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Rede

Jan Schalauske - Schwarzgrün ist vom Grundgedanken der Landesverfassung meilenweit entfernt

Jan SchalauskeRegierung und Hessischer Landtag

In seiner 91. Plenarsitzung am 09. Dezember 2021 diskutierte der Hessische Landtag zur Umsetzung der Hessischen Verfassung, die in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag feiert. Dazu die Rede unseres Vorsitzenden Jan Schalauske.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Hessische Verfassung ist der schwarz-grünen Regierung im 75. Jahr nicht besonders wichtig – der Titel der Aktuellen Stunde der FDP bringt es durchaus auf den Punkt. Das aber, verehrte Kollegen von der FDP, liegt weniger an dem verfassungswidrigen Sondervermögen noch an der verfassungswidrigen Beamtenbesoldung. Letztere muss umgehend verfassungsgemäß neu geregelt werden – natürlich ohne Nachteile für die Beschäftigten des Landes. (Beifall DIE LINKE und vereinzelt Freie Demokraten) Der Staatsgerichtshof bezieht sich bei der Verfassungswidrigkeit des Sondervermögens vor allem auf die Schuldenbremse, die zwar durch eine Volksabstimmung in der Landesverfassung verankert worden ist, dennoch ein bisschen so etwas wie einen Fremdkörper zum grundsätzlichen Charakter der Verfassung darstellt. Für uns – das werde ich hier gerne noch einmal sagen – zeigen das Urteil und die Krise, dass mit diesem hinderlichen Kreditverbot kein Staat zu machen ist, und deshalb wird DIE LINKE weiter für die Abschaffung der Schuldenbremse kämpfen. (Beifall DIE LINKE) Im Übrigen haben wir die Diskussion um das Sondervermögen jetzt so oft geführt. Wir haben gestern auch ausführlich über die Beamtenbesoldung gesprochen. Deswegen ist die Aktuelle Stunde der FDP eine sehr gute Gelegenheit, um unsere hessische Landesverfassung noch einmal ausgiebig zu würdigen. Hessen hat die älteste und durch eine Volksabstimmung in Kraft gesetzte Landesverfassung. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus – das waren die Lehren aus faschistischer Barbarei und Weltkrieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass wir eine politische und wirtschaftliche Neuordnung brauchen. Nicht nur von SPD und KPD, sondern bis in die Reihen der Union wurde die Auffassung vertreten – ich zitiere –, dass „das kapitalistische Wirtschaftssystem … den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden“ sei, so wie es im Ahlener Programm 1947 von der CDU dargelegt worden ist. Die Hessische Verfassung ist ein großartiges Bekenntnis zum Frieden, zum Antifaschismus, zur Gleichheit und Freiheit der Menschen, zu sozialen Rechten und zur Beschränkung wirtschaftlicher Macht. Sie enthält weitgehende soziale Rechte, sie fordert eine Demokratisierung der Wirtschaft, eine Sozialisierung der Schlüsselindustrien, und sie ächtet den Krieg. Sie trägt damit durchaus antikapitalistische Züge, oder, um es einmal mit den Worten des ehemaligen CDU-Ministers Stein zu sagen –: „Von allen Nachkriegsverfassungen ist die Hessische Verfassung das erste Staatsgrundgesetz, das den Wandel von der nur liberalen-humanitären zur sozial-humanitären Ordnung vollzogen hat.“ – Das sind kluge Worte, wie ich finde. (Beifall DIE LINKE) In Art. 38 der Hessischen Verfassung heißt es: „Die Wirtschaft des Landes hat die Aufgabe, dem Wohle des ganzen Volkes und der Befriedigung seines Bedarfs zu dienen.“ Die Erzeugung, Herstellung und Verteilung seien „sinnvoll zu lenken“. Ja, liebe FDP, unsere Verfassung sagt, nicht der Markt solle alles regeln, sondern der Staat soll sinnvoll lenken. Der gesellschaftliche Reichtum soll denen gehören, die ihn erarbeiten, und sich nicht in den Händen weniger konzentrieren. Der Missbrauch wirtschaftlicher Macht ist nach Art. 39 untersagt. Diesen Grundgedanken in unsere Zeit zu übertragen hieße z. B., große Digitalkonzerne wie Google oder Facebook an die Kette zu legen oder in Hessen Amazon. Kontrolle first, Bedenken second: Das ist die Botschaft unserer Landesverfassung, liebe Kollegen der FDP. (Beifall DIE LINKE) Nach Art. 41 werden die Schlüsselindustrien sozialisiert. Die Idee: Wir brauchen eine weitrechende Demokratisierung gesamter Wirtschaftsbranchen. Die Mütter und Väter unserer Verfassung waren der Ansicht, dass die Wirtschaft so wichtig ist, dass wir sie eben nicht alleine Privaten und Marktmechanismen überlassen dürfen. Und was erleben wir heute? – Da haben wir einen Wirtschaftsminister, der sich nicht einmal vors Betriebstor traut, wenn Finanzinvestoren ganze Standorte dichtmachen wollen. Unsere Verfassung enthält weitgehende soziale Rechte: das Recht auf Arbeit und Erholung, das Recht auf Schutz der Gesundheit, das Recht auf Bildung und Erziehung – vor allem Schulgeld- und Lernmittelfreiheit –, das Recht auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Fortschritt. Das Streikrecht wird garantiert, Aussperrung sogar verboten. Das alles sind wichtige Errungenschaften, auch für die Beschäftigten und für die Gewerkschaften. Der 75. Geburtstag unserer Landesverfassung erinnert uns daran, dass die Herausforderungen unserer Zeit eben nur sozial gerecht, demokratisch und friedlich gelöst werden müssen. Dieser Grundgedanke – der Titel der Aktuellen Stunde der FDP ist durchaus richtig – ist der schwarz-grünen Regierung leider nicht nur nicht so wichtig, sie ist davon tatsächlich meilenweilt entfernt. Von grüner Begeisterung kann da gar keine Rede sein. Für DIE LINKE gilt aber: Die Verfassung ist ein großes Versprechen, das es heute noch immer einzulösen gilt. Da uns die Hessische Verfassung nicht nur in ihrem 75. Jahr besonders wichtig ist, beantragen wir, den 1. Dezember zu einem Feiertag zu machen. Darüber werden wir im nächsten Plenum noch einmal sprechen. Der Vorgänger der FDP, die LDP, war damals gegen die Verfassung. Wenn die FDP heute die Verfassung würdigt, dann ist das immerhin ein Schritt. – Vielen Dank. (Beifall DIE LINKE)