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Rede

Jan Schalauske zum Corona-Hilfegesetz

Jan Schalauske
Jan SchalauskeCoronaHaushalt und FinanzenWirtschaft und Arbeit

In seiner 55. Plenarsitzung am 1. Oktober 2020 diskutierte der Hessische Landtag über das Corona-Hilfegesetz. Dazu die Rede unseres haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich glaube, wir sind relativ einheitlich in der Überlegung, dass die CoronaPandemie zweifelsohne viele wichtige Bereiche unseres wirtschaftlichen Lebens beeinträchtigt und dass Bund und Land in einem überraschenden Maße schnell willens und in der Lage waren, zumindest in Teilbereichen zu helfen. Das ist, glaube ich, über Parteigrenzen hinweg schon einmal festzustellen.

Unternehmen bekommen Bürgschaften, Übergangshilfen und Kredite; aber diese Programme haben alle Lücken, und sie haben Fehlgewichte. Denn eine Gruppe hat die Politik vergessen, vielleicht sogar links liegen gelassen. Während in Hessen große Unternehmen zum Teil großzügige finanzielle Unterstützungen bekommen, sind Soloselbstständige, Künstler und all diejenigen, die sich in sehr prekären Umständen als Selbstständige durch das Leben kämpfen, nach wie vor auf die Grundsicherung angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Da haben wir als LINKE eine klare Perspektive: Wir finden, dass diese Grundsicherung eben nicht ausreicht. Hartz IV bringt Menschen in Armut und belässt Menschen in Armut. Hartz IV ist die gesetzliche Festschreibung von Armut. Wir sind dagegen, Menschen per Gesetz in Armut zu schicken. Das gilt auch für Selbstständige, die sich prekär durch das Leben kämpfen.

Lieber Kollege Bamberger, wenn gesagt wird, man solle den Menschen doch irgendwie die „psychologische Hürde“ nehmen, und dass es gar nicht so schlimm sei, wenn man Hartz IV in Anspruch nehme, dann bitte ich diejenigen, die Hartz IV lange Jahre propagiert haben, noch einmal zu überlegen, wie in diesem Land vor wenigen Jahren noch über Hartz-IV-Empfänger gesprochen wurde, welche Vorstellungen man diesbezüglich verbreitet hat, welche Menschen dies seien, die solche staatlichen Nothilfen angeblich bräuchten.

(Wolfgang Decker (SPD): Ja, das sind heute die Flüchtlinge!)

Wir hatten nämlich keine Diskussion darüber, dass es eine Grundsicherung, ein soziales Recht ist, dass es eines Mindestmaßes an Auskommen bedarf und dass sich dafür niemand schämen muss. Im Gegenteil, man hat die Menschen dafür kritisiert und sie mit Bildern gezeichnet, die völlig unangemessen waren. Ich finde, wenn diese Krise etwas gezeigt hat, dann dies, dass wir damit vielleicht endlich einmal aufhören sollten und dass es gut wäre, wenn man die Regelsätze erhöhen würde und das Bild zeichnete, dass es das gute Recht der Menschen ist, soziale Hilfen in Anspruch zu nehmen.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich stimmen wir dem FDP-Gesetz zu. Die Anhörung hat gezeigt, dass es hier eine Regelungslücke gibt, dass die Selbstständigen im Regen stehen gelassen werden. Lieber Kollege Kaufmann, deswegen finde ich nicht, dass man der FDP bei allen ideologischen Differenzen, die wir haben, eine „Profilneurose“ vorwerfen kann,

(Zuruf Freie Demokraten) sondern die FDP weist auf ein politisches Problem hin, mit dem wir uns ernsthaft beschäftigen sollten. Dass es Mittel und Wege gibt – Herr Bamberger hat dies mit einem Satz abgetan –, hat die Anhörung gezeigt. Es gibt in BadenWürttemberg den fiktiven Unternehmerlohn. Diesen kann man als Ersatz für Einkommen werten; und dort sind es ausgerechnet die GRÜNEN, die solche Regelungen auf Landesebene vorantragen.

(Zurufe Freie Demokraten: Ach!)

Diejenigen, die hiervon betroffen sind, finden diese Regelung gut und würden sich wünschen, dass es diese auch in Hessen gibt.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Daher muss sich eine Landesregierung mit einem grünen Wirtschaftsminister fragen lassen – dieser ist jetzt nicht da –, warum er eine solche Regelung in Hessen nicht in Erwägung zieht.

