Rede

Jan Schalauske - Hessische Landesregierung ist den Krisen nicht gewachsen

Jan SchalauskeHaushalt und Finanzen

In seiner 90. Plenarsitzung am 08. Dezember 2021 stand im Hessischen Landtag die Generaldebatte zum Landeshaushalt auf der Tagesordnung. Dazu die Rede unseres Vorsitzenden und haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zweifelsohne: Die Lage ist ernst. Verschiedene Krisen erschüttern unsere Gesellschaft: Die Corona-Krise in Form der vierten Welle bedroht noch immer die Gesundheit vieler Menschen. Sie verschärft bestehende Ungleichheiten und die Krise des Sozialen. Im Sommer hat die Flutkatastrophe im Ahrtal uns allen noch einmal die dramatischen Folgen des Klimawandels und der Klimakrise vor Augen geführt. Meine Damen und Herren, das sind die Vorzeichen, unter denen wir heute in zweiter Lesung den hessischen Landeshaushalt für 2022 diskutieren, was immer auch eine Grundsatzdebatte über die Politik der Landesregierung ist. Die regierungstragenden Fraktionen von CDU und GRÜNEN müssen sich fragen lassen, ob sie diesen Herausforderungen, ja, diesen Anforderungen gerecht werden, ob sie angemessen auf die zentralen Probleme unserer Zeit reagieren. Ja, auch 2022 wird ein außergewöhnliches Haushaltsjahr werden. Entgegen mancher Hoffnungen auch hier im Hause aus dem letzten Jahr hat die Pandemie das Land weiterhin fest im Griff. Wir haben schon wieder eine Vorweihnachtszeit, in der Menschen Existenzsorgen haben müssen, Sorge um die Gesundheit und Sorge darum, wann wir endlich wieder normal leben können. Leider hat die Landesregierung bisher wenig dazu beigetragen, dass die Situation in diesem Winter besser geworden ist. (Beifall DIE LINKE) Das Motto der Landesregierung war in dieser Lage immer wieder „Hessen bleibt besonnen“. Man muss leider sagen, allen Bemühungen der Regierung zum Trotz, dass die zweite und dann die dritte Welle erst gebrochen werden konnten, als der Tod von Tausenden Menschen schon besiegelt war und das Gesundheitssystem bis an seine Grenzen belastet war. Dabei begann das Jahr 2021 durchaus hoffnungsvoll. Impfstoffe wurden verfügbar, Impfzentren standen bereit, und nach dem schleppenden Beginn schien die Impfkampagne im Sommer gut zu laufen. Besonnen, wie die Landesregierung war, tat sie wenig, um Menschen, die sich nicht mit großer Vorfreude in das Terminchaos stürzen wollten, endlich eine Schutzimpfung näherzubringen. Es galt das Prinzip neoliberaler Verantwortungsdiffusion: Wenn jeder an sich denkt, dann wird schon an alle gedacht sein. Sie kamen nicht auf die Idee, dass es vielleicht Menschen gibt, die nicht von vornherein von der Dringlichkeit einer Schutzimpfung überzeugt waren. Sie kamen nicht auf die Idee, dass es sinnvoll sein könnte, die Impfzentren eben nicht zu schließen. Sie kamen nicht auf die Idee, dass es wichtig sein könnte, den Menschen da, wo sie sind, auch Impfangebote zu machen. Und Sie kamen auch nicht auf die Idee, dass das, was Sie für eine ganz große Impfkampagne halten, vielleicht nur diejenigen erreicht, die sich ohnehin so schnell wie möglich impfen lassen wollten. Entgegen allen Behauptungen, auch in der gestrigen Debatte, ist es andernorts durchaus besser gelaufen. Schauen wir nach Bremen, wo eine linke Gesundheitssenatorin mit dafür verantwortlich war, dass niedrigschwellige Angebote von vielen Menschen angenommen wurden, weil es sie schlichtweg überhaupt gab: Gesundheitsfachkräfte in den Stadtteilen, mehrsprachige Informationen. Das ist eine Impfkampagne, an der sich Hessen einmal ein Beispiel nehmen sollte. (Beifall DIE LINKE und Stephan Grüger (SPD)) Mittlerweile ist der Slogan „Hessen bleibt besonnen“ durch ein Komma allerdings vor allem zu einem Appell geworden. „Hessen, bleibt besonnen!