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Rede

Jan Schalauske zur Bilanz des privatisierten Uni-Klinikums Gießen/Marburg

Jan Schalauske zur Bilanz des privatisierten Uni-Klinikums Gießen/Marburg

Jan Schalauske
Jan SchalauskeGesundheit

In seiner 28. Plenarsitzung am 12.12.2019 diskutierte der Hessische Landtag auf Antrag der SPD über die Bilanz des privatisierten Uni-Klinikums Gießen/Marburg. Dazu die Rede unseres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Jan Schalauske

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Wie gut, dass die FDP in dieser Frage ideologisch überhaupt nicht festgelegt ist.

(Beifall DIE LINKE)

Ich finde es eine absolute Missachtung, dass die Reihen der Fraktion, die uns den Verkauf unseres Klinikums eingebrockt hat, bei dieser Debatte völlig leer sind. Das ist eine Missachtung der Sorgen und Nöte der Beschäftigten.

(Beifall DIE LINKE und SPD) Ich beginne mit zwei Zitaten:

Fehlorganisation, bekannte Situation, Betreuung von zwei Arbeitsplätzen gleichzeitig, keine Hilfe beim Lagern der Patienten möglich, keine Pausen möglich, unzumutbare Zustände, hygienische Maßnahmen können nicht eingehalten werden ….

Zweitens.

Situationsbeschreibung: Überlastungssituation aufgrund von zehn komplett zu versorgenden Patienten. Bei allen wurde ausschließlich darauf geachtet, dass niemand länger als 30 Minuten in seinem eigenen Stuhlgang und/oder Urin liegen musste. Kein Patient erhielt Unterstützung bei der Körperpflege. Es wurde sich lediglich um akute Probleme gekümmert.

Meine Damen und Herren, so beschreiben Kolleginnen und Kollegen am UKGM in Überlastungsanzeigen ihren Arbeitsalltag. Diese Zustände an unserem mittelhessischen Klinikum, für das auch das Land Hessen Verantwortung trägt, sind völlig inakzeptabel.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Diese und weitere Überlastungsanzeigen sind auch kein Geheimnis. Der Gießener Betriebsrat hat sich vor einigen Wochen zu Wort gemeldet. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende beschreibt die Situation wie folgt:

Die Arbeitsbedingungen sind so schlecht, dass viele Bewerberinnen und Bewerber entweder gar nicht erst zu uns kommen oder nach kurzer Zeit wieder gehen. Ich möchte hier keinen Klinikbereich besonders hervorheben. Der Pflegenotstand ist breit gefächert, alle Bereiche sind betroffen. So schlimm wie derzeit war es noch nie, der Alltag ist kaum zu bewältigen.

Da frage ich doch die Vertreterinnen und Vertreter der GRÜNEN: Was erlauben Sie sich eigentlich, diese verzweifelten Hilferufe der demokratisch gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft als „Notstandsrhetorik“ zu verunglimpfen? Was fällt Ihnen eigentlich ein, so mit den Kolleginnen und Kollegen umzugehen?

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Sie leiden tagtäglich unter den schlechten Rahmenbedingungen, die auch Sie politisch mit zu verantworten haben. Sie geben ihr Bestes, um die Patienten zu versorgen. Wie können Sie diese Menschen so verunglimpfen? Ich frage mich: Wie kann es sein, dass die Landesregierung und die zuständige Ministerin, Angela Dorn, im Lichte dieser Hilferufe allein auf die Information eines Aktienkonzerns vertrauen und danach öffentlich erklären, sie habe keinen Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln?

Bei solchen Verlautbarungen der Regierung und der Ministerin fange ich an, an Ihnen zu zweifeln, wenn nicht gar zu verzweifeln. Deswegen fordern wir Sie auf: Nehmen Sie die Sorgen und die Nöte der Beschäftigten endlich ernst.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Fakt ist, in Gießen wurden wegen Personalmangel zeitweise drei Stationen geschlossen. Die Zahl der Überlastungsanzeigen ist gestiegen. Bei kaum einer der Überlastungsanzeigen kommt es zum Abschlussbericht. Die Zahl der Überstunden beläuft sich auf über 145.000. Fast 10 % der Beschäftigten fallen für einen längeren Zeitraum krankheitsbedingt aus. Der von der Geschäftsführung behauptete Stellenaufbau wird hauptsächlich durch Leiharbeit und Überstundenanrechnung sowie Bereitschaftsdienste realisiert.

All das erfährt man natürlich nicht, wenn man sich nur einseitig auf die Beschönigungen eines Aktienkonzerns verlässt, anstatt den Dialog mit den Beschäftigten zu führen.

(Beifall DIE LINKE)

Eine weitere Gelegenheit, diesen Dialog zu führen, haben Sie auch verpasst und sogar abgelehnt, indem Sie die von SPD und LINKEN beantragte Anhörung zur Bilanz der Privatisierung abgelehnt haben. Dort hätten Sie sich auch jenseits der Konzernführung informieren können.

Eines macht doch dieser gesamte Notstand klar: Die aktuelle Lage bestätigt eine alte Erkenntnis. Die Privatisierung unseres Klinikums durch Roland Koch und die hessische CDU war, ist und bleibt ein großer Fehler, der rückgängig gemacht gehört.

(Beifall DIE LINKE und SPD – Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (Freie Demokraten): Nein! – Weitere Zurufe)

Das Land Hessen hält immerhin 5 % der Anteile am Klinikum und darf sich deswegen nicht länger einen schlanken Fuß machen.

Das Land muss Verantwortung für die Beschäftigten übernehmen. Deswegen frage ich Sie: Wann haben Sie zum letzten Mal eine Gesellschafterversammlung einberufen? Das wäre eine konkrete Möglichkeit, um Einfluss zu nehmen.

Ministerin Dorn verweist auf den Letter of Intent, eine substanzlose Vereinbarung, die sie aus der Opposition heraus noch kritisiert hat.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Herr Schalauske, Sie müssen zum Schluss kommen.

Jan Schalauske (DIE LINKE):

Sie freut sich über Investitionen, die der Konzern zugesagt hat, die eigentlich schon bei der Privatisierung vereinbart waren.

Ich komme zum Schluss. Ende dieses Jahres läuft die Change-of-Control-Klausel aus. Deswegen ist es endlich an der Zeit, dass das Land Hessen Verantwortung für die Beschäftigten übernimmt und nach Wegen sucht, dieses Klinikum wieder in öffentliches Eigentum zurückzuführen, wie es viele Menschen in der Region, auch vonseiten der GRÜNEN, fordern. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)