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Rede

Jan Schalauske - Neustart für ein sozialeres, gerechteres und ökologischeres Hessen notwendig

Jan Schalauske
Jan SchalauskeCoronaHaushalt und Finanzen

In seiner 49. Plenarsitzung am 4. Juli 2020 verabschiedete der Hessische Landtag ein zweites Corona-Hilfspaket. Dazu die Rede unseres haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Vielleicht hilft es bei dieser Debatte, noch einmal zu schauen, in welchem Umfeld wir uns eigentlich bewegen. Wir erleben in diesen Tagen einen, wenn nicht sogar den größten wirtschaftlichen Einbruch seit Bestehen der Bundesrepublik und des Landes Hessen.

Die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung waren richtig und wichtig. Sie waren, politisch gesehen, notwendig. Die Maßnahmen haben aber eine sich bereits abzeichnende Wirtschaftskrise dramatisch beschleunigt. Die Folgen sind der Anstieg der Kurzarbeit und der Arbeitslosigkeit. Es drohen unzählige Insolvenzen. Millionen Menschen bangen um ihre Existenz.

In der Krise sind die bereits bestehenden sozialen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft noch einmal massiv zutage getreten. Deswegen ist für uns, die Mitglieder der LINKEN, völlig klar: Wer die Folgen der Wirtschaftskrise bekämpfen will, wer die Menschen vor dem sozialen Abstieg und vor Armut schützen möchte, der muss für soziale Sicherheit, gute Arbeit, gute Löhne und die menschenwürdige Teilhabe der Erwerbslosen sorgen. Er muss den gigantischen Reichtum in den Händen weniger endlich gerechter besteuern.

(Beifall DIE LINKE)

In der Krise braucht es einen handlungsfähigen Staat, der die Mittel in die Hand nimmt, um die soziale Sicherheit und ein starkes Gemeinwesen mit einer guten Infrastruktur zu gewährleisten.

Wenn ich mir die Debatte so anhöre, zeigt sich doch, dass die Schuldenbremse einer entschlossenen Politik in der Krise massiv im Weg steht. Das hätte man auch schon früher wissen können. Ich denke da an die Warnungen kritischer Ökonomen und der Gewerkschaften.

Aber auch wir, die Mitglieder der LINKEN, haben immer davor gewarnt, dass die Schuldenbremse für die heutige Generation und für die kommenden Generationen fatale Folgen haben könnte. Wir haben den Befürwortern der Schuldenbremse immer vorgehalten, dass die Errichtung bezahlbarer Wohnungen, die Sanierung der Schulen und der Krankenhäuser, die Finanzierung der Frauenhäuser, die Bekämpfung der Armut und günstigere Preise für Bus und Bahn für die heutige Generation und die kommenden Generationen doch viel wichtiger als ausgeglichene Haushalte sind.

Ich wende mich jetzt an Frau Claus und an die Mitglieder der Fraktion der CDU. Sie haben gesagt, wenn wir heute keine Kredite aufnehmen würden und damit die Arbeitsplätze nicht retten oder keine neuen Arbeitsplätze schaffen würden, dann würden uns unsere Kinder irgendwann fragen, was wir da getan haben. Ja, natürlich, damit haben Sie recht. Wenn Sie das, was Sie sagen, ernst meinen, dann verabschieden Sie sich doch heute endgültig von der Politik der Schuldenbremse, die dieser Entwicklung im Wege steht.

(Beifall DIE LINKE)

Die Debatte ist doch auch deswegen interessant, weil wir in diesem Plenarsaal noch vor nicht allzu langer Zeit von den Mitgliedern der Fraktionen der CDU, der FDP, der GRÜNEN und sogar auch von denen der SPD für unsere Haltung zur Schuldenbremse verlacht und verspottet wurden. Wir waren verschrien.

(Zuruf)

– Das stimmt. Die Mitglieder der FDP haben ihre Haltung nicht geändert.

(Demonstrativer Beifall Freie Demokraten)

Das Gleiche gilt für uns, DIE LINKE. Das haben wir gemeinsam. Wir haben unsere Haltung nicht geändert.

Das Schöne aber ist Folgendes: Ihre Haltung mag sich nicht geändert haben. Aber das Blatt hat sich gewendet. Das hat sich in den Debatten der letzten Wochen gezeigt. Das Blatt hat sich gewendet.