“, werden jetzt alle aufgerufen. Und das trifft es ganz gut: Versuchte die Landesregierung im Jahr 2020 noch den Eindruck zu vermitteln, sie habe alles im Griff, ist das Jahr 2021 vor allem eine Politik von Appellen – ohne dass die Landesregierung selbst in der Lage wäre, einen Weg aus der tiefen Krise unserer Gesellschaft zu skizzieren. Gerade im Gesundheitsbereich sind die Missstände, die es schon lange vor der Pandemie gegeben hat, noch einmal deutlich hervorgetreten. Seit Jahren warnen Beschäftigte und Gewerkschaften vor einem Pflegenotstand, vor Unterbesetzung und Überlastung sowie Unterfinanzierung der Krankenhäuser, der Pflegeheime und des öffentlichen Gesundheitswesens. Es ist schön, wenn Politikerinnen und Politiker aller Parteien den Menschen in den Pflegeberufen ausführlich danken, wie es beispielsweise Kollege Mathias Wagner gestern Abend hier im Plenum getan hat. Allerdings: Von Dank allein kann man nicht gut leben. (Beifall DIE LINKE) Es braucht eine angemessene Vergütung, gute Arbeitsbedingungen und eine deutlich höhere Personalausstattung, statt die Gewinne privater Krankenhausbetreiber zu finanzieren. Da muss man sagen: Im schwarz-grünen Haushaltsentwurf finden sich nicht einmal ausreichende Investitionsmittel für hessische Krankenhäuser. Meine Damen und Herren, das ist ein Armutszeugnis. Wenn wir wenigstens eine Lehre aus der Corona-Pandemie ziehen würden, dann doch die, dass die Privatisierung unserer Krankenhäuser ein gefährlicher Irrweg gewesen ist, der endlich beendet gehört. (Beifall DIE LINKE) Der Gipfel dieses Irrsinns war der Verkauf unseres Uniklinikums Gießen und Marburg durch eine CDU-geführte Landesregierung vor nunmehr mehr als 15 Jahren. Vor wenigen Wochen standen wir mit einigen Kollegen Landtagsabgeordneten bei der Übergabe einer Petition mit mehr als 18.000 Unterstützern, die sich für eine Rückführung des Uniklinikums in öffentliches Eigentum ausspricht. Die breite Unterstützung für diese Petition zeigt deutlich: Es ist Zeit, diese Pleiten-Pech-und-Pannen-Privatisierung zu beenden und das Klinikum zum Land zurückzuholen. (Beifall DIE LINKE) Da ist es eben nicht ausreichend, wenn die grüne Wissenschaftsministerin Angela Dorn, statt dass sie diese Petition als Ansporn nimmt, sie ernst nimmt, einfach nur versucht, dem Ansinnen dieser Petition die Ernsthaftigkeit abzusprechen. Das ist für eine grüne Wissenschaftsministerin zu wenig. Weil jetzt mit Omikron die nächste Virusvariante vor der Tür steht – der Ministerpräsident hat es gestern angesprochen –, muss man doch einmal fragen dürfen: Wer hätte denn gedacht, dass sich eine Pandemie nur global bekämpfen lässt? Während Südafrika schon letztes Jahr vorgeschlagen hat, die Patente auszusetzen, mauerte die Bundesregierung. Nobelpreisträger Jean Ziegler bezeichnete dies als Geiselnahme der Welt durch Deutschland, die endlich beendet werden müsse. Wie recht Jean Ziegler hat. Die Patente und die Lizenzen gehören endlich freigegeben, weil man eine Pandemie eben nur global bekämpfen kann. (Beifall DIE LINKE) Auch in anderen Bereichen hat die Corona-Krise schonungslos aufgezeigt, was in unserem Land alles falsch läuft. Nehmen wir den Schulbereich: marode Schulen, überfüllte Klassen, überlastete Lehrerinnen und Lehrer. Der Mangel hat sich in Zeiten der Pandemie noch mal schmerzlicher gezeigt. Die Landesregierung schafft es nicht einmal im zweiten Corona-Winter, alle Schulen mit Lüftungsgeräten, geschweige denn, alle Schüler mit ausreichend Masken auszustatten. Wie kann das in einem so reichen Land wie Hessen sein? Richtig: Der Bildungserfolg darf