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Rede

Janine Wissler - Digitalisierung der Hochschulen für mehr Bildungsgerechtigkeit nutzen!

Janine Wissler
Janine WisslerDigitalisierungWissenschaft

In seiner 45. Plenarsitzung am 24. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Digitalisierung der hessischen Hochschulen. Dazu die Rede unserer Vorsitzenden und wissenschaftspolitischen Sprecherin Janine Wissler

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Digitale Lehre an Hochschulen ist kein Thema, das erst in der CoronaPandemie aufgekommen ist. Die Hochschulen haben längst vielfältige digitale Angebote geschaffen, die sowohl von Studierenden als auch von Lehrenden genutzt werden.

Aber natürlich haben sich Notwendigkeit und Dringlichkeit durch die Corona-Krise verändert. Vorweg will ich jedoch sagen: Wir haben es jetzt nicht mit völlig unvorbereiteten Hochschulen zu tun. Ich finde, die FDP stellt es ein bisschen so dar, als hätte Hochschullehre in Hessen vor Corona nur an der Kreidetafel stattgefunden. Ganz so ist das nicht.

Ich finde es den Hochschulen gegenüber nicht fair, das so darzustellen. Wir haben schon vor zwei Jahren im Ausschuss lang und breit über E-Learning und über digitale Angebote gesprochen

(Lachen Freie Demokraten – Zuruf Torsten Warnecke (SPD))

und festgestellt, dass es bei aller Uneinheitlichkeit schon ein breites Angebot gibt und die Hochschulen schon vor der Corona-Krise einiges gemacht haben, um sich hierauf einzustellen.

Natürlich gibt es dabei Probleme, etwa bei der praktischen Umsetzung, bei der Ausstattung und mit Blick auf rechtliche Fragen. Auch hieran zeigt sich natürlich die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, weil natürlich auch digitale Lehre Geld und Ausstattung braucht. Diese Probleme haben wir selbstverständlich auch.

Dass digitale Angebote jetzt einen besonderen Stellenwert erhalten, trifft nicht nur die Hochschulen, sondern auch die Arbeitswelt und die Schulen. Letztere sind sehr viel schlechter auf diese Form der Lehrangebote vorbereitet gewesen, als es die Hochschulen sind. Den Hochschulen wurden bereits Anfang Mai freigestellt, ob sie Präsenzlehre oder digitale Angebote machen wollen. Diese Entscheidung, Letztere vorzuziehen und ein digitales Semester zu machen, kam von den Hochschulen, weil es wesentlicher einfacher war, Onlineveranstaltungen zu schaffen, als die Hygienemaßnahmen umfassend umzusetzen. Deswegen haben wir das Digitalsemester seit ungefähr zehn Wochen.

Das war keine Entscheidung der Hochschulen, die Präsenzlehre abzuschaffen, sondern diese Entscheidung war der Pandemie geschuldet – anders, als es die AfD darstellt – und wurde aus der Not heraus getroffen. Ich finde, was Lehrende und Studierende in den letzten Wochen und Monaten tun, um dieses Semester trotzdem weiterzuführen, ist beachtenswert.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Deshalb muss man Präsenzlehre und Digitalisierung an den Hochschulen sowie die digitale Lehre nicht als Gegensätze diskutieren. Die Digitalisierung kann einen möglichen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leisten. Wer z. B. Familien- und Betreuungsaufgaben wahrnimmt oder durch Nebenbeschäftigung zeitlichen Einschränkungen unterliegt – wir wissen, dass zwei Drittel aller Studierenden neben dem Studium arbeiten –, kann durch digitale Angebote an der Lehre partizipieren und wird nicht so schnell abgehängt; denn er unterliegt nicht diesen zeitlichen Einschränkungen.

Die Unterstützung durch digitale Medien ermöglicht beispielsweise auch seheingeschränkten Studierenden, textbasierte Studiengänge zu absolvieren. Gerade digitale Angebote müssen auch barrierefreie Angebote sein, die es Menschen ermöglichen, das Studium zu absolvieren, für die das vorher zumindest sehr schwierig war, weil sie eine Behinderung oder eine Form der Einschränkung haben. Für all das kann die Digitalisierung eine echte Chance sein. Unter diesem Aspekt müssen wir das auch diskutieren: Wie kann Digitalisierung an den Hochschulen dazu führen und genutzt werden, dass es einen besseren Zugang zu Bildung gibt, mehr Menschen die Möglichkeit haben, einen hohen Bildungsabschluss zu erreichen, und Chancengleichheit umgesetzt werden kann?

