Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske - Schwarzgrüne Landesregierung will mit 12 Milliarden zurück in die alte Normalität

Jan Schalauske
Jan SchalauskeCoronaHaushalt und Finanzen

In seiner 43. Plenarsitzung am 16. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag über einen zweiten Nachtragshaushalt in Höhe von 12 Milliarden Euro, mit dem die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abgefedert werden sollen. Dazu die Rede unseres haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Es ist doch völlig richtig: Wir erleben in diesen Tagen einen, wenn nicht vielleicht sogar den größten wirtschaftlichen Einbruch seit Bestehen der Bundesrepublik und des Landes Hessen.

Ja, die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und zur Eindämmung der Pandemie waren größtenteils notwendig und auch richtig, aber sie haben auch eine sich abzeichnende Wirtschaftskrise dramatisch beschleunigt mit den Folgen, dass es einen dramatischen Anstieg von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit gibt. Unzählige Insolvenzen drohen. Millionen Menschen sind nicht nur tief verunsichert, Herr Finanzminister, sondern bangen um ihre Existenz.

In der Krise sind die bestehenden sozialen Ungleichheiten noch deutlicher zutage getreten. Corona hat alle getroffen, aber nicht alle gleich. In einem großen Haus mit Garten war und ist die Krise besser zu meistern als in beengten Wohnverhältnissen oder in Flüchtlingsunterkünften.

Deshalb ist für uns völlig klar: Wer die Folgen der Wirtschaftskrise bekämpfen, wer die Menschen vor sozialem Abstieg schützen und Armut eindämmen will, muss für soziale Sicherheit, gute Arbeit und gute Löhne, menschenwürdige Teilhabe von Erwerbslosen und Geflüchtete sorgen sowie den Reichtum in den Händen weniger endlich begrenzen und gerechter besteuern.

(Beifall DIE LINKE)

Die Corona-Pandemie wird mittlerweile als größte Krise seit Bestehen der Bundesrepublik bezeichnet. Dabei ist das Ende der Fahnenstange längst noch nicht erreicht. Die Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts für dieses Jahr in Höhe von 5 % bis 10 % im Vergleich zum Vorjahr.

Werfen wir einen Blick auf die nackten Zahlen. Nach Angaben des Münchner ifo Instituts war das Ausmaß an Kurzarbeit noch nie so hoch wie heute: Im Mai befanden sich 7,3 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Zum Vergleich: In der Finanzkrise 2008/2009 waren es knapp 1,5 Millionen Menschen. Die Zahl der Arbeitslosen ist in Hessen allein im April auf 5,2 % gestiegen.

Zahlreiche Unternehmen – auch in Hessen – haben angekündigt, demnächst Stellen zu streichen und ihre Beschäftigten vor die Tür zu setzen – darunter mit Condor und Lufthansa auch Unternehmen, die für Hessen Bedeutung haben. Das ist in diesen beiden Fällen besonders krass, weil hier Milliardenbeträge des Staates bereitgestellt wurden. Dennoch sollen nun massenhaft Arbeitsplätze vernichtet werden.

Es darf doch nicht sein, dass die Große Koalition die Lufthansa mit 9 Milliarden € subventioniert, die eigentlich nur 4 Milliarden € wert ist und 20.000 Arbeitsplätze abbauen will, und dann mit zwei Aufsichtsratsposten abgespeist wird, die aber bloß nichts politisch entscheiden sollen. Sie verzichtet also auf jegliche Mitsprache. Was ist denn das für ein unverantwortliches schlechtes Geschäft?

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen ist unsere Position klar: Wenn Unternehmen

Geld vom Staat bekommen – egal, ob in Hessen oder im Bund –, dann nur gegen Mitsprache, gegen ein Verbot von Kündigungen und gegen einen Ausbau der Mitbestimmung. Diesen Ausbau der Mitbestimmung, diese Demokratisierung sollten wir dann nutzen, um unsere Wirtschaft so umzubauen, dass sie die Menschen und das Klima schützt. Davon sind wir allerdings meilenweit entfernt.