auch in Hessen nicht länger vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Wir brauchen endlich ein sozial gerechtes Bildungswesen. Auch das hat uns Corona noch einmal vor Augen geführt. (Beifall DIE LINKE) Wir mussten in den letzten Monaten schmerzhaft erfahren: Das Virus kann alle treffen – ja, Herr Ministerpräsident, da haben Sie recht –, aber es trifft eben nicht alle gleich. Die Risiken, sich zu infizieren, hängen neben dem Impfstatus vor allem vom Gesundheitszustand, von den Lebensbedingungen, von Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnissen ab. Darauf hat die Landesregierung bis heute keine angemessene Antwort gefunden. Aber kein Wunder: Schon vor Corona waren soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit bei der schwarz-grünen Landesregierung eine Leerstelle. In keinem anderen Flächenland ist die Armut in den letzten Jahren so dramatisch gestiegen wie in Hessen. Jedes fünfte Kind ist mittlerweile von Armut betroffen. Der Niedriglohnsektor ufert weiter aus. Um diese Armut zu überwinden, reicht es im Übrigen nicht aus, wie es die neue Ampel in Berlin vorhat – ich werde noch darauf zu sprechen kommen –, Hartz IV einfach nur umzubenennen, sondern die Regelsätze müssen sofort erhöht werden – das tut die Ampel nicht –, und das ganze System muss überwunden werden. Das machen wir in Berlin, aber auch in Hessen kann man etwas tun. Auch landespolitisch wäre viel möglich. Wie wäre es denn endlich einmal mit einem Landesvergabegesetz, das die Tariftreue wirklich achtet, oder wie wäre es mit einem Maßnahmenpaket gegen Kinder- und Jugendarmut? All das sind überfällige Maßnahmen, die wir jetzt brauchen. (Beifall DIE LINKE) Weil es hier so angesprochen wurde: Ja, auch am Beispiel Wohnen spürt man die Tatenlosigkeit der Landesregierung. Schwarz-Grün spult seit Jahren ein Minimalprogramm ab, gerade genug, um sich nicht völlige Untätigkeit vorwerfen lassen zu müssen. Das ist meilenweit entfernt von dem, was eigentlich notwendig wäre, um die soziale Spaltung der Gesellschaft tatsächlich zu bekämpfen und auch die sozial-ökologische Transformation voranzutreiben. Ja, es gibt einzelne Maßnahmen zum Schutz von Mieterinnen und Mietern, aber eben nicht überall und nicht alle, die möglich und nötig wären. Ja, es entsteht geförderter Wohnraum, aber eben gerade nur so viel, dass sich die Zahlen auf einem beschämenden Niveau stabilisieren. Ja, die Nassauische Heimstätte begrenzt den Mietanstieg, aber eben nur für einen Teil der Mieterinnen und Mieter; der Rest schaut in die Röhre. Ja, es gibt eine Landesberatungsstelle für gemeinschaftliches Wohnen, aber keine aktive Liegenschaftspolitik, um Wohnprojekten bezahlbare Grundstücke zur Verfügung zu stellen. Es wurde heute angesprochen: Ja, das Baulandmobilisierungsgesetz wird umgesetzt, aber, anders als es Ministerpräsident Volker Bouffier behauptet hat, eben nicht konsequent genug. Ein Umwandlungsverbot gibt es nur bei Häusern mit mehr als sechs Wohnungen. Viele werden von diesem Schutz nicht erreicht. Da bleiben Sie hinter den Möglichkeiten zurück. (Beifall DIE LINKE) Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Das Muster ist immer das gleiche. Aber ein Minimalprogramm bei dem so wichtigen Thema Wohnen reicht eben nicht aus. Schutz vor Corona braucht ein Zuhause. Gerade jetzt brauchen die Mieterinnen und Mieter Schutz. Das muss oberste Priorität haben. Die Menschen haben in der Corona-Krise schon genug Sorgen; da sollte wenigstens das Wohnen keine sein. Meine Damen und Herren, ganz grundsätzlich gilt: Armut und Reichtum sind zwei Seiten derselben Medaille. Während in den letzten zwei Jahren viele Menschen in Deutschland