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Rede

Jan Schalauske zum Haushalt 2021 - Solidarischer Neustart statt Durchwurschteln

Jan Schalauske
Jan SchalauskeHaushalt und Finanzen

In seiner 65. Plenarsitzung am 3. Februar 2021 verabschiedete der Hessische Landtag in dritter Lesung den Landeshaushalt für das Jahr 2021. Dazu die Rede unseres haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die CoronaPandemie verschärft die soziale Schieflage in unserem Land.

Millionen Menschen bangen in diesen Wochen und Monaten um ihre Existenz. Die Arbeitslosigkeit steigt, eine Welle von Insolvenzen droht. In Bussen und Bahnen kann man Menschen ansehen, ob sie sich überhaupt eine FFP2Maske leisten können. Noch immer sind in Krankenhäusern, Kitas und Altenpflegeeinrichtungen nicht genügend Testkapazitäten vorhanden. Wirtschaftliche Nothilfen wie die November- und die Dezemberhilfen sind noch nicht an alle, die sie benötigen, ausgezahlt.

Zweifelsohne haben die Pandemie und die daraus resultierenden Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung, zur Bewältigung der Folgen, auch gewichtige Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte. Milliardenschwere Zusatzausgaben treffen auf spürbare Steuermindereinnahmen.

Es war richtig, wie wir es hier betont haben, dass Bund und Länder in der Krise Hunderte Milliarden in die Hand genommen haben, um Arbeitsplätze zu retten und Existenzen zu sichern. Nur leider sind allzu oft die Mittel an die großen Unternehmen geflossen, während Soloselbstständige und Kulturschaffende noch immer nicht vernünftig abgesichert sind. Ein Pandemiezuschlag für Transferleistungsbezieher war auch noch nicht drin. Das ist einfach erbärmlich.

(Beifall DIE LINKE)

Für DIE LINKE war und ist klar, wenn CDU und GRÜNE auch in Hessen in der Krise die Schuldenbremse aussetzen, ein 12 Milliarden € schweres Kreditprogramm auf den Weg bringen, kurzum, ihre jahrelang gepredigten, gebetsmühlenartig wiederholten fiskalpolitischen Überzeugungen mal eben so über Bord werfen, dann entscheiden wir nicht – im Unterschied zu Ihnen – nach Parteibuch der Antragsteller, ob wir diesen Maßnahmen zustimmen, sondern wir entscheiden nach inhaltlichen Grundsätzen. Deshalb haben wir der Aussetzung der Schuldenbremse zugestimmt. Dazu stehen wir. Wir arbeiten jetzt gemeinsam mit anderen daran, dass sie für immer fällt.

(Beifall DIE LINKE)

Ich finde es interessant, wie Finanzminister Boddenberg uns immer wieder verzweifelt zu erklären versucht, dass CDU und GRÜNE gar nie und nimmer und überhaupt nicht die Schuldenbremse beschädigen wollten, sondern lediglich die Regeln der Schuldenbremse anwenden würden. Ein Blick auf die Zahlen entlarvt diese Argumentation als Wortklauberei.

Der Haushaltsentwurf sieht eine Nettoneuverschuldung von 840 Millionen € vor. Damit wird formal die Schuldenbremse gerade so eingehalten. Sie ließe Schulden in Höhe von 848 Millionen € zu. Tatsächlich ist aber im Haushalt eine Entnahme aus dem Corona-Sondervermögen in Höhe von 690 Millionen € vorgesehen. Auch dabei handelt es sich um Mittel aus Krediten.

Insgesamt macht das Land schon in diesem Plan über 1,5 Milliarden € Schulden, um im Jahr 2021 durch die Krise zu kommen. Darin sind noch nicht die Mittel enthalten, die vielleicht noch durch das Sondervermögen notwendig werden und die wir im Haushaltsausschuss noch beschließen werden. Da sprechen Sie allen Ernstes von Einhaltung der Schuldenbremse? Ich finde, das ist Augenwischerei.

Der Kollege Kaufmann zelebriert so schön, die LINKEN würden immer rote Zahlen schreiben. Die Wahrheit ist: Ohne Ihr Sondervermögen und ohne das Eingeständnis, dass die Schuldenbremse gescheitert ist, könnten Sie diesen Haushalt überhaupt nicht aufstellen, Herr Kaufmann.