Die Lage ist weiterhin ernst, in Deutschland und in Hessen. Daher gibt es überhaupt keinen Anlass, auch nicht für die schwarz-grüne Landesregierung, allen Maßnahmen und Milliardensummen zum Trotz wieder in Selbstzufriedenheit zu verfallen.

Schauen wir uns das Konjunkturpaket der Großen Koalition an. Da wird zwar viel Geld in die Hand genommen, aber viele Menschen, die dringend auf Hilfe angewiesen sind, gehen leer aus. Es ist unklar, ob die Mehrwertsteuersenkung an die Bevölkerung, also an die Kundinnen und Kunden, weitergegeben wird. Es gibt keinen Aufschlag für Hartz-IV-Betroffene und Rentner in Grundsicherung, keinen dauerhafter Bonus für Pflegekräfte – allen Klatschens zum Trotz – und auch kein nachhaltiges Investitionsprogramm. Das zeigt: Mit „Wumms“ allein kommt man nicht aus der Krise, weder im Bund noch in Hessen.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb muss sich auch der zweite hessische Nachtragshaushalt daran messen lassen, ob er geeignet ist, einen sozial-ökologischen Neustart aus der Krise vorzubereiten.

Mit Blick auf die vielen angekündigten Maßnahmen auf den schönen PowerPoint-Präsentationsfolien der Landesregierung staunt man dann nicht schlecht, wenn man sich den schnöden Gesetzentwurf zum zweiten Nachtragshaushalt auf bedrucktem Papier ansieht. Im Wesentlichen sind dort nur wenige Änderungen vorgesehen.

(Torsten Warnecke (SPD): Ja!)

Zum einen werden die erwarteten Steuerausfälle berücksichtigt, und eine entsprechende Nettokreditaufnahme wird veranschlagt, zum anderen gibt es aber am Ende genau drei inhaltliche Änderungen:

Erstens werden 300.000 € für mehr Tierseuchenbekämpfung umgeschichtet.

(Torsten Warnecke (SPD): Ein Witz!)

Zweitens werden 11,6 Millionen € für die Staatswaldbewirtschaftung vorgesehen.

Drittens werden 1,4 Millionen € zur Behebung von Brandschäden an der University of Applied Sciences in Frankfurt eingesetzt.

Wahrscheinlich sind alle drei Ausgabeposten sogar sinnvoll, aber nichts von den konkreten Änderungen im Nachtragshaushalt hat mit der Pandemie und der Bewältigung ihrer Folgen zu tun.

(Beifall Ulrike Alex (SPD))

Die angekündigten Maßnahmen der Landesregierung kommen zwar auf den Folien, aber nicht im Nachtragshaushalt vor.

(Beifall DIE LINKE)

Wer wissen möchte, wofür die gewaltige Summe von 12 Milliarden € ausgegeben werden soll, der muss einen Blick in das Gesetz zum Sondervermögen werfen. Ich nenne diese Summe mit Freude noch einmal: 12 Milliarden €. Ich möchte Sie gerne daran erinnern: Als wir LINKE in den letzten Jahren die bescheidene Summe von 2 Milliarden € für ein sozialeres, ein ökologischeres, ein kulturvolles Land Hessen mehr ausgeben wollten, haben Sie uns alle unisono für verrückt erklärt.

(Torsten Warnecke (SPD): Nein, nein!)

Jetzt machen Sie so einfach 12 Milliarden € locker, ohne sie in den Haushalt zu schreiben. Meine Damen und Herren, das nenne ich eine atemberaubende Flexibilität in Ihrer Haushaltspolitik. Respekt, das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt werfen wir einen Blick auf das Sondervermögen: 12 Milliarden € an Kreditermächtigungen – davon sollen aber nicht nur in diesem Jahr Maßnahmen finanziert werden, nein, die Landesregierung will sich bis zum Ende der Legislaturperiode 2023 aus diesem Sondervermögen finanzieren.

Anders gesagt: Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, die großen Verfechterinnen von schwarzer Null, Schuldentilgung und Schuldenbremse, möchten gerne die eigenen Regelungen umgehen und anders, als von ihnen selbst entwickelt und vorgeschrieben, eben nicht jedes Jahr bei benötigter Zweidrittelmehrheit über die Umgehung der Schuldenbremse abstimmen, sondern lediglich jetzt noch ein einziges Mal.