Einkommensverluste durch Kurzarbeit, Geschäftsaufgabe oder Arbeitslosigkeit hinnehmen mussten, sind die Vermögen der reichsten Deutschen in der Krise weiter gewachsen, an der Spitze die Familie Klatten/ Quandt, die jedes Jahr 1 Milliarde € BMW-Dividenden erhält, auch in der Krise. Man müsste ja bei einem solchen Einkommen von einer Art leistungslosem Einkommen sprechen, das man nur der Gnade der Geburt in der „richtigen“ Familie zu verdanken hat. Wenn sich in den kommenden Jahren die Frage stellt: „Wer wird für die gewaltigen Staatsausgaben in der Corona-Pandemie zahlen? Wer wird die Kosten der Krise zahlen?“, dann sagen wir: Notwendig ist eine einmalige Vermögensabgabe für die reichsten 0,7 % der Bevölkerung. Das ist der richtige Weg, um die Kosten der Corona-Krise zu bewältigen. (Beifall DIE LINKE) Aber leider ist eine solche Abgabe auch von der neuen Ampel in Berlin nicht zu erwarten, ebenso wenig wie eine gerechte Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen. Dafür wird Finanzminister Lindner schon sorgen. Aber DIE LINKE wird weiterhin gemeinsam mit Gewerkschaften und Sozialverbänden dafür Druck machen, dass starke Schultern in unserer Gesellschaft endlich wieder mehr tragen. (Beifall DIE LINKE) Es gibt aber auch einen hessischen Bezug, wo deutlich wird, dass der schwarz-grünen Landesregierung gar nicht an einer gerechteren Besteuerung gelegen ist. Das zeigt der hessische Sonderweg bei der Grundsteuer. Das Finanzministerium will einen Weg nach dem Motto: Es ist egal, ob auf einem Grundstück ein Palast oder eine Hütte steht. – Wir halten das für den völlig falschen Weg. Mit einem anderen Projekt, mit einem zentralen Projekt ist das Finanzministerium krachend gescheitert: Das schwarzgrüne Sondervermögen war ein Weg, um in der Krise die Schuldenbremse zu umgehen und auch die Mittel aufzuwenden, die notwendig sind, um die direkten Folgen der Krise zu bekämpfen, um gezielt Konjunkturpolitik zu betreiben. Wir hielten das Sondervermögen nie für die eleganteste Konstruktion, aber vor allem waren wir der Meinung, dass es nicht ausreichen wird. Jetzt hat der Staatsgerichtshof mit seinem Urteil diese Konstruktion praktisch in Bausch und Bogen für verfassungswidrig erklärt. Der Haushaltsentwurf, den wir hier heute beraten, ist verfassungswidrig, und wir sind gespannt, was die Landesregierung für Kopfstände machen wird, um überhaupt noch einen Haushalt aufzustellen, der dieser Situation gerecht wird. Wir können es noch nicht beurteilen; die Änderungsanträge liegen noch immer nicht vor. (Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ihre auch nicht!) Aber das Urteil zeigt eines: CDU und GRÜNEN fallen jetzt die Regeln der Schuldenbremse auf die Füße, die sie einst mit Begeisterung gemeinsam mit SPD und FDP in die Verfassung geschrieben haben. Der juristische Erfolg, den SPD und FDP vor dem Staatsgerichtshof errungen haben, birgt die ganz große Gefahr, sich in einen fiskalpolitischen Pyrrhussieg zu verwandeln, der insbesondere auch die SPD treffen wird. (Beifall DIE LINKE) Man muss sich einmal vorstellen: In Zeiten, in denen auf Bundesebene darum gerungen wird, wie die Schuldenbremse wenigstens ein bisschen gelockert und umgangen werden kann, wird hier vor dem Staatsgerichtshof geklagt. Die Tragweite dieses Urteils wird man noch sehen, wenn in anderen Ländern Klagen folgen. Welche Spielräume eine Regierung überhaupt noch hat, um konjunkturpolitische Maßnahmen zu ergreifen, bleibt abzuwarten. Wir befürchten da Schlimmes. Aber an der eigentlichen Ursache der Misere und der Diskussion geht das alles vorbei. Denn dann müssen wir über die Schuldenbremse reden. Das Bekenntnis von SchwarzGrün