Das Problem ist doch auch nicht, dass Sie die Schuldenbremse ausgesetzt haben. Das ist nicht unser Problem. Das Problem ist, dass Sie es eben nicht schaffen – um in Ihrer Sprache zu bleiben –, trotz der gewaltigen Kreditsummen die blühenden Landschaften zu schaffen, die Sie sich vielleicht für Hessen wünschen. Sie schaffen es mit diesem Haushaltsentwurf lediglich, Ihr Programm über die Legislaturperiode zu retten. Das ist zu wenig mit Blick auf die sozialen und ökologischen Probleme, die wir in unserem Land haben.

Bei Gewerkschaften und LINKEN und auch über diese hinaus hat es sich herumgesprochen, dass die Schuldenbremse gescheitert ist. Anders als bei den GRÜNEN in Hessen sieht man das bei den GRÜNEN im Bund übrigens schon vor der Corona-Krise so. Sie wollen die Schuldenbremse de facto abschaffen, um die Klimakrise zu bekämpfen, um für gut ausgestattete Schulen, Sportplätze und Bibliotheken zu sorgen. Leider hat sich das in Hessen noch nicht herumgesprochen. Da sorgen sich die GRÜNEN bei 136 Änderungsanträgen der LINKEN vor der Einführung des Sozialismus und überholen dabei in ihrer Rhetorik sogar noch die Hessen-CDU – na prima.

Da ist der Kanzleramtschef Helge Braun schon weiter. Er erklärte nämlich in einem Gastbeitrag kürzlich im „Handelsblatt“, die Schuldenbremse könne in den kommenden Jahren nicht eingehalten werden. Er plädierte dafür, das Grundgesetz zu ändern und die Schuldenbremse für mehrere Jahre auszusetzen. Sehr schade, dass er aus den eigenen Reihen dafür zurückgepfiffen wurde. Seit Längerem fordert sogar das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft die Abschaffung der Schuldenbremse und eine Schuldenregelung, die sich wieder an der Höhe der Investitionen orientiert. Ich finde, Sie könnten von diesem Institut und auch von Helge Braun einiges lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und GRÜNEN.

(Beifall DIE LINKE)

Wir werden diese Expertise auch in den Hessischen Landtag einfließen lassen. Wir haben eine schriftliche Anhörung zu unserem Gesetz zur Abschaffung der Schuldenbremse beschlossen. Da können wir vielleicht mit Helge Braun und Michael Hüther als Sachverständigem zu diesem Thema reden.

Das Sondervermögen schafft im Rahmen der gescheiterten Schuldenbremse einen schmalen Ausweg aus der Krise. Auch für die Kommunen – wir beraten heute auch das entsprechende Finanzausgleichsgesetz – wird sich schon morgen zeigen, vielleicht spätestens übermorgen, dass dieser Weg zu schmal sein wird. Wir hätten den Ausweg gerne breiter gestaltet; denn wir wollen nicht einfach nur sozusagen eine überholte Koalition über die Legislaturperiode retten oder zur alten Normalität zurück. Wir sehen, dass Probleme, die wir vor der Krise schon hatten, in der Krise weiter bestehen und schärfer werden. Wir müssen sie umso dringender nach der Krise lösen.

Davon findet sich leider in Ihrem Haushaltsentwurf keine Spur. Die Landesregierung ist mit dieser Krise überfordert. Sie beschränkt sich darauf, zu verwalten – Altenheime, Schulen, bei der Impfstoffversorgung –, so eben auch im Landeshaushalt. Ein Plan, wie man durch die Krise kommt, lässt sich im Haushaltsentwurf eben nicht erkennen.

Wir haben über 130 Änderungsanträge eingebracht, mit denen wir deutlich machen wollen, dass eine andere Politik nötig ist und diese auch machbar ist. Wir haben dabei drei Bereiche ausgemacht, in denen wir Schwerpunkte setzen wollen:

Erstens. Es geht darum, die mittelbaren und unmittelbaren Folgen der Pandemie abzumildern.

Zweitens. Wir wollen das Gesundheitswesen und die sozialen Netze in Hessen stärken.

Drittens. Wir brauchen Maßnahmen für die öffentliche Infrastruktur für einen sozial-ökologischen Umbau.

Zum Ersten. Um die unmittelbaren Folgen der Pandemie abzumildern, braucht es mehr Geld. Hier gilt nicht kleckern, sondern klotzen. Dass das Corona-Sondervermögen da ist, zeigt ja, dass man Geld in die Hand nehmen kann. Nur ist es im Zweifel zu klein geraten, um durch die Krise zu kommen.