Ich finde – ich habe große Sympathie dafür, die Schuldenbremse endlich auszusetzen –, nachdem uns CDU und GRÜNE jahrelang gepredigt haben, dass Schuldenmachen etwas Schlechtes sei, was um jeden Preis vermieden werden müsse, hätten Sie es grundsätzlich mehr als verdient, jedes Jahr aufs Neue den Landtag um eine Kreditaufnahme bitten zu müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Ihr erneuter Antrag auf Aussetzung der Schuldenbremse in Kombination mit den Planungen zum Sondervermögen zeigen nur eines: Bei der ersten – zugegebenermaßen sehr schweren – Krise bricht Ihre Schuldenbremsenarchitektur jämmerlich zusammen. Die Schuldenbremse ist für diese Legislaturperiode gescheitert. Sie ist eben nicht mit der Realität vereinbar. Abhängig von der konjunkturellen Entwicklung engt sie die Spielräume öffentlicher Haushalte ein und, wie sich jetzt zeigt – Ihr Sondervermögen ist ein Beleg dafür –, erschwert sie entschlossenes Handeln in der Krise.

Nicht nur in der Krise, wie der Finanzminister gesagt hat, sondern auch im Scheitern liegt immer eine Chance. Ich finde, wir sollten sie wahrnehmen und aus dem Scheitern der Schuldenbremse lernen, dass wir uns von ihr auch grundsätzlich verabschieden und ihrer entledigen sollten.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Robert Lambrou (AfD))

– Dazu komme ich gleich noch. – Durch das Vorgehen will sich die Landesregierung weitgehend freie Hand verschaffen. Darauf haben verschiedene Rednerinnen und Redner hingewiesen. Der erste Nachtragshaushalt hat Ihnen schon weitgehende Rechte in der Verwendung von Haushaltsmitteln eingeräumt. Bereits im März haben wir, die Opposition, die Regierung aber gemahnt, dass Sie diese Spielräume nicht als Blankoscheck verstanden wissen dürfen. Mit dem Sondervermögen kommt jetzt noch einmal sehr viel Geld dazu.

Da fragt man sich natürlich, welche Kommunikation und welche Zusammenarbeit Sie mit dem Haushaltsgesetzgeber planen. Den vertrösten Sie nämlich mit einem Zustimmungsvorbehalt des Haushaltsausschusses bei Ausgaben von mehr als 10 Millionen €. Bei einem solchen Vorgehen, finde ich, müssen Sie sich schon den gerechtfertigten Vorwurf gefallen lassen, dass Sie den Landtag auf einen Statisten für ein vermeintlich entschlossenes Regierungshandeln reduzieren. Sie werden verstehen, glaube ich, dass wir Ihnen das nicht durchgehen lassen.

(Beifall DIE LINKE)

Aus Sicht des Haushaltsgesetzgebers muss mit Blick auf die demokratische Kontrolle die Einrichtung eines Sondervermögens deshalb auch kritisch beleuchtet werden. Das Mindeste wäre es, den Entscheidungsvorbehalt für den Landtag – nicht für den Haushaltsausschuss – deutlich stärker auszugestalten. Das wäre das Mindeste im Umgang mit diesem Sondervermögen.

Trotz dieser Kritik am Vorgehen bleibt es grundsätzlich richtig und notwendig, dass der Staat und auch das Land Hessen große Summen in die Hand nehmen, um die mittelbaren und unmittelbaren Folgen der Pandemie zu bekämpfen. In Zeiten, in denen Steuereinnahmen dramatisch einbrechen, kann dieses Geld auch aus Krediten kommen. Dafür brauchen sich CDU und GRÜNE aus unserer Sicht gar nicht zu schämen. Dass Sie jetzt das Gegenteil von dem machen, was Sie uns jahrelang gepredigt haben, werfen wir Ihnen wahrscheinlich sogar am wenigsten vor.