zur Schuldenbremse steht ein Stück weit auf wackeligen Füßen, auch wenn Sie es immer vor sich hertragen. Denn trotz aller Bekenntnisse der Landesregierung zur Schuldenbremse hat der Landtag in der Corona-Pandemie das Kreditverbot ausgesetzt. An der Absenkung des Quorums auf Betreiben von CDU und GRÜNEN, an dieser Beschädigung der Schuldenbremse haben wir uns als LINKE gern beteiligt. Wenn es in die richtige Richtung geht, können wir uns sogar vorstellen, Anträge von CDU und GRÜNEN zu unterstützen. Das gilt leider nicht im Umkehrschluss. Selbst wenn wir hier beantragen würden, dass die Erde keine Scheibe ist, würden Sie dem aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zustimmen. Wir machen das anders, ganz unideologisch. (Zuruf Holger Bellino (CDU)) Wir haben also das Quorum mit gesenkt. Diese Entscheidung ist vom Staatsgerichtshof auch nicht beanstandet worden. Wir finden, das Urteil und die Krise haben gezeigt: Mit der Schuldenbremse ist in der Krise kein Staat zu machen. Die Schuldenbremse war, ist und bleibt ein Irrweg. Die Diskussionen zeigen das auch. Deswegen muss sie überwunden werden. (Beifall DIE LINKE) Aber es ist richtig: Der Staatsgerichtshof hat auch die Beschneidung der Rechte des Parlaments gerügt. Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Das muss beachtet werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir selten so intensive Beratungen zu Einzelmaßnahmen aus dem Haushaltsvollzug hatten wie durch das Sondervermögen – im Übrigen im Unterschied zum gängigen Haushaltsvollzug. Das heißt, wir werden sehen, wie sich das Urteil auch in dieser Frage noch auswirkt. Meine allergrößte Sorge aber ist, dass im Nachgang des Urteils des Staatsgerichtshofs die schwarz-grüne Regierung notwendige Maßnahmen, um der Krise entgegenzusteuern, unterlassen wird und auf das Urteil verweisen wird. Meine Damen und Herren, das darf nicht passieren. Darüber machen sich viele Menschen in Hessen Sorgen. (Beifall DIE LINKE) Auch ich möchte an dieser Stelle einmal mit einem Mythos aufräumen. Der Mythos ist, die CDU könne besonders gut mit Geld umgehen. (Günter Rudolph (SPD): Falsch!) Das wird nicht nur durch das Staatsgerichtshofsurteil deutlich, sondern es wird auch durch den Derivateskandal demaskiert. Die Zinswetten, über die wir hier schon oft gesprochen haben, haben den hessischen Steuerzahlern einen Schaden von 4,2 Milliarden € eingebrockt – 4,2 Milliarden €. (Zuruf Holger Bellino (CDU)) – Das hat damit gar nichts zu tun. Der Schaden ist schon jetzt entstanden, Herr Bellino. Lesen Sie einmal die entsprechenden Berichte. (Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD) Hier ist weiter Aufklärung angesagt. Es ist gut, dass es dazu eine gemeinsame Initiative von SPD, FDP und LINKEN gegeben hat. Wir werden weiter an der Aufklärung dieses Skandals arbeiten. (Beifall DIE LINKE) Ob es Ihnen gefällt oder nicht: Zinswetten zum Schaden der hessischen Steuerzahler sind nicht in Ordnung. (Günter Rudolph (SPD): Zinszocker!) Was bei der CDU das Geld, ist bei den GRÜNEN das Klima: die vermeintliche Kernkompetenz. Aber auch hier belehrt uns die Wirklichkeit grüner Regierungsbeteiligungen leider eines Besseren: Schwarz-Grün unterlässt die Maßnahmen, die notwendig wären, um Hessen auf dem Weg des 1,5-Grad-Ziels zu halten. Obwohl Schwarz-Grün häufig die Worte Klimawandel und Verkehrswende im Munde führt, steuert auch Hessen direkt in die Klimakatastrophe. Die Flutkatastrophe im Ahrtal, die Hitzesommer in Südeuropa – das alles sind keine Vorboten des Klimawandels mehr, sondern wir sind mittendrin. Was macht eine Landesregierung unter grüner Beteiligung? Im letzten Jahr hat sie