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Rede

Janine Wissler: Krisenkosten gerecht verteilen, soziale Absicherung für alle

Janine WisslerWirtschaft und Arbeit

In seiner 78. Plenarsitzung am 17. Juni 2021 debattierte der Hessische Landtag zum Thema "Mit 13 Mrd. Euro gegen die Krise: Corona-Hilfen ermöglichen rasche Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität in Hessen" . Dazu die Rede unserer Vorsitzenden Janine Wissler.

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, die finanzielle Unterstützung und die Hilfsprogramme während der Corona-Zeit haben an vielen Stellen das Schlimmste verhindert. Das hat viele Arbeitsplätze gerettet. Das ist unstrittig. Das ist aber nichts, wofür sich die hessische Koalition jetzt lauthals loben sollte. Darauf wurde schon hingewiesen: Das meiste Geld kam vom Bund.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass wir monatelang Forderungen an diese Landesregierung gerichtet haben. Der Wirtschaftsminister und der Finanzminister haben immer mit dem Finger nach Berlin gezeigt. Sie haben gesagt: Wir müssen abwarten, was Berlin macht. – Gerade die Situation der Soloselbstständigen war in den Ausschusssitzungen immer wieder ein Thema. Wir haben immer wieder gesagt: Machen Sie doch ein eigenes Programm. Warten Sie nicht auf den Bund. – Sie haben da immer auf den Bund verwiesen. Deswegen ist es schon ein bisschen absurd, dass Sie sich heute für diese Hilfsprogramme feiern lassen wollen, die mehrheitlich gar nicht von Ihnen kamen.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Wie Sie auf die im Titel der Aktuellen Stunde genannten 13 Milliarden € kommen, ist mir tatsächlich auch nicht ganz klar. Vor allem sollten wir heute nicht so tun, als wäre im Land Hessen alles in Ordnung. Denn dann kämen sich viele Menschen zu Recht ziemlich veräppelt vor.

Zum einen ist die Pandemie noch lange nicht besiegt. Ja, die Zahlen gehen herunter. Aber die Gefahr durch die Mutanten besteht natürlich. Deswegen müssen wir die Zeit bis zum Herbst dieses Mal nutzen, um etwas vorzubereiten. Wir müssen vorbereitet sein, wenn es im Herbst 2021 wieder zu höheren Infektionszahlen kommen sollte.

Wir dürfen vor allem jetzt auch nicht diejenigen vergessen, die ökonomisch an ihre Grenzen gekommen sind. Das betrifft die, die ihre Minijobs verloren haben oder die lange in Kurzarbeit waren. Wir müssen aufpassen, dass wir keine riesige Insolvenzwelle bekommen und dass nicht viele Menschen ihre Arbeit verlieren. Denn die Krise ist in vielen Branchen noch lange nicht vorbei. Wir müssen schauen, dass wir nach der Krise noch die kleinen Theater, die kleinen Unternehmen und die Gaststätten haben. Die Menschen dort dürfen nicht völlig unter die Räder kommen.

(Beifall Jan Schalauske und Hermann Schaus (DIE LINKE))

All diesen Menschen sind wir es schuldig, alles zu tun, um die in der Pandemie gewachsene soziale Ungleichheit auszugleichen. Einige Menschen sind gut durch diese Krise gekommen. Einige wenige haben daran sogar richtig verdient. Sie konnten ihr Vermögen und ihre Einkünfte ganz erheblich steigern. Die Zahl der Millionäre hat zugenommen.

Man muss sagen: Die Hilfen in dieser Krise wurden auch ungerecht verteilt. Für die großen Unternehmen saßen die Milliarden-Euro-Spritzen wesentlich lockerer als für die kleinen Unternehmen und eben auch die Soloselbstständigen. Als Stichwort möchte ich Lufthansa und TUI nennen. Da waren ganz schnell Rettungs- und Hilfspakete geschnürt.

Viele Soloselbstständige und auch viele kleine Unternehmer mussten einfach ewig warten. Wann wurde die Novemberhilfe ausgezahlt? – Einige bekamen sie erst im Februar. Sie mussten lange warten. Es gab da lange Unsicherheit. Andere sind aufgrund bürokratischer Hürden und falsch gestrickter Programme komplett durch das Raster gefallen. Das hat Hessen nicht aufgefangen.