(Lachen Freie Demokraten)

Wie es Art. 141 Landesverfassung verlangt, haben Sie natürlich auch einen Tilgungsplan für die aufgenommenen Schulden vorgelegt. Die Tilgung soll innerhalb von 30 Jahren erfolgen. Wir finden, Sie zeigen sich da immerhin lernfähig. Das Artikel 141-Ausführungsgesetz sieht eigentlich einen Zeitraum von sieben Jahren vor, den Sie auch in dieses Gesetz hineingeschrieben haben. Die Tilgung für den ersten Nachtragshaushalt sollte noch innerhalb von zehn Jahren erfolgen. Und jetzt landen Sie bei 30 Jahren – immerhin, könnte man meinen.

Aber – da kommt auch gleich das Aber – ich verstehe nicht, warum ausgerechnet die vielleicht schwerste wirtschaftliche Krise seit Bestehen der Bundesrepublik und des Landes Hessen in einem Zeitraum abbezahlt werden soll, in dem Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen kaum den Kredit für eine Eigentumswohnung in Frankfurt am Main abtragen können.

(Zuruf: Aha!)

Nordrhein-Westfalen geht da einen ganz anderen Weg. Dort hat die schwarz-gelbe Landesregierung sich für einen Tilgungsplan über 50 Jahre entschieden.

(Zuruf Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten))

Dazu kommt: Der Tilgungsplan, den Sie vorgelegt haben, ist ziemlich starr, und am Ende ist überhaupt nicht klar, wer die Kosten der Krise tragen soll.

Herr Kaufmann, wenn Sie sich – ich will mal sagen – etwas selbstgerecht hierhin stellen, dann müssen Sie sich auch von uns anhören, dass Sie mit dem von Ihnen vorgelegten Tilgungsplan Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden. Laut Tilgungsplan der Landesregierung soll ab 2021 – ziemlich früh, das ist schon nächstes Jahr – bis 2030 die Summe von 3,1 Milliarden € getilgt werden. Sie wollen also in einem Drittel der Zeit 25 % der Schulden tilgen. Nach ihrer Logik, die Sie uns jahrelang gepredigt haben, belasten Sie kommende Generationen. Das ist nicht meine Sichtweise, aber Sie müssen sich schon an Ihren Maßstäben messen lassen.

(Beifall DIE LINKE)

Anstatt schulmeisterliche Vorschläge zu verteilen, täte es den GRÜNEN deswegen gut, ein wenig Demut zu zeigen. Aber – das ist nun unsere Kritik – dieser Tilgungsplan droht, wenn er in kommenden Haushalten nicht gegenfinanziert werden kann – Tilgungen steigen immer weiter an –, kommende Kürzungs- und Sozialabbaurunden vorzubereiten.

Ich will ganz klipp und klar sagen: Das lehnen wir ab. Das wird auf unseren entschiedenen Widerstand treffen.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn Sie in diesem Haushalt 200 Millionen € einsparen wollen, dann wissen Sie, dass wir dazu innovative Vorschläge haben. Einen Inlandsgeheimdienst, der auf dem rechten Auge blind ist, kann man sich sparen. So könnte man auch schon in diesem Haushalt 200 Millionen € einsparen. Nichtsdestotrotz geht es uns hier nicht um Kürzungen und Sozialabbau.

Nun aber die spannende Frage: Was steckt eigentlich in dem Sondervermögen? Trotz der hohen Summen, die Sie in die Hand nehmen wollen, wenig Konkretes. Es findet sich eine grobe Liste von Maßnahmen und Verwendungszwecken. Der Gesetzentwurf der Landesregierung führt aber dann nur einen recht unverbindlichen Anhang mit sich. Anders ausgedrückt: Nach dem hessischen Sozialminister, der in der Krise offenkundig auch nicht immer besonders gut aussah, scheint nun auch der Finanzminister nicht deutlich sagen zu wollen, wie er aus der Krise kommen will und wohin er politisch möchte. Weder der Nachtragshaushalt noch das Gesetz zum Sondervermögen zeigt ganz klar auf, was eigentlich mit den 12 Milliarden € getan werden soll. Wir glauben, mit einer solchen unverbindlichen Herangehensweise sichert man Hessens Zukunft jedenfalls nicht.