einen gesunden Mischwald zugunsten eines fossilen Autobahnprojekts, eines Planungsdinosauriers aus dem 20. Jahrhundert, (Zuruf René Rock (Freie Demokraten)) roden lassen – gegen den Protest von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden und Aktivisten im Dannenröder Wald. Statt sich mit aller Kraft gegen falsche Projekte zu stemmen, bemühen die GRÜNEN ein ums andere Mal vermeintliche Sachzwänge. So war es nicht nur bei der Rodung des Dannenröder Waldes, sondern auch beim Flughafenausbau in Frankfurt am Main, bei der Werra – ein schöner Fluss, nur leider sehr versalzen –, bei der Rodung von Bannwald für Kiesabbau, der in Langen trotz der Gesetzesänderung weitergehen darf. Auch dem sinnlosen Verballern von öffentlichen Geldern beim verkehrsberuhigten Flughafen Kassel-Calden wird kein Riegel vorgeschoben. Vielleicht freut sich der grüne Verkehrsminister heimlich über fehlenden Fluglärm in Nordhessen. Aber ich finde, mit öffentlichen Mitteln sollte man wirklich sorgfältiger umgehen. (Beifall DIE LINKE) Auch bei der Energiewende ist der hier so viel beschworene Fortschritt eine Schnecke, auch unter einem grünen Energieminister. Man könnte auch sagen: Die Schnecke des Fortschritts in Hessen ist grün. Der Tiefpunkt waren vier neue Windräder im Jahr 2019. Dann ging es auf niedrigem Niveau etwas aufwärts. In diesem Jahr sind es bisher sogar schon 13 neue Anlagen. Allerdings wurden gleichzeitig sechs alte in diesem Jahr abgebaut. Nun gut, die neuen Anlagen bringen ein Vielfaches an Leistung, trotzdem: Die Zahlen sind für einen grünen Energieminister sehr ernüchternd. (Beifall DIE LINKE und Stephan Grüger (SPD)) Wenn man sich diese Verweigerung, diese Lage anschaut, dann hält sich die Freude darüber, dass die Landesregierung nach sechs Jahren Verweigerung endlich ein eigenes Klimaschutzgesetz angekündigt hat, auch auf Druck der Opposition, nun wirklich ziemlich in Grenzen. Zu befürchten ist, dass alles ähnlich wirkungslos ausgelegt sein wird, wie es bisher beim hessischen Klimaschutzplan gewesen ist. Aufgrund der vielen vertanen Jahre gilt doch mehr denn je das Leitprinzip: Guter Klimaschutz ist schneller Klimaschutz, und guter Klimaschutz ist sozialer Klimaschutz. Da findet sich bei Schwarz-Grün in Hessen leider viel zu wenig. (Beifall DIE LINKE) Sozialer Klimaschutz heißt: Wir verhindern, dass für die Klimakrise die Mieterinnen und Mieter mit geringem Einkommen zur Kasse gebeten werden. Energetische Sanierung muss warmmietenneutral erfolgen, gerade auch bei der Nassauischen Heimstätte. Sozialer Klimaschutz heißt, dass wir die Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr senken, dass wir Schritte in Richtung Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr gehen. Fahren ohne Fahrschein – das wäre doch wirklich freie Fahrt für freie Bürger und Bürgerinnen. Dagegen kann man nichts haben. Dagegen könnte nicht einmal die FDP etwas haben. (Zuruf René Rock (Freie Demokraten)) Gerade im ländlichen Raum bräuchte es überhaupt erst einmal eine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Auch da kommt von Schwarz-Grün viel zu wenig. Sozialer Klimaschutz ist auch der Einsatz für eine Transformation in der Arbeitswelt, in der Industrie. Die Kosten dafür dürfen nicht auf die Beschäftigten und auf die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben abgewälzt werden. Aber während die Menschen in den Betrieben um ihre Arbeitsplätze kämpfen, sieht es der Wirtschaftsminister nicht einmal als seine Aufgabe an, die Beschäftigten in diesen Kämpfen zu unterstützen. Wir finden, das ist ein echtes Trauerspiel. (Beifall DIE LINKE) Also: Im Bereich Klimaschutz brauchen wir die