(Beifall DIE LINKE)

In der Krise müssen die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der GRÜNEN – und damit ausgerechnet diejenigen, die uns seit Jahren gepredigt haben, die schwarze Null, die ausgeglichenen Haushalte und die Schuldenbremse müssten sein; sie haben das zum obersten Ziel der hessischen Landespolitik erklärt – endlich eingestehen, welche unsinnigen Fesseln sie sich mit dieser Schuldenbremse auferlegt haben. Das finde ich gut.

(Beifall DIE LINKE)

Die Debatte hat aber auch etwas anderes gezeigt. Diese Erkenntnisse resultieren nicht aus grundsätzlichen Überzeugungen. Herr Wagner, ich sage noch einmal vielen Dank für die Klarstellung. Das haben im Übrigen auch die Beiträge des Ministerpräsidenten Bouffier und des Finanzministers Boddenberg diese Woche gezeigt. Vielmehr scheinen sie von kurzfristigen taktischen Überlegungen mit Blick auf Wahlperioden geleitet zu sein.

Das mag so sein. Aber wie dem auch sei, für uns gilt etwas anderes. Wir wissen natürlich, dass die Schuldenbremse heute noch nicht abgeschafft wird. Aber sie wird wenigstens für diese Legislaturperiode ausgesetzt. Wir werden weiterhin nach Kräften daran arbeiten, dass die Entscheidung zum Artikel 141-Gesetz nur der Anfang vom Ende der Schuldenbremse sein wird. Mit Blick auf diese Woche sage ich: Links wirkt.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Kollege Wagner und die Mitglieder der Fraktion die GRÜNEN, wir werden Sie schon daran erinnern, dass man in der Krise nicht weiter sparen darf. Das haben Sie heute gesagt. Wir werden Sie in den kommenden Jahren daran erinnern. Darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir entscheiden heute zum zweiten Mal über einen Antrag der Landesregierung zur Feststellung einer Notsituation nach Art. 141 der Landesverfassung. Unserer Ansicht nach ist es völlig unstrittig, dass wir uns in einer Notsituation befinden. Reden Sie einmal mit den Menschen auf der Straße.

Strittig ist allerdings, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen. Weniger strittig war das beim ersten Nachtragshaushalt. Da hat die Landesregierung umfänglich informiert. Sie hat im Landtag große Zustimmung erhalten.

Jetzt hat sie sich für einen anderen Weg entschieden. Sie hat im Hinterzimmer mit Mitgliedern von vier der fünf demokratischen Fraktionen Gespräche geführt. Ministerpräsident Bouffier hat davon gesprochen, man solle in Wiesbaden pfleglich miteinander umgehen. Besonders pfleglich sind die Mitglieder der CDU-Fraktion noch nie mit denen der Fraktion DIE LINKE umgegangen. Er sollte sich fragen, ob das Ausweis eines pfleglichen Umgangs mit dem Parlament ist. Wir sind da komplett anderer Auffassung.

(Beifall DIE LINKE)

Die Landesregierung hat die Absicht, ein Sondervermögen in Höhe von 12 Milliarden € zu errichten. Sie will damit dann Ausgaben im Haushalt finanzieren. Von einigen wird entgegengehalten, dass ein solches Sondervermögen das Parlament entmachte.

Auch wir haben uns frühzeitig Sorgen um die parlamentarische Kontrolle gemacht. Wir nehmen interessiert zur Kenntnis, dass die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der GRÜNEN, auch wenn sie es überhaupt nicht zugeben wollen, einem Vorschlag der Fraktion DIE LINKE gefolgt sind, wie man die parlamentarische Kontrolle über das Sondervermögen noch verbessern kann. Ich sage zum zweiten Mal: Links wirkt, auch wenn Sie es nicht zugeben können.

(Beifall DIE LINKE)

Einen anderen Vorschlag haben Sie bedauerlicherweise in einer Sitzung des Haushaltsausschusses abgelehnt. Sie werden ihn wohl auch heute ablehnen. In einer der tiefsten wirtschaftlichen Krisen unseres Landes will sich die Landesregierung aus CDU und GRÜNEN darauf festlegen, die Kredite, deren Aufnahme zweifelsohne notwendig ist, über einen Zeitraum von lediglich 30 Jahren zu tilgen. Das ist wenig überzeugend.