Was Sie hier vorgelegt haben, entspricht – ich hatte es schon angedeutet – nicht einmal den eigenen Ansprüchen der Landesregierung. Was Sie vorlegen, ist kein Neustart, sondern ein Plan, wie man vielleicht mit Ach und Krach in die bisherige schwarz-grüne Normalität zurückfindet, die aus unserer Sicht nicht besonders ökologisch und schon gar nicht sozial ist. Statt sich den Zukunftsaufgaben zu stellen, flüchten Sie sich in ein „Weiter so“ schwarz-grüner Regierungsrealität.

Aber – das ist in dieser Debatte viel zu kurz gekommen – auch unabhängig von Corona liegt so einiges im Argen in Hessen. Nach 20 Jahren CDU-geführter Landesregierungen erkennt man Schulgebäude in vielen Städten und Gemeinden daran, dass sie eines der marodesten Gebäude im ganzen Ort sind. In Hessen ist es traurige Realität, dass Schulen gesperrt werden müssen, weil sie baufällig sind. Es fehlen Kita- und Krippenplätze, bezahlbarer Wohnraum ist im Ballungsgebiet Rhein-Main Mangelware, Krankenhäuser wurden privatisiert oder gar geschlossen, Verkehrsund Energiewende beschränken sich auf ein paar Elektroautos hier, der ÖPNV platzt trotz hoher Preise noch immer aus allen Nähten, und die Nächte im Rhein-Main-Gebiet werden von Flugzeugen verlärmt. Vermutlich werden sie auch zukünftig wieder von Flugzeugen verlärmt werden.

Meine Damen und Herren, das ist die vermeintlich neue Normalität, in die die schwarz-grüne Landesregierung mit ihrem als „Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz“ verbrämten Sondervermögen wieder zurück will. Das ist alles andere als generationengerecht. Ich habe nie verstanden, was daran generationengerecht sein soll, wenn wir unseren Kindern eine marode öffentliche Infrastruktur, nicht angemessen ausgebaute Schulen, Kitas und Bildungseinrichtungen hinterlassen. Deswegen ist das der falsche Weg.

(Beifall DIE LINKE)

Weil wir so viel über Corona und die Folgen sprechen, will ich Sie noch einmal an andere Realitäten erinnern. Wie sah denn die Normalität vor Corona aus? 900.000 Menschen in Hessen, die von Armut bedroht oder betroffen sind – das werden nach der Krise noch viel mehr sein –, stehen 1.400 Einkommensmillionären gegenüber. Zwei Familien in Hessen besitzen ein höheres Vermögen als die Summe der Staatsverschuldung unseres ganzen Bundeslandes.

(Zuruf: Und?)

In der alten Normalität wurden die ökologischen Grundlagen unseres menschlichen Lebens hier in Hessen zerstört, und eine Arbeitsteilung wurde ausgeübt, in der vor allem Frauen – das sollten Sie sich wirklich noch einmal vor Augen führen – systemrelevanten Tätigkeiten nachgehen und dennoch finanziell und sozial benachteiligt werden.

(Beifall Torsten Warnecke (SPD))

Ich finde, in diese Normalität sollten wir nicht zurückkehren.

(Beifall Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Eine gute Zukunft für Hessen kann man nur mit einem Neustart sichern, der massiv in die Erneuerung unserer Infrastruktur nach sozialen und ökologischen Kriterien investiert und der die soziale Sicherheit der Menschen garantiert.

Wir brauchen enorme finanzielle Mittel aus dem Landeshaushalt, um Schulen zu sanieren. Der Sanierungsstau in Hessen macht alleine 3 Milliarden € aus. Wir brauchen Mittel für Kitas und Krankenhäuser. Jährlich fehlen laut Deutscher Krankenhausgesellschaft 250 Millionen € für Investitionen in Krankenhäuser. Das war schon vor Corona so. Es fehlt an bezahlbaren Wohnungen. Es mangelt an der Verkehrs- und Energiewende und an Investitionen in den Kommunen.

Wenn wir uns das alles anschauen, ist doch völlig klar, dass die Pläne der Landesregierung diesen Anforderungen weder quantitativ noch qualitativ gerecht werden. Die Summen reichen nicht aus. Die Ziele sind viel zu wenig ambitioniert. Die sozial-ökologische Erneuerung, von der Wirtschaftsminister Al-Wazir gesprochen hat, ist doch mit Blick auf das, was Sie in den PowerPoint-Präsentationen vorgelegt haben, ein schönes Lippenbekenntnis, aber nicht viel mehr. Was Sie vorgelegt haben, ist eine Absichtsbekundung, aber eben nicht mehr. In der Konkretisierung findet es sich nicht.