Wir wollen 1,5 Milliarden € aus diesem Sondervermögen entnehmen. Wer glaubt, dass das, was Sie veranschlagen, ausreicht, der wird sich täuschen. Wir wollen die Lücken bei den Hilfen und bei der persönlichen Schutzausrüstung schließen. Aber ganz wichtig sind uns auch Mittel, um Arbeitsplätze zu retten. Wir wollen nicht wie die Landesregierung auf Bürgschaften, stille Beteiligungen und eine karitative Aufgabe für Unternehmen eingehen. Wir wollen, dass das Land selbst bei Unternehmen einsteigt und im Gegenzug dafür Beschäftigungssicherung durchsetzt, Einkommenssicherung, eine größere demokratische Mitbestimmung und eben auch den sozial-ökologischen Umbau.

(Beifall DIE LINKE)

Wir wollen das Sondervermögen aber auch dafür nutzen, im öffentlichen Bereich besser als bisher durch die Pandemie zu kommen. Wir wollen Schulgebäude sanieren, die technische und personelle Ausstattung in dem Bereich verbessern. Für uns ist und bleibt es nicht hinnehmbar, dass Schülerinnen und Schüler noch über Generationen hinweg in schlecht belüfteten Unterrichtsräumen lernen sollen. Wir hatten schon vor der Pandemie ein großes Problem mit dem Sanierungsstau in den hessischen Schulen. Deswegen wollen wir eine große Summe in die Hand nehmen, um endlich unsere Schulen zu sanieren. Wer sich alles in allem an die Schuldenbremse und an die schwarze Null klammert, der muss dann eben auch sagen, dass er genau das nicht will.

Ein zweiter wichtiger Bereich unserer Änderungsanträge ist es, die Gesundheitsvorsorge zu verbessern und das soziale Netz in Hessen auszubauen. Darunter sind sicher große Posten wie die Krankenhausinvestitionen, die in einer Höhe stattfinden, wie es die Krankenhausgesellschaft verlangt. Wenn wir in der Pandemie etwas gelernt haben, dann doch, dass wir mehr Geld in unsere Gesundheitsversorgung stecken müssen und nicht alles dem Markt und dem Wettbewerb oder gar der Privatisierung anheimfallen lassen dürfen.

Da sind große Posten wie die Verbesserung der frühkindlichen Betreuung und der frühkindlichen Bildung. Es gibt aber auch kleinere Posten, die wir veranschlagen, z. B. eine Rückkehrprämie in der Pflege. Wir erleben doch, dass der Pflegenotstand dazu führt, dass es nicht genug Personal gibt, dass es Überlastungen gibt. Mit einer solchen Prämie könnte man mehr Menschen dafür gewinnen, wieder in die Pflege zurückzukommen.

In dem Bereich Soziales finden sich viele kleine Änderungsanträge, denen CDU und GRÜNE bedenkenlos zustimmen könnten, wenn sie sie denn inhaltlich richtig fänden, selbst wenn sie unsere Gegenfinanzierung nicht teilen. Diese könnte man aus dem Haushalt erwirtschaften. Ich denke an das Unterstützungsnetzwerk für Menschen ohne Krankenversicherung, eine Stärkung der Schwangerenkonfliktberatung oder auch eine Förderung der Gemeinwesenarbeit und der Digitalisierung. All das wäre finanzierbar.

Leider haben wir aber die kuriose Situation, dass Sie alle Anträge aus Prinzip ablehnen, wenn sie von der LINKEN kommen, seien sie auch noch so klein und vernünftig. Das unterscheidet Sie aber auch von uns. Wir stimmen Änderungsanträgen anderer demokratischer Fraktionen ganz unideologisch zu, wenn sie vernünftig sind. Das unterscheidet uns leider von CDU und GRÜNEN.

(Beifall DIE LINKE)

Zustimmen werden wir z. B. dem Antrag der anderen vier demokratischen Fraktionen in diesem Haus nach einem allgemeinen Fonds für die Opfer von Straftaten. Das ist sicherlich ein richtiges Ansinnen. Er reicht uns aber nicht als Antwort auf den 19. Februar und den schwersten rechtsterroristischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik.