Verkehrswende. Wir brauchen mehr Geld für den ÖPNV, einen sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, um doch noch auf den 1,5-Grad-Pfad zu gelangen. Doch davon spürt man bei dieser Landesregierung leider wenig. Für all diese Aufgaben, die ich skizziert habe, hätten wir auch dringend Impulse aus der Bundespolitik gebraucht. Einige Rednerinnen und Redner haben darauf hingewiesen: Heute ist zweifelsohne ein bedeutender Tag. Wir haben einen neuen Bundeskanzler, der in Berlin gewählt wurde, Olaf Scholz. Manche hatten angesichts einer neuen Bundesregierung ohne die CDU Hoffnungen auf soziale und ökologische Projekte. Leider blieben diese Hoffnungen weitgehend enttäuscht. Die kleinste Partei, die FDP, hat sich letztlich durchgesetzt. (Beifall DIE LINKE und Oliver Stirböck (Freie Demokraten)) Sie hat sich mit einer Politik des „Geiz ist geil“ durchgesetzt und damit alle ambitionierten Investitionen in Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit unmöglich gemacht. Die GRÜNEN haben es zwar noch geschafft, ein paar Schlagworte im Koalitionsvertrag unterzubringen, aber ansonsten: keine Verkehrswende – auch dieses Ministerium geht an die FDP –, kein Verbot von Inlandsflügen, keine soziale Ausgestaltung energetischer Modernisierung, kein bundesweiter Mietenstopp. Und die Sozialdemokratie? Sie stellt jetzt den Kanzler, Olaf Scholz. Dazu Glückwunsch. Aber was ist denn mit dem Wahlversprechen einer gerechteren Besteuerung der hohen Vermögen? Fehlanzeige. Wie steht es denn um die Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen? Fehlanzeige. Die Rente soll an die Börse gehen, und an Zweiklassenmedizin und Fallpauschalen wird nicht gerüttelt. Jetzt gibt es Menschen wie den Kollegen Günter Rudolph, die finden: Die Ampel ist doch ein gutes Modell für Hessen. – Ich kann das ja verstehen, nach 20 Jahren einer CDU-geführten Landesregierung in Hessen. (Günter Rudolph (SPD): 23 Jahre! Ich leide schon länger!) – Nach über 20 Jahren. Das ist wirklich lange. Das ist wirklich genug. (Günter Rudolph (SPD): Richtig!) Ich glaube aber, für eine sozial-ökologische Wende in Hessen, die wir dringend brauchen, kann der Koalitionsvertrag in Berlin kein Maßstab sein. Da braucht es andere und tiefgreifendere Maßnahmen. (Beifall DIE LINKE) Meine Damen und Herren, es ist schon darauf hingewiesen worden: Nach langen 21 Monaten fand vor wenigen Tagen die erste öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses zu den rassistischen Morden in Hanau statt, was im Wesentlichen auch dem beharrlichen Engagement der Angehörigen der Opfer und der Überlebenden sowie der Initiative 19. Februar zu verdanken ist. Die bewegenden Schilderungen der Angehörigen haben erneut deutlich gemacht, wie wichtig und wie notwendig die lückenlose Aufklärung ist. Zum Handeln der hessischen Behörden in der Tatnacht und im Vorfeld des Anschlags gibt es noch viele offene Fragen. Auch die Enthüllung, dass 13 Frankfurter SEK-Beamte, die in der Tatnacht vor Ort waren, in rechten Chatgruppen aktiv waren, zeigt die Dimension des Problems. Rechte Strukturen florieren weiter in Hessen, allen Bekundungen der schwarz-grünen Landesregierung zum Trotz. Der Untersuchungsausschuss Hanau hat nun bis spätestens zum Ende der Legislaturperiode Zeit, den Anschlag, bei dem neun Menschen aus rassistischen Gründen ermordet wurden, schonungslos aufzuklären. Den Angehörigen der Opfer und den Überlebenden sind wir es schuldig, den noch offenen Fragekomplex aufs Genaueste zu durchleuchten. Aber zugleich muss der Ausschuss auch die Grundlagen für klare politische Konsequenzen schaffen: Es muss endlich rigoros gegen rechte Positionen und Strukturen in der