Immerhin hat es auch dort eine Veränderung gegeben. Sie sind immerhin von dem größten Irrsinn, dass man die Kredite innerhalb von sieben Jahren tilgen muss, abgerückt. Das mit den sieben Jahren ist eine Idee der Anthroposophen.

Der Tilgungsplan, den Sie jetzt vorgelegt haben, ist doch geradezu widersinnig. Denn Sie wollen schon in der Zeit tilgen, in der Sie noch Mittel aus dem Sondervermögen entnehmen. Sie wollen nämlich schon bereits ab dem Jahr 2021 tilgen.

Ich finde, Sie müssen sich entscheiden. Wollen Sie dann schon tilgen, oder wollen Sie Geld aus dem Sondervermögen entnehmen? Beides zusammen ist doch Quatsch. Der vorliegende Tilgungsplan droht, neue Kürzungsrunden einzuleiten. Dem werden wir entschieden entgegentreten.

(Beifall DIE LINKE)

Auch wenn wir es richtig finden, dass die Landesregierung die Schuldenbremse für einige Jahre aussetzt, heißt das nicht, dass die CDU und die GRÜNEN diese Mittel richtig einsetzen werden. Es heißt auch nicht, dass diese Mittel überhaupt ausreichen werden.

12 Milliarden € sind viel Geld. Bei den Haushaltsdebatten der letzten Jahre haben die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE übrigens für Mehrausgaben in Höhe von 1,5 Milliarden € bis 2 Milliarden € geworben. Sie wurden von Ihnen allen dafür schwer gescholten. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der CDU und der GRÜNEN, ich finde, für die kommenden Debatten können Sie sich gleich einmal neue Argumente suchen.

Die 12 Milliarden € schrumpfen gewaltig, wenn man auf die Steuerausfälle blickt, die prognostiziert werden. Ich tippe jetzt schon einmal, dass die Mittel nicht ausreichen werden. Dafür muss man kein großer Prophet sein.

Die Zwecke, die Sie mit dem Sondervermögen vorsehen, reichen im Übrigen auch nicht aus. Mit Ihren Plänen wird Hessen sehr wahrscheinlich nicht einmal aus der aktuellen konjunkturellen Krise herauskommen. Die Pläne von Schwarz-Grün reichen überhaupt nicht, um die soziale und ökologische Krise zu bewältigen, in der wir stecken, ganz zu schweigen von unserer maroden öffentlichen Infrastruktur. Das betrifft die Schulen, die Schienen und die Straßen.

Wir sind der festen Überzeugung: In der Krise und darüber hinaus darf es kein bloßes „Weiter so“ geben. Ein echter Neustart aus der Krise und ein grundsätzlicher sozial-ökologischer Umbau unseres Landes sind notwendig.

(Beifall DIE LINKE)

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist richtig, dass aus dem Sondervermögen Kulturschaffende, Jugendherbergen – da könnte es ein bisschen mehr sein –, Pflegekräfte, Frauenhäuser, Studierende und Auszubildende unterstützt werden. Das ist richtig. Was Sie aber völlig vergessen, ist, dass in Hessen auch schon vor der Corona-Krise einiges im Argen lag.

Nach 20 Jahren CDU-geführter Landesregierung erkennt man die Schulgebäude in den Kommunen daran, dass sie eines der heruntergekommensten Gebäude im ganzen Stadtteil sind. In Hessen ist es traurige Normalität, dass Schulen gesperrt werden müssen, weil sie baufällig sind. Es fehlt an Kindertagesstätten und Krippenplätzen. Im Ballungsgebiet ist kein bezahlbarer Wohnraum zu finden. Die Krankenhäuser wurden privatisiert oder geschlossen. Die Verkehrs- und Energiewende beschränkt sich auf ein paar Elektroautos. Der ÖPNV platzt trotz der Krise weiterhin aus allen Nähten.

Zu dieser Normalität der Defizite wollen die Mitglieder der CDU und der GRÜNEN mit Ihrem als „Hessens gute Zukunft sichern“ verbrämten Sondervermögensgesetz wieder zurück. Ich sage ganz ausdrücklich: Wir wollen das nicht.

