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Rede

Jan Schalauske - Wer Klimaschutz will, darf keine Autobahnen bauen

Jan Schalauske
Jan SchalauskeUmwelt- und KlimaschutzVerkehr

In seiner 55. Plenarsitzung am 1. Oktober 2020 diskutierte der Hessische Landtag über den Weiterbau der A49 und die Situation im Dannenröder Forst. Dazu die Rede unseres stellvertretenden Vorsitzeden Jan Schalauske.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Hitzesommer, Waldsterben, Wasserknappheit – wir leben in einer Zeit, in der wir die Auswirkungen des vom Menschen gemachten Klimawandels drastisch zu spüren bekommen. Ausgerechnet in dieser Zeit soll in Mittel- und Nordhessen eine Autobahn gebaut werden, deren Planungen aus der Mitte des letzten Jahrhunderts stammen?

Zunehmend mehr Menschen sind der Auffassung, dass wir eine Verkehrswende brauchen. Es wächst das Bewusstsein, bis weit in konservative Kreise hinein, dass sich Mobilität verändern muss, dass die Schiene und der öffentliche Personennahverkehr gestärkt gehören und dass Gütertransporte klimafreundlich organisiert werden müssen. Ausgerechnet in dieser Zeit erklärt uns ein grüner Verkehrsminister, der Kampf gegen die A 49 sei verloren.

Weltweit gehen Millionen Menschen gegen den Klimawandel auf die Straße, das Bewusstsein der Menschen ändert sich – und ein grüner stellvertretender Ministerpräsident gibt den Kampf verloren. Meine Damen und Herren, das ist ein Schlag in die Gesichter vieler Aktivisten von Bürgerinitiativen, Umwelt-, Klimabewegungen und der grünen Basis.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist der Grund, warum Umweltaktivisten wie Carola Rackete sagen, dass die GRÜNEN nicht glaubwürdig seien. Was stand denn heute vor dem Landtag auf dem Banner von Greenpeace? „Wenn das noch grün ist – dann sehen wir schwarz!“ – Herr Staatsminister Al-Wazir, überdenken Sie Ihre Haltung. Stehen Sie für Ihre einstigen Ziele ein, und nutzen Sie Ihren Handlungsspielraum. Hören Sie auf, zuzusehen, wie der Wald gerodet wird.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, der Weiterbau der A 49 ist nichts anderes als ein Planungsdinosaurier, über den die Zeit hinweggegangen ist. Diese verkehrs- und umweltpolitische Geisterfahrt muss doch endlich beendet werden. Wer die Menschen und das Klima schützen will, der muss diesen Autobahnwahnsinn stoppen.

(Beifall DIE LINKE)

Gründe hierfür gibt es genug. Für den Bau der A 49 sollen 85 ha Wald gerodet werden, darunter intakter, vorbildlich nachhaltig bewirtschafteter Mischwald. Die Befürworter sagen, es gebe Ausgleichsmaßnahmen. Aber es ist eine abstruse Vorstellung, schwere ökologische Schäden ungeschehen machen zu können, indem man auf anderen Flächen Natur quasi einfach stapeln könnte. Man kann die Zerstörung des Dannenröder Waldes nicht an einem anderen Ort kompensieren. Deshalb dürfen der Herrenwald und der Dannenröder Wald nicht gerodet werden.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist nicht das Einzige. Der Autobahnbau gefährdet auch die Trinkwasserversorgung – in einer Region mit über 500.000 Menschen. Im Trassenverlauf liegen wichtige Wasserschutzgebiete Mittelhessens. Für die mittelhessischen Wasserwerke, die die Trinkwasserbrunnen betreiben, ist der geplante Trassenverlauf sogar der ungünstigste. Sie sagen, gravierende Folgen für die Wasserversorgung seien nicht auszuschließen, und der Bau wäre eine Operation am offenen Herzen.

Darüber hinaus droht die Freisetzung von Rüstungsaltlasten. Seit Dienstag liegt ein Wassergutachten vor, in Auftrag gegeben von der Gesellschaft, die die Autobahn bauen will, und ausgeführt von dem Büro, das schon früher in Gutachten grünes Licht für die Planungen gegeben hat. Daher scheint das Motto zu gelten: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Meine Damen und Herren, die Versorgung mit Trinkwasser ist viel zu wichtig, als dass wir sie einem Autobahnbau unterordnen dürfen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich kann gut verstehen, wenn Menschen hoffen, dass sich durch den Bau der Autobahn die Verkehrsbelastung in der Region reduziert. Ich komme ja selbst aus Mittelhessen. Aber ich befürchte, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Was in den Sechzigerjahren einmal als eine lokale Verbindung von Gießen nach Kassel gedacht war, wird im globalisierten Kapitalismus des 21. Jahrhunderts zu einer zentralen Nord-Süd-Verbindung in Europa führen – für den Güterverkehr auf der Straße, Beton von Stockholm bis nach Istanbul und wieder zurück.

(Zurufe CDU: Ah!)

Dafür war die Autobahn aber nie konzipiert. Sie wird massiven Verkehr nach Mittelhessen bringen. Viele Straßen werden be- und nicht entlastet. Ganze Täler werden verlärmt. Wer Straßen sät, der wird Verkehr ernten. Wir wollen das nicht.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf CDU)

Es gibt ein weiteres Problem: Der Weiterbau der A 49 verursacht gigantische Kosten. Der Bau von 42,5 Autobahnkilometern verschlingt 1,4 Milliarden €. In nur wenigen Jahren haben sich die Kosten für dieses Privatisierungsprojekt verdreifacht. Der Bundesrechnungshof ist bis heute nicht von der Wirtschaftlichkeit der Privatisierung überzeugt. Private Investoren reiben sich die Hände. Sie freuen sich auf klingelnde Kassen. Das lehnen wir ab. Straßen gehören in öffentliche Hand.