Gesellschaft, aber auch in den hessischen Behörden vorgegangen werden. Wir müssen Konsequenzen ziehen. Was muss eigentlich noch alles passieren, nach so vielen rechten Anschlägen, nach der Mordserie des NSU und nach über 200 Toten durch rechte Gewalt seit 1990? Die Gefahr von rechts wächst auch in Hessen: Hanau, der Mord an Walter Lübcke, Wächtersbach, rechte Chatgruppen bei der Polizei, die Morddrohungen des NSU 2.0. Deswegen: Wer rechte Gewalt und rechten Terror beenden will, der muss die rechten Netzwerke erkennen, der muss die Szene entwaffnen und der muss Rassismus, Antisemitismus und allen anderen Formen der Menschenfeindlichkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen konsequent entgegentreten. (Beifall DIE LINKE) Ich komme zum Ende. Meine Damen und Herren, die schwarz-grüne Landesregierung wird den Anforderungen aus den Krisen unserer Zeit nicht gerecht. In der CoronaPandemie hätte sie rechtzeitig Maßnahmen gegen die vierte Welle ergreifen müssen, aber sie hat stattdessen Impfzentren geschlossen. Durch die Pandemie haben sich Armut verfestigt, soziale Ungleichheiten dramatisch verschärft, auf dem Arbeitsmarkt, beim Wohnen, bei der Miete und auch im Bildungsbereich. Schwarz-Grün hält an der Schuldenbremse fest, will zurück zur schwarzen Null, und nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs droht eine gewisse Zögerlichkeit bei weiteren Maßnahmen. Dabei wäre doch so viel mehr nötig: Abkehr vom Kaputtsparen der öffentlichen Infrastruktur, Investitionen in Schulen, in Krankenhäuser und in bezahlbare Wohnungen. Beim Thema Klimaschutz kommt die Landesregierung trotz Lippenbekenntnissen nicht voran. Die Energiewende und die Verkehrswende stocken. Das Klimagesetz, das angekündigt wurde, ist kein großer Grund zur Hoffnung, und das alles, obwohl sowohl der Verkehrsminister als auch die Umweltministerin ein grünes Parteibuch haben. Von einem sozial-ökologischen Aufbruch, wie Kollege Mathias Wagner behauptet hat, kann in Hessen keine Rede sein. Meine Damen und Herren, in diesen Tagen durften wir den 75. Jahrestag der Hessischen Verfassung feiern. Hessen hat die älteste Verfassung – durch eine Volksabstimmung in Kraft getreten. Sie enthält – noch unter dem unmittelbaren Eindruck von Faschismus und Krieg – weitgehende soziale Rechte und ächtet den Krieg. Nach ihrem Leitgedanken ist es die Aufgabe der Wirtschaft des Landes, dem Wohle der ganzen Bevölkerung und der Befriedigung ihres Bedarfs zu dienen. Dazu fordert sie, wirtschaftliche Macht zu beschränken, wichtige Teile der Wirtschaft in öffentliches Eigentum zu überführen. Ja, die Veränderung von Machtund Eigentumsverhältnissen, das ist Verfassungsauftrag in Hessen. Deswegen: Ihr 75. Geburtstag – ein Grund zur Freude für alle Hessinnen und Hessen – erinnert uns daran, dass auch die Herausforderungen unserer Zeit – die Corona-Pandemie, die wachsende soziale Ungleichheit und die Klimakrise – sozial gerecht, demokratisch und friedlich gelöst werden müssen. Deshalb darf Demokratie eben nicht vor den Werkstoren enden. Das Gemeinwohl muss der Mittelpunkt wirtschaftlichen Handelns sein. (Beifall DIE LINKE) Das sind jetzt die letzten Sätze. Von diesen elementaren Grundgedanken unserer Landesverfassung ist die schwarzgrüne Landesregierung meilenweit entfernt. Für uns als LINKE gilt aber: Die Verfassung ist ein großes Versprechen. Das gilt es noch immer einzulösen. – In diesem Sinne werden wir zur dritten Lesung des Haushalts zahlreiche Änderungsanträge einbringen und Vorschläge machen, wie wir Hessen sozialer, gerechter und ökologischer aus der Krise in eine sozial-ökologische Zukunft führen können. – Vielen Dank. (Beifall DIE LINKE)