Keinesfalls darf Digitalisierung als Potenzial genutzt werden, um weitere Einsparungen durchzusetzen. Wir beobachten in vielen Bereichen, dass man glaubt, Digitalisierung könne dazu dienen, dort oder dort weniger Personal einzusetzen oder Prozesse mit weniger Ressourceneinsatz effizienter und effektiver zu gestalten. So darf man Digitalisierung an Hochschulen natürlich nicht verstehen. Wir haben – darauf ist hingewiesen worden – jetzt schon im bundesweiten Vergleich eine der schlechtesten Betreuungsrelationen an den hessischen Hochschulen.

Wir wollen nicht, dass jetzt massenhaft Onlineveranstaltungen stattfinden, um den Personaleinsatz weiter zu reduzieren. Onlineangebote müssen auch immer didaktisch klug konzipiert werden. Sie ersetzen die Präsenzlehre nicht, und sie stellen kein Einsparpotenzial dar, sondern sie müssen dort eine sinnvolle Ergänzung sein, wo es notwendig ist.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer (SPD))

Ja, wir müssen sehen, dass sich natürlich in den letzten Wochen und Monaten Probleme gezeigt haben. Das sind ganz praktische Probleme wie z. B. Serverüberlastung. Natürlich stellen sich auch – das haben wir im Ausschuss mehrfach diskutiert – rechtliche Fragen wie zum Urheberrecht, zu Lizenzen und zum Datenschutz. All das sind neue Fragen, bei denen die Hochschulen Unterstützung brauchen.

Wir haben gestern schon diskutiert, wie Klausuren in der Corona-Zeit geschrieben werden sollen. Es geht auch darum, was mit studienrelevanten Praktika passiert, wie praktische Forschung betrieben werden kann, die digital nicht umzusetzen ist. Dabei brauchen die Hochschulen Rechtssicherheit. Dabei müssen sie unterstützt werden. Vor allem aber muss sichergestellt werden, dass alle Studierenden einen einfachen und gleichen Zugang zu den Lehrangeboten haben. Das bedeutet ganz praktisch, dass alle Studierenden einen Internetzugang brauchen. Sie brauchen schnelles Internet und auch ein entsprechendes Endgerät, meine Damen und Herren.

Natürlich brauchen das nicht nur die Studierenden, sondern auch die Lehrenden. Zu diesem Punkt hat der FDP-Antrag leider nichts gesagt. Sie sagen: mobile Endgeräte ausleihen. – Ja, die meisten Studierenden haben ein mobiles Endgerät, aber es gibt eben auch Studierende, die nicht mit den neuesten Endgeräten und schnellem Internet ausgestattet sind, die es sich nicht leisten können, ein neues Notebook zu kaufen oder das alte aufzurüsten, weil sie vielleicht eine Software für Onlineveranstaltungen brauchen, die sich auf alten Geräten nicht installieren lässt.

Wir dürfen auch nicht vergessen: Es gibt eine ganze Menge Studierende, die noch zu Hause bei ihren Eltern wohnen, weil die Mietpreise in Städten wie Frankfurt ziemlich hoch sind. Sie wohnen also zu Hause bei ihren Eltern, und es gibt nicht in jeder Familie – das haben wir auch beim Homeschooling gemerkt – drei leistungsstarke Computer, sondern es ist oft so, dass die Arbeit eher im Schichtbetrieb abläuft und die Bedingungen nicht so gut sind.

Daher müssen wir sicherstellen, dass gerade den Studierenden, die auf BAföG angewiesen sind, die sowieso oftmals schon in existenziellen Schwierigkeiten sind und kaum über die Runden kommen, zur Not mobile Endgeräte gestellt werden, damit jeder an digitaler Lehre teilhaben kann, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich brauchen Studierendenwohnheime, Hörsäle, Seminarräume und Bibliotheken leistungsfähiges Internet. Das müssen wir sicherstellen.