Viele Menschen haben erhebliche Verluste hinnehmen müssen. In einer Umfrage beklagen fast 40 % der Verbraucher Einkommenseinbußen. Fast jeder dritte Befragte hat die Sorge, dass er in den nächsten zwölf Monaten die notwendigen Ausgaben für sein Haus und seine Wohnung nicht zahlen kann. Da geht es z. B. um den Strom, die Heizung, die Miete oder dringend benötigte Anschaffungen.

Das ganze Ausmaß kann man noch gar nicht überblicken. Aber einige Zahlen geben Hinweise. Die Zahl der Privatinsolvenzen ist im Jahr 2021 schon in die Höhe geschossen. Es wird damit gerechnet, dass sie sich bis zum Ende des Jahres im Vergleich zum Jahr 2020 sogar verdoppelt. Die wegbrechenden Einnahmen führen viele direkt in die Überschuldung.

In vielen Branchen ist die Krise nicht vorbei. Wir denken dabei an die Messen, an die gesamte Veranstaltungsbranche und die Konzertveranstalter. Sie haben Vorlaufzeiten von Monaten und teilweise von Jahren. Sie können ihrer Tätigkeit nicht wie normal nachgehen.

Wir denken an die Schausteller und insbesondere an den gesamten Kulturbereich. Die können jetzt viele Open-AirVeranstaltungen durchführen. Aber sie können die Plätze nicht voll besetzen. Dadurch fehlen Einnahmen.

Auch für die Gastronomie ist die Krise nicht vorbei. Wir haben jetzt Sommer und gutes Wetter. Zwei Wochen Regen würden zu größten Problemen führen. Deswegen sollte man nicht so tun, als sei die Krise schon vorbei.

Die große Bilanz steht noch aus. Die gibt es, wenn die ersten Zahlen für die Unternehmensinsolvenzen für das aktuelle Quartal vorliegen. Denn erst seit dem 1. Mai 2021 gilt wieder die vollumfängliche Anzeigepflicht für Insolvenzen. Sie war während der Corona-Einschränkungen ausgesetzt.

Ja, Optimismus ist gut und wichtig. Wir sollten aber nicht die Menschen vergessen, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Vor allem stellt sich die Frage: Wer zahlt die Kosten dieser Krise? Es dürfen eben nicht wieder die Beschäftigten sein, auf die die Krise abgewälzt wird. Es ist jetzt schon die Rede von Rente ab 68 und weniger Urlaubstagen. Wenn ich jetzt hier so etwas höre wie „Umverteilung ist Planwirtschaft“, Herr Kasseckert, muss ich ganz ehrlich fragen: Wissen Sie, was in den letzten zwölf bis 15 Monaten stattgefunden hat? Umverteilung, und zwar von unten nach oben. Das ist das Problem. Deswegen ist der Satz „Umverteilung ist Planwirtschaft“ vollkommen daneben. (Zuruf Heiko Kasseckert (CDU))

Natürlich muss man die soziale Ungleichheit ausgleichen. Die Frage ist doch, wer diese Krise bezahlt. Wir haben einen Vorschlag gemacht: Eine Vermögensabgabe trifft die reichsten 0,7 % der Bevölkerung, das ist eine faire Sache. Amazon als Krisengewinner könnte auch mal Steuern bezahlen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir machen Vorschläge, wer diese Krise zu bezahlen hat.

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Wissler, bitte kommen Sie zum Schluss.

Janine Wissler (DIE LINKE):

Wir sagen, wir müssen die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Ein großer Fehler, der gemacht wurde, war, Milliarden auszuschütten ohne Arbeitsplatzgarantien, ohne Mitspracherechte. Wir haben immer gesagt: Keine Dividendenausschüttung, keine Boni und Obergrenzen für Managergehälter für alle, die staatliche Hilfe brauchen. – Daher sollten wir nicht die Krisenkosten auf diejenigen abwälzen, die schon vor der Krise wenig hatten und in der Krise noch verloren haben.

(Beifall DIE LINKE)