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Rede

Jan Schalauske zum Haushaltsmodernisierungsgesetz

Jan SchalauskeHaushalt und Finanzen

In seiner 86. Plenarsitzung am 9. November 2021 diskutierte der Hessische Landtag über eine Änderung des Haushaltsmodernisierungsgesetzes. Dazu die Rede unseres Vorsitzenden und haushaltspolitischen Sprechers Jan Schalauske.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat einen Entwurf zur Änderung der Landeshaushaltsordnung vorgelegt. So wie man der emotionalen Dichte, ja, der lebhaften Atmosphäre in diesem Hessischen Landtag zu dieser Stunde entnehmen kann, scheint es sich doch wohl eher um eine Fachdebatte für echte Feinschmecker zu handeln – um einmal den Superlativen hier etwas hinzuzufügen. Es erscheint doch sehr wahrscheinlich, dass der Gegenstand nicht gerade die breite parlamentarische und öffentliche Aufmerksamkeit erhalten wird, die ihm vielleicht gerechtfertigterweise zustehen würde; denn bei allem Jux und aller Tollerei muss man schon festhalten: Es handelt sich hier um die Regelung des bisweilen so formulierten Königsrechts des Parlaments, um die Frage des Landeshaushalts. In diesem Sinne hat der Gegenstand natürlich eine breitere Aufmerksamkeit verdient. Ich will mich auch dem Dank an das Finanzministerium anschließen. Es war tatsächlich so, dass wir im Vorfeld der Debatte sehr viele Informationen zu dem Thema aus Sicht des Ministeriums erhalten haben. Die Regelungen, die jetzt übernommen werden sollen – das haben die Vorredner gesagt –, bringen die sogenannte Doppik, die doppische Buchführung, weiter in die Landeshaushaltsordnung ein. Das ist ein Weg, eine Unternehmung, der sich das Land Hessen schon vor Jahren verschrieben hat. Die Zeitläufe sind hier genannt worden. Sie werden sehen und nachvollziehen können, dass wir als LINKE diese Herangehensweise, der letztlich auch die Einführung von vermehrt betriebswirtschaftlichen Prinzipien bei der Aufstellung des Landeshaushalts zugrunde liegt, sehr kritisch sehen. Während hier in der Debatte schwerpunktmäßig über Transparenz und Darstellung im Haushalt und in der Haushaltsführung gesprochen wurde – das ist sicherlich auch ein wichtiges Thema, das damit verbunden ist –, möchte ich diesen Schwerpunkt setzen und noch einmal etwas zu der Betriebswirtschaftlichkeit sagen. Wir sehen nämlich – denn das wird schon seit Längerem gemacht – beispielsweise anhand des Geschäftsberichts des Landes, welche Misere die Doppik letztlich verursacht. In den Berichten, die wir Jahr für Jahr erhalten, wird deutlich, dass betriebswirtschaftliche Rechnungslegungsstandards für die öffentliche Haushaltsführung eher ungeeignet sind. Ich will ein Beispiel nennen. Das Land ist faktisch strukturell überschuldet, weil es jedes Jahr aufs Neue enorme Fehlbeträge bilanzieren muss, die im Wesentlichen aus den Rückstellungen für Pensionen resultieren, also aus in der Zukunft noch zu leistenden Pensionszahlungen, die sich aber schon heute in der Bilanz finden. Was für ein Unternehmen sinnvoll erscheinen mag, das macht doch für einen Staat absolut keinen Sinn; denn diese Pensionslasten stellen keine wirtschaftliche Existenzbedrohung für das Land dar. Niemand glaubt doch ernsthaft, dass das Land, weil es diese Verpflichtung eingehen muss, irgendwann Insolvenz anmelden würde oder diese Zahlungen in der Zukunft nicht mehr tragen könnte, sondern das sind gesetzliche Verpflichtungen, bei denen ich davon ausgehe, dass alle hier im Hause sie auch leisten wollen, weil die Beamtinnen und Beamten des Landes es verdient haben. Genau das aber, nämlich nicht zahlungsfähig zu sein, Insolvenz anmelden zu müssen, würden diese Zahlen für ein