Hinzu kommt das Problem, dass wir einen unbürokratischen Zugang zur Grundsicherung brauchen. Zweifelsohne gibt es jetzt in der Krise Erleichterungen; denn die Menschen müssen nicht mehr ihr gesamtes Erspartes aufbrauchen. Es gibt Maßnahmen, die nicht mehr so bürokratisch sind. Trotzdem hat die Anhörung gezeigt, dass dies viele Selbstständige nicht bestätigen können. Der Landesverband Professionelle Freie Darstellende Künste Hessen macht deutlich, dass die Hilfen aus seiner Sicht bei fast zwei Dritteln der Antragstellenden alles andere als einfach und unbürokratisch gewährt worden seien. Diese Menschen geraten dann in die Mühlen des Hartz-Systems und werden dort, trotz der zeitlich begrenzten Erleichterung, nicht in der Art und Weise aufgefangen, wie dies hier propagiert wird. Deswegen bleiben wir dabei: Diese Menschen in Hartz IV zu schicken, kann nicht der richtige Weg sein, und deswegen braucht es da eine Lösung.

Aber – jetzt kommt das Aber – natürlich haben wir auch noch an einigen anderen Punkten des Gesetzentwurfs Bedenken. Mit Blick auf die Gewerbetreibenden sollten für die Bewilligung staatlicher Gelder bestimmte Voraussetzungen gelten, z. B. eine Beschäftigungs- und Standortgarantie für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, damit ihnen nicht droht – obwohl es dann finanzielle Förderungen gibt –, ihren Job zu verlieren.

Unterstützungsleistungen sollte man nur dann erhalten, wenn Tarifverträge zur Anwendung gebracht, wenn Aus-, Weiterbildung und Qualifizierung gesichert und gefördert werden, wenn es keine Gewinnausschüttung gibt und die gewinnabhängige Vergütung für Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer begrenzt wird. Vor allem sollten die Unternehmen nachweisen müssen, dass ihrerseits in der Vergangenheit in Deutschland Steuern gezahlt und keine Steuerflucht begangen wurden. Das sollten eigentlich Selbstverständlichkeiten sein, wenn es für Unternehmen finanzielle Förderungen gibt. Bei der Gewährung von Hilfen an Unternehmen, die in der Vergangenheit durch Verstöße bei der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns aufgefallen sind, muss vor der Auszahlung von neuen Hilfen mindestens eine besondere Prüfung erfolgen. Wir finden auch den Vorschlag gut, dass Unternehmen mit einem Betriebsrat einen Bonus erhalten.

(Unruhe)

Präsident Boris Rhein:

Herr Schalauske, einen kleinen Moment. – Es ist im Plenarsaal zu laut. Ich bitte, dem Redner zuzuhören.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Gut. – Aber jetzt noch einmal zurück zur dramatischen Lage der Selbstständigen. Auf absehbare Zeit wird sich an dieser dramatischen Lage nicht viel ändern. Dies hat auch die Anhörung deutlich gemacht. Daher ist es auf jeden Fall besser, jetzt Hilfe zu beschließen, an der wir im Einzelnen noch Kritik oder Bedarf haben werden, über Einzelregelungen zu diskutieren, als eine Landesregierung zu haben, die für die Selbstständigen eben nichts tut.

(Beifall DIE LINKE)

Da es in dieser Frage sogar einen Minimalkonsens von LINKEN und FDP gibt und da auch die SPD dafür ist, kann ich nicht nachvollziehen, warum CDU und GRÜNE Soloselbstständige, kleine Unternehmen und Gruppen wie Künstler im Regen stehen lassen. Der Verweis auf die Grundsicherung, auf Hartz IV, auf Armut per Gesetz, ist nicht genug.

Natürlich ist es richtig, dass all diese Dinge am Ende auch bezahlt werden müssen. Dann gibt es zwei Varianten: Entweder werden in den nächsten Jahren die „harten“ Tilgungspläne der Regierungen in Bund und Land verfolgt; dann drohen Ausgabenkürzungen, dann muss in anderen Bereichen gespart werden, und dann wird es auch Leidtragende geben. Oder wir diskutieren endlich einmal darüber, wie man ein gerechtes Steuersystem schaffen kann, wo starke Schultern mehr tragen, sodass wir die Maßnahmen entsprechend finanzieren können.

(Beifall DIE LINKE)