Im Rahmen der Gedenkstunde waren die Familien und Angehörigen hier im Hessischen Landtag. Wir beantragen 3 Millionen € für einen Fonds für die Opfer von rechtem Terror und rassistischer Gewalt. Nichts kann das Leid der Familien und der Hinterbliebenen lindern. Aber das Land Hessen muss Verantwortung übernehmen für die Familien und die Opfer. Die Mittel sollen schnell, unbürokratisch und ohne Bedürftigkeitsprüfung fließen. Das könnten wir hier alle heute gemeinsam beschließen.

(Beifall DIE LINKE)

Der dritte große Bereich ist der sozial-ökologische Umbau. Mit über 400 Millionen € sind bei uns die Schwerpunkte die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, den wir für eine Verkehrswende und für eine soziale und klimagerechte Mobilität brauchen, sowie ein sozialer Energiebonus, damit es eben nicht nur energetische Gebäudesanierungen in den öffentlichen Wohnungsbaubeständen gibt, sondern damit diese für Mieterinnen und Mieter auch warmmietenneutral und kostenneutral erfolgen und die Energiewende nicht auf den Rücken der Schwächeren abgewälzt wird. Wir wollen auch die nach wie vor dringend erforderlichen 10.000 Sozialwohnungen pro Jahr in klimaneutraler Bauweise entstehen lassen. Wir wollen einen vierten Förderweg schaffen, der sich nur an öffentliche Wohnungsbaugesellschaften, an Genossenschaften richtet und damit eine dauerhafte Mietpreisbindung garantiert.

Mit unseren über 130 Änderungsanträgen zeigen wir auch, was nötig wäre, um Hessen sozialer, ökologischer und gerechter zu machen. Vieles davon ist aus dem Haushalt und aus den 1,5 Milliarden € aus dem Sondervermögen von CDU und GRÜNEN zu finanzieren. Ja, für anderes bräuchte es tatsächlich ein gerechteres Steuersystem.

(Zuruf Freie Demokraten: Jetzt kommt es!)

In der Krise konnten die 119 Milliardäre in Deutschland ihr Vermögen noch einmal um 100 Milliarden auf rund 600 Milliarden € steigern. Da mutet doch ein Steuersatz bei der Vermögensteuer in Höhe von 1 % bei einem Freibetrag, so wie wir das berechnen, schon fast bescheiden an. Er würde aber immerhin 1,5 Milliarden € in die Landeskasse spülen.

Dazu kommt eine gerecht ausgestaltete Erbschaftsteuer. Die würde noch einmal 600 Millionen € bringen. Heute meldet das DIW, dass 50 % der Erbschaften und der Schenkungen an die reichsten 10 % der Begünstigten gehen. Das kann doch nicht sein. Wann, wenn nicht jetzt in der Krise, ziehen wir endlich die Lehren daraus und ziehen diejenigen endlich angemessen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heran, die es sich wirklich leisten können? Das ist an der Zeit.

(Beifall DIE LINKE)

Dann wird immer gern verbreitet, die LINKEN wollten das Geld nur ausgeben, sie könnten nichts einsparen. – Doch, wir wollen auch einsparen. Wir sparen beispielsweise beim Inlandsgeheimdienst ein. Der hat beim Kampf gegen rechts gezeigt, dass er eher Teil des Problems als der Lösung ist. Wir können uns auch gut Einsparungen bei der Ausweitung der Kapazitäten des Abschiebeknasts vorstellen. Die sollen vervierfacht werden. Wir können auch gerne verzichten auf Privatisierungsprojekte wie PPP. Ich glaube, das Leo-Desaster aus der Ära Koch, das uns die CDU eingebrockt hat, könnte uns eine Lehre sein.

Hätten wir 2010/2011 auf die Ausweitung der Derivategeschäfte verzichtet, hätten wir noch einmal 80 Millionen € im Jahr mehr, die wir für Sinnvolleres verwenden könnten. Sie wollen jetzt mit den Änderungsanträgen für die Zukunft das Problem heilen, das in der Vergangenheit geschaffen worden ist.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Herr Schalauske, wir sparen hier Zeit.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Genau. – Abschließend: Einigen Änderungsanträgen von CDU, GRÜNEN und FDP stimmen wir zu, ebenso wie vielen Änderungsanträgen der SPD, insbesondere im sozialen Bereich, wenn sie in die richtige Richtung gehen. Die Änderungsvorschläge der AfD lehnen wir ab. Wir lehnen auch diesen Haushaltsentwurf ab; denn er leistet nicht das, was notwendig wäre, um diese Krise zu überwinden und Hessen sozialer, gerechter und ökologischer zu gestalten. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)