Ich finde es richtig, dass die Hochschulen die Studierenden entlastet haben, weil jeder vierte Studierende durch die Pandemie in Existenzsorgen geraten ist. Viele haben ihren Job verloren. Andere waren gezwungen, ihre Kinder selbst zu betreuen, weil es keine Betreuungsangebote gibt. Deswegen finde ich es richtig, dass auf digitale Lehre umgestellt wurde und Anwesenheitspflichten abgeschafft wurden.

Wenn hier ausgerechnet die AfD kritisiert, dass durch die

Corona-Krise Anwesenheitspflichten abgeschafft wurden,

(Lachen SPD)

dann würde ich schon sagen: Herr parlamentarischer Geschäftsführer, wenn Sie einmal etwas für Anwesenheitspflichten tun wollen, dann sorgen Sie doch dafür, dass Ihre Fraktion anwesend ist und nicht bei namentlichen Abstimmungen schwänzt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Freie Demokraten)

Wenn Sie der Meinung sind, dass Präsenz ganz wichtig ist für den Erkenntnisgewinn – ich weiß nicht, ob es in dem Fall etwas nutzt –,

(Zurufe AfD – Hermann Schaus (DIE LINKE): Bei manchen hilft es halt auch nicht mehr!)

dann sollten Sie bei den eigenen Leuten anfangen und nicht die namentlichen Abstimmungen schwänzen. Ihre Ausführungen zur Elite haben wieder deutlich gezeigt, was Ihr Weltbild ist; und dass das mit der Lehre von Humboldt nichts zu tun hat, habe ich schon beim letzten Mal erklärt – so viel nur zur AfD. Sie kritisieren, dass Studierenden in einer so schwierigen Situation wie den letzten Wochen die Anwesenheitspflichten erlassen wurden. Ich hoffe, dass diese Rede viele Studierende hören, die in den letzten Wochen und Monaten in existenziellen Schwierigkeiten waren und von der AfD vernehmen, dass sie am besten noch hätten exmatrikuliert werden sollen,

(Widerspruch Dr. Frank Grobe (AfD))

weil sie nicht an Seminaren teilnehmen konnten. Das zeigt einfach, dass Sie überhaupt kein Verständnis haben und dass es Ihnen überhaupt nicht um die Studierenden und deren Situation geht. Die Studierenden brauchen finanzielle Unterstützung und Unterstützung beim Zugang zu digitaler Lehre. Sie brauchen ganz sicher keine Anwesenheitspflichten, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD) – Zuruf Dr. Frank Grobe (AfD))

Es war für viele Studierende schon schwierig genug, Job und Familie vor der Corona-Krise zu vereinbaren.

(Kathrin Anders (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gibt es da auch Anwesenheitspflichten?)

Diese Krise hat das natürlich noch deutlich schwieriger gemacht.

Um zum Schluss zu kommen: Ich finde, wir müssen beim Thema Digitalisierung an den Hochschulen genau hinschauen. Ich halte die Forderung einer Evaluation des digitalen Sommersemesters für gerechtfertigt. Wir werden vermutlich feststellen, dass sich unter dem Stichwort „digitale Hochschule“ ein sehr breit gefächertes Angebot verbirgt, welches von Fakultät zu Fakultät äußerst unterschiedlich gehandhabt wird, was auch in der Natur der Sache liegt. Das finden wir richtig. An und für sich finden wir vieles, was in dem FDP-Antrag steht, richtig. Konsens besteht auch darüber, dass die Mittel des Digitalpakts weder für die Schulen noch für die Hochschulen ausreichend sind. Das ist kein Geheimnis. Lassen Sie uns Präsenzlehre nicht als Gegensatz zur digitalen Lehre diskutieren. Beides ist notwendig. Die digitale Lehre ist eine sinnvolle Ergänzung zur Präsenzlehre, wenn sie unter didaktischen Gesichtspunkten und mit Blick darauf, was den Lehrenden und den Studierenden hilft, diskutiert wird und nicht unter dem Aspekt eines Potenzials für Einsparungen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten))