Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler - Ein Landesmindestlohn könnte das Leben sehr vieler Menschen verbessern - Teil 1

Janine Wissler
Janine WisslerWirtschaft und Arbeit

In seiner 32. Plenarsitzung am 30. Januar 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Einführung eines Landesmindestlohns von 13 Euro. Dazu die Rede unserer wirtschaftspolitischen Sprecherin Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Wir begrüßen den Antrag der SPD für die Festsetzung eines hessischen Mindestlohns von 13 €;

(Beifall SPD)

denn das wäre ein notwendiger Schritt, was die Bezahlung für gute Arbeit, höhere Löhne und den Kampf gegen Lohndumping und Niedriglöhne betrifft. Das ist dringend notwendig. Von Arbeit muss man leben können. Wer jeden Tag arbeiten geht, darf am Ende des Monats keine Angst haben, dass er nicht über die Runden kommt, und er darf auch keine Angst vor Altersarmut haben müssen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir haben im Landtag schon einmal einen Anlauf zur Einführung eines Landesmindestlohns genommen. Wir, DIE LINKE, haben einen Gesetzentwurf vorgelegt. Natürlich freut es uns, dass die SPD uns an der Stelle zur Seite springt.

(Zuruf Torsten Warnecke (SPD))

Wir haben gesehen, dass in Berlin der Landesmindestlohn gerade auf 12,50 € erhöht wurde und dass auch andere Länder wie Bremen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern Landesmindestlöhne auf unterschiedlichen Niveaus haben. Wir reden hier also mitnichten von einem hessischen Sonderweg, wenn wir das so machen würden, sondern es gibt einige Länder – auch Länder, in denen die GRÜNEN mitregieren –, in denen Landesmindestlöhne umgesetzt sind.

(Beifall DIE LINKE und SPD – Zurufe)

Für Hessen sind 13 € sicher nicht zu hoch gegriffen. Wenn man sich die Lebenshaltungskosten anschaut, sieht man, dass bundesweit 12 € bis 13 € Stundenlohn bei Vollzeitarbeit etwa dem Lohn entsprechen, mit dem man knapp über der Armutsgefährdungsschwelle liegt – wohlgemerkt: ein bundesweiter Wert. Wenn man sich die Preise und die Mieten im Rhein-Main-Gebiet anschaut, stellt man fest, dass 13 € sicher nicht zu hoch gegriffen sind.

Wir liegen hier etwa bei dem Betrag, der im Schnitt benötigt wird, um im Alter die Rente nicht auf die Höhe der Grundsicherung aufstocken zu müssen. Das ist auch sicher nicht zu viel für Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen. Das hat nicht nur etwas mit Geld zu tun; das muss man auch sagen. Es hat auch etwas mit Würde zu tun, dass Menschen, die zum gesellschaftlichen Reichtum beitragen, die wichtige Aufgaben für diese Gesellschaft übernehmen, angemessen entlohnt werden. Arbeit sollte nicht so billig sein wie Dreck;

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

denn es nimmt Menschen die Würde, wenn sie gezwungen sind, trotz Vollzeitjobs aufzustocken oder nach Feierabend einem zweiten Job nachzugehen. Das gilt für die Busfahrerinnen und -fahrer, für den Pfleger, für die Verkäuferin, für Beschäftigte in der Gastronomie und für viele andere.

Es gibt einen Bereich der Beschäftigung, bei dem das Land Hessen direkt beeinflussen kann, wie viel dort verdient wird. Das betrifft die Menschen, die für das Land Hessen arbeiten, die in landeseigenen Unternehmen und Gesellschaften arbeiten. Zumindest bei diesen Menschen müssen wir doch dafür sorgen, dass sie genug verdienen, um davon leben zu können, um ihre Familie versorgen zu können und um keine Angst vor Altersarmut haben zu müssen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Deshalb: Natürlich – es ist schön, dass wir uns da einig sind – darf im Landesdienst niemand weniger verdienen als 13 € die Stunde. Auch in den unteren Lohngruppen darf niemand weniger verdienen.

Natürlich ist es auch besonders relevant beim Einkauf, also bei der Beauftragung von Dienstleistungen im öffentlichen Auftrag. Es kann doch nicht sein, dass Unternehmen, die keine Tariflöhne zahlen, die Niedriglöhne an ihre Beschäftigten zahlen, deren Geschäftsmodell darauf aufbaut, dass die Leute zu wenig verdienen und am Ende vielleicht auf Kosten der Allgemeinheit aufstocken müssen, auch noch durch öffentliche Aufträge belohnt werden. Das kann doch nicht unser Ernst sein.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Dagegen sind andere Unternehmen, die vernünftige Löhne zahlen, die soziale Standards einhalten, bei Ausschreibungen benachteiligt, weil sie einfach höhere Preise haben. Sie haben höhere Preise, weil sie eben vernünftig kalkulieren. Das hat etwas mit Respekt und Anerkennung für Arbeit zu tun.

Ja, Herr Martin, uns würde es auch freuen, wenn sich insbesondere die SPD in der Bundesregierung dafür einsetzen würde, dass man die Anpassungsmechanismen für den gesetzlichen Mindestlohn bundesweit reformiert und dass dieser möglichst zügig zumindest in die Nähe eines existenzsicheren Niveaus gebracht wird. Natürlich sind 9,35 € nicht existenzsichernd. Natürlich sind hier CDU, CSU und die SPD in Berlin in der Pflicht, bundesweit eine andere Regelung zu schaffen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber das heißt doch nicht, dass wir uns, solange das nicht der Fall ist, in Hessen zurücklehnen und sagen können: Sollen die einmal machen. – Natürlich heißt das nicht, dass wir in Hessen an den Stellen, an denen wir wirklich etwas direkt beeinflussen können, nicht auch direkt etwas zum Guten bewegen können.

Da bin ich wieder bei den Themen Vergabegesetz und öffentliche Aufträge; denn die Marktmacht der öffentlichen Hand ist groß. Natürlich kann man damit Standards für ganze Branchen effektiv heben, z. B. beim Bau. Davon würden sehr viele Menschen profitieren.

Wir, DIE LINKE, haben hier in den letzten Jahren mehrfach Entwürfe für ein besseres Vergabegesetz vorgelegt – die SPD hat es auch gemacht –, die von der Mehrheit immer abgelehnt wurden. Dabei wäre es doch dringend notwendig, dass der Staat nur Dienstleistungen einkauft, die unter sozial und ökologisch vernünftigen Bedingungen angeboten und erbracht werden.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Da ist das derzeitige Vergabegesetz vollkommen wirkungslos. Es gibt so gut wie keine Kontrollen. Es baut auf Selbstverpflichtung. Es eröffnet auch die Möglichkeit, die ganzen Vorschriften zu unterlaufen. Man braucht als Auftragnehmer seinen Auftrag doch nur an Subsubsubunternehmen abzugeben, und schon haftet man für überhaupt nichts mehr. Da können die Subunternehmer zahlen, was sie wollen, und tun, was sie wollen, der Generalunternehmer ist aus der Haftung.

(Zuruf Volker Richter (AfD))

Dazu haben Sie leider nichts gesagt. Aber das ist doch das Problem: dass dieses Vergabegesetz in der Praxis überhaupt nichts hilft. Das zeigt sich doch an den Stundenlöhnen im Bau, die unter dem Durchschnitt der anderen Bundesländer liegen. Es zeigt sich, dass wir in Hessen offensichtlich ein Problem haben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Natürlich müssen wir über die genaue Umsetzung eines solchen Landesmindestlohns diskutieren. Wichtig wäre, dass er wirklich als eine rechtsverbindliche Untergrenze wirkt, gerade in Branchenunternehmen, die keine wirksamen Tarifvereinbarungen haben, sodass er wirklich diejenigen erreicht, die darauf angewiesen sind.

Das könnte die Bedingungen für die Menschen real verbessern. Natürlich brauchen wir auch Mechanismen für Erhöhungen des Landesmindestlohns, weil sonst die Löhne in wenigen Jahren wieder unter die Armutsschwelle gerissen werden. Natürlich brauchen wir wirksame Kontrollen, damit der Landesmindestlohn nicht verpufft.

Deshalb – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –: Entscheidend wäre zunächst einmal der politische Wille. Wenn eine Mehrheit im Haus sagt: „Ja, keiner soll trotz Arbeit so wenig verdienen, dass er im Alter armutsgefährdet ist“, sollte man das umsetzen, sowohl bei den Menschen, die direkt beim Land Hessen arbeiten, als auch bei Menschen in Unternehmen, die Aufträge vom Land Hessen bekommen. Ich bin der Meinung, wir sollten das einfach machen. Wir sind in jedem Fall dabei und halten den Vorstoß für sinnvoll.

Wir sollten hier eine gesetzliche Regelung finden. Jeder, der der Meinung ist, dass man von Arbeit leben können sollte, sollte eine Initiative in diese Richtung auch unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)