Herr Kollege Wagner, Sie haben behauptet, mit dem schwarz-grünen Sondervermögen könne man große Antworten auf die Probleme unseres Landes geben. Wir glauben, dass das keine große Antwort ist. Es ist ein kleines Pflaster angesichts der noch viel größeren Probleme. Wir brauchen da sehr viel größere Antworten.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will einmal daran erinnern, welche Zahlen diese Normalität abbilden. Vor der Corona-Krise waren 900.000 Menschen in Hessen von Armut bedroht oder betroffen. Dem stehen 1.400 Einkommensmillionäre gegenüber. Zwei Familien in Hessen besitzen ein größeres Vermögen als die Summe der Staatsverschuldung unseres Bundeslandes.

Das sind doch die Belege dafür, wie diese Normalität ausgesehen hat. Deswegen bin ich der Meinung: Eine gute Zukunft für Hessen kann man nur mit einem Neustart sichern, bei dem massiv in die Erneuerung unserer Infrastrukturen nach sozialen und ökologischen Kriterien investiert wird. Er soll den Menschen soziale Sicherheit garantieren. Der Reichtum in unserem Land soll gerechter besteuert werden.

(Beifall DIE LINKE)

Mit unserem Dringlichen Antrag geben wir Ihnen heute die Möglichkeit, in den nächsten Jahren 20 Milliarden € mehr auszugeben. Man könnte dieses Geld für ein Gesundheitswesen in öffentlicher Hand, für Investitionen in moderne und ressourcenschonende Gebäude in den Kommunen, für Schulen und Sportplätze, für bezahlbaren Wohnraum, für den Ausbau und die Qualitätssteigerung der Kinderbetreuung, für günstigere Preise und bessere Verbindungen im öffentlichen Nahverkehr auch auf dem Land ausgeben.

Herr Kollege Weiß, das wäre übrigens das Programm eines Finanzministers der LINKEN. Die Sache mit der Schuldenbremse hätten wir in 100 Tagen erledigt.

Ich kann nur dazu aufrufen: Ändern Sie Ihre Haltung zur Schuldenbremse, und zwar so, wie es viele aufrechte Sozialdemokraten an der Basis fordern. Dann könnten Sie mit uns dabei sein, dieses Land sozial und ökologisch zu erneuern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dazu lade ich euch ein.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe)

Jetzt komme ich noch dazu, dass uns ausgerechnet die GRÜNEN vorwerfen wollen, die LINKEN wollen Schulden machen. Wir haben daraus keinen Hehl gemacht. Wir müssen in dieser Krise Kredite aufnehmen. Wir sind aber auch diejenigen, die wissen, wie man diese Kredite wieder abtragen kann. Uns unterscheidet von den GRÜNEN, dass sie Kredite aufnehmen wollen, aber gar nicht wissen, wie man sie abbezahlen soll. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall DIE LINKE)

Geld ist in diesem Land genug da. Das haben uns jetzt CDU und GRÜNE noch einmal bestätigt. Es bleibt aber dabei: Es ist falsch verteilt. Die Taschen derjenigen, die in der letzten Krise – ich erinnere an die Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 ff. – als systemrelevant galten, sind praller gefüllt als je zuvor. Deswegen finden wir, dass diejenigen, die über große Vermögen verfügen, endlich gerechter an den Kosten der Krise und stärker an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligt werden sollten.

(Beifall DIE LINKE)

Unterlassen wir es jetzt, für ein gerechteres Steuersystem zu sorgen, dann wird die jetzige Krise zu einer Krise der öffentlichen Haushalte umgewidmet werden, die dann auch noch von den kleinen Leuten bezahlt werden muss. Meine Damen und Herren, das darf nicht passieren. Wer von öffentlichen Schulden spricht, darf zum privaten Reichtum in diesem Land nicht schweigen. Geld gibt es in diesem Land genug. Wir sollten es von denen holen, die es haben.

(Beifall DIE LINKE)

Ich komme zum Schluss und fasse zusammen: CDU und GRÜNE haben die Schuldenbremse beschädigt. – Das finden wir gut. Die Notsituation ist im Angesicht von Pandemie und Wirtschaftskrise zweifelsohne gegeben. Sondervermögen kann man machen – ohne milliardenschwere Kredite über einen längeren Zeitraum wird es ohnehin nicht gehen. Es kommt aber darauf an, was man daraus macht. Und hier versagen CDU und GRÜNE bei der Bewältigung der alten, der gegenwärtigen und der zukünftigen Probleme. Daran wird DIE LINKE auch in den nächsten Monaten weiter erinnern.

(Beifall DIE LINKE)