Jetzt kommen wir zum vierten Punkt Ihrer Vorlagen, dem sogenannten Kommunalpaket. Auch hier ist die Politik nicht krisensicher. Die vielen Restriktionen, mit denen die Kommunen belegt worden sind, wie der Schutzschirm und die Modalitäten der Hessenkasse, haben wir immer heftig kritisiert. Gut, die Hessenkasse setzten Sie nun in der Krise zum Teil aus. Sie wollen die Beiträge zur Hessenkasse wenigstens teilweise stunden, aber besser wäre ihre völlige Aussetzung, wie ich finde. Sie wollen Teile der Schutzschirmvorgaben aussetzen, die Ihnen sonst so heilig waren.

Darüber hinaus gibt es nur vage Absichtserklärungen darüber, dass man sich irgendwann mit den Kommunen verständigen will, wie man die enormen Steuerausfälle, die den Kommunen drohen, dann kompensieren will.

Ich finde, diese Vorlage ist auch Eingeständnis, dass der Kommunale Finanzausgleich in der Krise anscheinend nicht mehr so funktioniert, dass er den Kommunen das, was sie brauchen, nämlich eine krisenfeste ausreichende Finanzausstattung, sicherstellen kann.

Mit Blick auf die Krise wäre es deswegen dringend notwendig, die Kommunen in die Lage zu versetzen, neben der Aufrechterhaltung der sozialen und kulturellen Infrastruktur, die größtenteils auch in den Kommunen geleistet wird, auch in der Krise stärker zu investieren. Da reichen eben nicht die Verweise auf Ihre kleinen Kommunalinvestitionsprogramme. Da braucht es mehr Mittel, damit die Kommunen investieren können.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Die 2,5 Milliarden € aus dem Sondervermögen werden wahrscheinlich nicht einmal ausreichen, um die Verluste der Kommunen bei den Steuereinnahmen auszugleichen,

(Torsten Warnecke (SPD): Ja!) die sich nach der Steuerschätzung allein bis 2023 auf 3,5 Milliarden € belaufen;

(Torsten Warnecke (SPD): Ja!) von den pandemiebedingten Mehrausgaben in den Kommunen war da noch gar keine Rede. Deswegen ist Ihr Kommunalpaket angesichts der Anforderungen mehr als dürftig.

Für uns ist klar: Ein echter Neustart aus der Krise wird sowohl im Bund als auch im Land sehr viel Geld kosten. Deswegen wird man kurz- und mittelfristig nicht umhinkommen – völlig richtig –, sich dieses Geld zu leihen. Wenn es aber darum geht, wer am Ende die Kosten der Pandemie zu tragen hat, wenn es darum geht, Staatsverschuldung wieder abzubauen, dann sollten wir dafür sorgen, dass das von denen getragen wird, die sich das wirklich leisten können.

Ich habe es Ihnen bei der letzten Plenarrunde schon einmal gesagt: Wir wollen eine alte Idee der CDU aufgreifen, nämlich das Lastenausgleichsgesetz nach Art. 106 Grundgesetz. Außerdem wollen wir eine einmalige Vermögensabgabe erheben, um die Kosten der Corona-Krise und die Finanzierung eines notwendigen Neustarts zu sichern. Vorbild ist die CDU-Idee des Lastenausgleichgesetzes aus den 1950er-Jahren. Wenn wir uns hier doch alle einig sind, dass dies die schwerste Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist, wenn wir uns da wirklich einig sind und die Lage so ernst einschätzen, dann wäre es doch selbstverständlich, dass wir auf die Mittel zurückgreifen, die uns das Grundgesetz für solche besonderen Krisen zur Verfügung stellt.