(Beifall DIE LINKE)

Statt das Geld in einer unnützen Autobahn zu versenken, sollten wir die Mittel doch lieber nehmen, um sie in bezahlbare, klimafreundliche Mobilität, in den Ausbau der Schienen und des öffentlichen Personennahverkehrs zu stecken. Auch rechtliche Bedenken konnten bis heute nicht ausgeräumt werden. Die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses, auf das juristisch immer abgestellt wird, um den Autobahnbau durch Naturschutzgebiete zu legitimieren, basieren auf zahlreichen widerlegten Zahlen und auf windigen Fakten. Ein Projekt, das offenkundig auf falschen Annahmen basiert, darf doch nicht weiterverfolgt werden, nur damit man es weiterverfolgt. Nein, ein solches Projekt muss gestoppt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, wir danken den Bürgerinitiativen in Nord- und Mittelhessen, die sich jahrzehntelang gegen die A 49 engagiert haben.

(Zuruf CDU)

Wir begrüßen den „Dannenröder Appell“, welcher von zahlreichen Initiativen auf den Weg gebracht wurde und von lokalen Gliederungen von GRÜNEN und LINKEN unterzeichnet worden ist. Wir schicken gerade in diesen Minuten Grüße in den Danni an die Aktiven der Waldbesetzung.

(Zurufe)

Für uns ist klar: Meine Damen und Herren, man muss diese Autobahn nicht bauen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Planungen sind nicht mehr zeitgemäß. Da können Sie hundertmal argumentieren, das Verfahren sei durch alle demokratischen und rechtlichen Instanzen gelaufen; das ist auch richtig.

(Günter Rudolph (SPD): Stimmt, da haben Sie recht!)

Richtig ist aber auch: Baurecht ist keine Baupflicht. – Meine Damen und Herren, wir können dieses Projekt stoppen. Dazu erlaube ich mir, zu zitieren:

Wir ziehen damit den endgültigen Schlussstrich unter ein Vorhaben, gegen das von Anfang an gewichtige Einwände erhoben wurden …

Vizepräsidentin Karin Müller:

Herr Schalauske, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lambrou zu?

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Nein, ich zitiere.

Wir ziehen damit den endgültigen Schlussstrich unter ein Vorhaben, gegen das von Anfang an gewichtige Einwände erhoben wurden und über das die Zeit hinweggegangen ist.

Das sagte kein Geringerer als der grüne Verkehrsminister Tarek Al-Wazir im Jahr 2015 zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses des Alleetunnels in Frankfurt. Wir merken: Planfeststellungsbeschlüsse können aufgehoben werden, man muss es eben nur wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn sich die CDU, die SPD und die GRÜNEN dafür aussprechen würden, das Projekt zu überdenken, dann gäbe es gute Chancen, diesen Autobahnwahnsinn zu stoppen. Das Problem ist aber: Sie wollen es nicht.

(J. Michael Müller (Lahn-Dill) (CDU): Richtig!)

CDU und SPD sind in den letzten Wochen auf Tauchstation gegangen. Der grüne Verkehrsminister hört nicht auf, zu beteuern, er sei nur der Ausführer, er habe keinen Spielraum. Er sehnt das Ende des Jahres herbei, an dem er die Verantwortung los ist.

(Zuruf Günter Rudolph (SPD))

Herr Staatsminister Al-Wazir, hören Sie auf mit dieser zur Schau getragenen Darstellung Ihrer inneren Zerrissenheit. Handeln Sie wie ein Politiker, der für seine Überzeugung kämpft. Früher wären die GRÜNEN nicht nur in den Wald gegangen, nein, sie wären geblieben und hätten selbst Baumhäuser gebaut. Heute betreiben sie eine Verkehrspolitik, die Ihnen den Beifall von CDU, FDP und AfD einbringt. Das ist doch erbärmlich, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Seien Sie doch bitte ehrlich: Wären Sie nicht in einer Koalition mit der Hessen-CDU, dann würden Sie heute nicht einen Antrag für, sondern gegen den Weiterbau der A 49 in den Hessischen Landtag einbringen. Jetzt und hier und heute ist der Zeitpunkt, an dem Sie sagen müssen, ob Sie für oder gegen dieses Projekt sind. Sie müssen Farbe bekennen. Hören Sie auf, Naturschutz, Klimaschutz und Verkehrswende im Mund zu führen, sondern machen Sie die Verkehrswende, schützen Sie das Klima, setzen Sie sich für ein Moratorium ein, und machen Sie das gegenüber der Bundesebene deutlich.

(Beifall DIE LINKE)

Eines noch, besonders an die Vertreter der FDP und der CDU. An Sie möchte ich adressieren: Hören Sie auf, Gewalt bei den Protesten herbeizureden.

(Lachen CDU und Freie Demokraten)

Stoppen Sie die Kriminalisierung der jungen Menschen im Wald.

(Zurufe CDU und Freie Demokraten)

Ziviler Ungehorsam ist – –

(Zurufe Freie Demokraten)

Vizepräsidentin Karin Müller:

Herr Schalauske, es ist etwas unruhig. Sie müssten eh zum Schluss kommen, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Ziviler Ungehorsam ist eine wichtige Triebfeder der Demokratie. Wie formuliert das die Grüne Jugend: „Alle in den Wald! … #dannibleibt … A 49 stoppen!“ – Politische Entscheidungen können verändert werden. Wir beantragen namentliche Abstimmung.

(Beifall DIE LINKE)