Unternehmen bedeuten; und das hat doch keinen Sinn für die Haushaltsführung des Landes Hessen. (Beifall DIE LINKE) Zum anderen wird in der Bilanz deutlich – auch darüber ist jetzt in der Debatte gesprochen worden –, welche realen Vermögenswerte das Land hält. Hier gibt es eine Neuregelung, die durchaus interessant ist: Bisher ist es so, dass das Land regelmäßig ausweisen muss, dass es Vermögenswerte abschreibt und dem keine mindestens ebenso hohen Investitionen gegenüberstehen. Sprich: Das Land lebte und lebt von der Substanz. In der neuen LHO soll jetzt geregelt werden, dass das Land sein Anlagevermögen erhalten soll. Darüber haben wir schon in den Vorgesprächen angeregt diskutiert. Herr Kaufmann hat jetzt noch einmal beschrieben, welche Fälle da eine Rolle spielen können. Ich denke, „explodierende Landtage“ sind ein eher selten vorkommendes, sehr fantasievolles und nicht wirklich realistisches Beispiel, aber der Kern der Problematik ist doch, wenn man die Formulierung „soll“ wählt, dass eine solche Formulierung am Ende zu „weich“ ist, wenn es darum geht, in einer Krise die notwendigen Investitionen zu tätigen, und die Gefahr besteht, dass – auch mit Blick auf das Urteil des Staatsgerichtshofs – im Zweifel die Schuldenbremse als wirksame Investitionsbremse den Vorrang behält. Das finden wir LINKE durchaus problematisch und hätten uns deswegen eine Formulierung gewünscht, die in Bezug auf das Anlagevermögen „stärker“ ist. Ob wir nämlich in der Krise Brücken bauen, liebe Kollegin Schardt-Sauer, das wird sich bei einer solchen Formulierung dann eben zeigen. Dabei wäre es gerade in der Krise sinnvoll, Brücken nicht sprengen zu müssen, sondern neue Brücken zu bauen. Kommen wir noch zu einem anderen Aspekt der Schuldenbremse. Mit der Neuregelung wird die Schuldenbremse aus unserer Sicht sogar noch verschärft; denn in § 18 heißt es in einem Nebensatz: Es wird die Verpflichtung eingeführt, den Schuldenstand des Landes zu reduzieren. – Aus unserer Sicht ist es weder volkswirtschaftlich sinnvoll noch überhaupt geboten, eine allgemeine Schuldenreduzierung, eine Reduzierung der Staatsverschuldung anzustreben; denn die Staatsverschuldung muss immer im Kontext der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stehen. Ein einseitiger Fokus auf den Schuldenabbau schränkt lediglich die staatliche Handlungsfähigkeit ein, entstammt aus unserer Sicht einem verqueren Verständnis vom Staat als Unternehmen und hat mit der auch von Finanzminister Boddenberg postulierten Generationengerechtigkeit überhaupt nichts zu tun. (Beifall DIE LINKE) Am Ende gibt es aber doch noch einen kleinen grünen Tupfer: Die Haushaltsordnung soll nämlich eine Bestimmung bekommen, dass bei Wirtschaftlichkeitsberechnungen „auch soziale und ökologische Folgekosten“ berücksichtigt werden sollen. Ich bin gespannt, welche Auswirkungen diese Neuregelung bei der Aufstellung von Haushalten hat. Gleichwohl steht diese Bestimmung erst einmal in der Haushaltsordnung, und das eröffnet – wenigstens theoretisch – die Möglichkeit, dass in diesem Hause solche Formulierungen ernst genommen werden, wenn es irgendwann einmal einen mehrheitlichen politischen Willen dazu gibt. Ich komme zum Schluss. Es sollte der Landesregierung zu denken geben, dass sie einerseits dem Haushaltsausgleich und der schwarzen Null immer wieder begeistert das Wort redet, gleichzeitig aber den von ihr selbst angestrebten doppischen Haushaltsausgleich als „unrealistisch“ bezeichnet und bei der kameralen Schuldenbremse bleibt. Am Ende fehlt in ihrem betriebswirtschaftlichen Denken die Konsequenz – zum Glück für die hessischen Bürgerinnen und Bürger, wie wir finden. (Beifall DIE LINKE)