Wir reden hier auch nicht davon, dass wir sehr große Vermögen belasten oder Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen viel stärker belasten. Wir können vortrefflich darüber streiten, ob der persönliche Freibetrag dann bei 1 Million oder 2 Millionen € pro Person liegt. Das ist an der Lebensrealität vieler Menschen in diesem Land ganz weit vorbei. Wir können darüber diskutieren, ob die Abgabe 20 oder 30 % beträgt, ob sie abbezahlbar ist über zehn oder 20, oder über 30 Jahre. Das ist alles Diskussionsgrundlage. Am Ende muss uns aber doch klar sein, dass das dem Bund mehrere Hundert Milliarden Euro an Einnahmen brächte, an denen dann auch Länder und Kommunen zu beteiligen sind, die uns eine finanzielle Grundlage geben, um die Folgen der Krise zu bewältigen.

Deswegen ist es für uns völlig klar: Die Diskussion, wer für die Kosten der Krise aufkommt, beginnt jetzt. Wir sind der Meinung, wer Solidarität predigt, der muss auch dafür sorgen, dass die Reichen und Vermögenden einen angemesseneren Anteil an der Finanzierung der Krisenfolgen bezahlen.

(Beifall DIE LINKE und Gerald Kummer (SPD))

Bei einer Vermögensabgabe geht es um die Bewältigung von Krisenfolgen und um Investitionen. Da Sie unsere Forderungen nach einer Vermögensteuer so sehr lieben, betone ich: Auch diese braucht es. Sie werden sich noch wundern. Auch diese ist nach Art. 106 Grundgesetz vorgesehen. Wenn wir aus der Krise heraus unsere sozialen Sicherungssysteme und unsere öffentliche Infrastruktur erhalten wollen, dann kommen wir nicht um eine solche Maßnahme herum.

Aus unserer Sicht hilft es nicht, sich hier mit Lippenbekenntnissen und unverbindlichen Absichtserklärungen durch die Krise zu wurschteln. Vielmehr brauchen wir sozialen Schutz und Investitionen in die Zukunft. Deswegen werden wir uns mit entsprechenden Anträgen in die Debatte einbringen.

Für uns ist völlig klar: Wir wollen nicht so aus der Krise herauskommen, wie wir in die Krise hineingekommen sind, sondern wir wollen einen grundsätzlichen sozial-ökologischen Neustart. Vor allem wollen wir das verhindern, was viele Menschen in der Wirtschaft- und Finanzkrise in den Jahren 2008 ff. schmerzlich erlebt haben, nämlich dass die regierenden Parteien zwar die Banken gerettet, aber die Menschen im Stich gelassen haben. Meine Damen und Herren, das darf sich nicht wiederholen.

(Beifall DIE LINKE)

Abschließend noch einen Satz zum Verfahren. Der Finanzminister hat im Vorfeld immer wieder betont, dass er das Parlament jederzeit ausreichend informieren wolle. Ich finde es daher nicht besonders glücklich, wenn wir als Opposition von Ihren Plänen über ein Sondervermögen aus der Presse erfahren müssen.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Robert Lambrou (AfD))

Erst recht, wenn dann auch noch klar wird, dass Sie uns bewusst nicht in die Diskussion mit anderen Fraktionen einbezogen haben. Ich finde, das ist schlechter Stil. Bitte erlauben Sie mir zum Abschluss die Polemik: Das zeigt leider die ideologischen Beißreflexe der Hessen-CDU tief in den Schützengräben des Kalten Krieges.

(Zurufe CDU)

Ich kann damit leben. Für mich ist das kein Problem. Wir haben einen Plan, wie wir Hessen aus der Krise führen wollen.

Diese Bemerkung zum Abschluss meiner Rede gestehen Sie mir bitte zu: Liebe Kollegen von der CDU, eines erwarte ich von Ihnen dann aber doch. Wenn Sie nach den Debatten über diesen zweiten Nachtragshaushalt in Ihre Wahlkreise zurückkehren, dann müssen Sie vor Ort erklären, dass Sie zwar den zweiten Nachtrag ohne die Einbindung der LINKEN auf den Weg gebracht haben, die aus Ihrer Sicht immer noch eine genauso große Bedrohung sind wie der parlamentarische Arm des Rechtsterrorismus. Sie müssen Ihrer Parteibasis dann aber auch erklären, dass Sie sich beim ersten Nachtrag noch über unsere Zustimmung gefreut haben. Da wäre ein bisschen Reue angesagt, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)