Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler - Wir brauchen einen solidarischen Lockdown

Janine Wissler
Janine WisslerCoronaBildungGesundheitSozialesWirtschaft und Arbeit

In seiner 64. Plenarsitzung am 2. Februar 2021 diskutierte der Hessische Landtag wiedereinmal grundlegend über die Corona-Politik in Hessen. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden Janine Wissler.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Über 57.000 Menschen in Deutschland und über zwei Millionen Menschen weltweit sind seit Beginn der Corona-Pandemie an und mit COVID-19 gestorben. Viele, die die Krankheit überlebt haben, tragen anhaltende und schwere gesundheitliche Schäden davon. Unsere Anteilnahme gilt den Menschen, die Angehörige verloren haben oder selbst schwer erkrankt sind.

Unser Dank und unsere Solidarität gelten den Menschen, die an vorderster Front, unter hohem persönlichem Einsatz und unter schwierigen Bedingungen gegen das Virus kämpfen, den Beschäftigten in den Krankenhäusern und in der Pflege, in den Gesundheitsämtern und in den Laboren.

(Beifall DIE LINKE)

Zu den gesundheitlichen Schäden, die das Virus verursacht, kommen die sozialen, psychischen und wirtschaftlichen Folgen.

Deutschland ist seit drei Monaten im Lockdown, der immer weiter intensiviert wurde. Die Infektionszahlen gehen langsam herunter, aber zu langsam – es ist ein quälend langer Lockdown. Wann er beendet werden kann, kann derzeit niemand sicher sagen. Wie gefährlich die mutierten Viren sind, zeigt sich gerade in Portugal. Das hat sich zuvor in Großbritannien und Irland gezeigt. Um den erneuten Anstieg der Infektionszahlen zu vermeiden und Leben zu retten, müssen wir die Inzidenzen so weit wie möglich senken.

Langfristig helfen die voranschreitenden Impfungen. Und das braucht offenbar einen langen Atem.

Immerhin gibt es jetzt endlich einen Termin für die Öffnung der lokalen Impfzentren, die schon im Dezember in aller Eile errichtet wurden. Diese Öffnung wurde unter anderem von den Landkreisen schon lange gefordert, damit Menschen über 80 Jahre keine langen Wege zurücklegen müssen, um geimpft zu werden. Zudem müssen wir die Barrierefreiheit, die Fahrtkostenerstattung und vor allem eine niedrigschwellige und zuverlässige Terminvergabe sicherstellen.

Es darf doch nicht sein, dass impfbereite Menschen entnervt aufgeben, weil sie telefonisch stundenlang nicht durchkommen und sich mit englischsprachigen Tonbandansagen herumärgern müssen. Das muss man sich einmal vorstellen. Während unsere Gesundheitsämter immer noch Faxe schicken, schicken wir Links und QR-Codes an über 80-Jährige, die sich impfen lassen wollen. Das ist doch hanebüchen.

(Zuruf René Rock (Freie Demokraten))

Ich verstehe immer noch nicht, warum das Land Hessen einen so komplizierten Zugang zu den Impfungen mit einem mehrstufigen Anmeldeverfahren gemacht hat, das selbst jüngere Angehörige an den Rand der Verzweiflung bringt.

In Berlin lag jedem Einladungsbrief an über 80-Jährige ein Taxigutschein zum Impfzentrum bei. In Hessen sollen die Menschen zunächst einmal bei ihrer Krankenkasse nachfragen, ob die nicht bereit ist, die Kosten zu übernehmen.

Wenn wir wollen, dass alle so schnell wie möglich geimpft werden, um Leben zu retten und auch um die gesamtgesellschaftlichen Kosten zu verringern, dann braucht es schnelle, einfache und pragmatische Lösungen, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Nötig ist ein Fahrplan zur Impfung immobiler Personen im häuslichen Umfeld und deren Angehöriger.

Problematisch ist auch die mangelnde Flexibilität, wenn es um die Impfpriorisierung geht. Vergangene Woche haben erste junge Menschen mit schweren Erkrankungen ihr Recht auf eine Impfung vor Gerichten eingeklagt, auch in Hessen. Wollen wir wirklich, dass Hunderte Schwerkranke vor Gericht ziehen müssen, um das Recht auf eine Impfung einzuklagen, obwohl die STIKO-Empfehlung wie auch die Bundes-Impfverordnung doch Spielräume für diese Menschen lassen? Diese müssen auch in Hessen genutzt werden, damit Menschen, die zur Risikogruppe gehören und Risikopatienten sind, schnellstmöglich geimpft werden können, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, es ist beeindruckend, dass es nach einer solch kurzen Zeit einen Impfstoff gegen das Virus gibt. Aber wie bei der Forschung, die massiv, in Milliardenhöhe von der öffentlichen Hand gefördert wurde, gilt auch bei der Impfstoffproduktion: Der Markt regelt es eben nicht – und auch kein Placebo-Impfgipfel.

Dass jetzt ernsthaft von einigen vorgeschlagen wird, man solle den Pharmakonzernen zu den vertraglich vereinbarten Preisen und zusätzlich zu den öffentlichen Forschungsgeldern jetzt auch noch Prämien zahlen, damit sie den vereinbarten Impfstoff liefern, ist grotesk. Wenn es genug Produktionskapazitäten gibt, dann müssen die Konzerne sie ausschöpfen, und zwar ohne zusätzliche Prämien.

Und wenn es Probleme mit den Produktionskapazitäten, den Lieferketten oder der Beschaffung von Rohstoffen gibt, wie seitens der Konzerne behauptet wird, dann helfen doch auch die Prämien nicht. Dann muss der Staat eingreifen, die Produktionskapazitäten erhöhen und die Lizenzen freigeben. Ja, dadurch wird nicht kurzfristig viel mehr Impfstoff zur Verfügung stehen, weil Herstellungsverfahren zugelassen und Produktionsmöglichkeiten erst geschaffen werden müssen.

Aber diese Pandemie wird doch nicht im Herbst vorbei sein. Vielleicht ist sie in den reichen Ländern dieser Welt dann so gut wie vorbei. Aber das Virus zu bekämpfen, muss doch heißen, es weltweit zu bekämpfen, und das wird dauern. Das darf auch nicht davon abhängen, ob die Preise hoch sind und die Produktion lukrativ ist, zumal wir noch gar nicht genau wissen, wie lange der Schutz durch die Impfung überhaupt anhält. Deshalb ist es notwendig, nicht so kurzfristig zu denken, sondern langfristig Produktionskapazitäten zu schaffen.

Solidarität mit dem globalen Süden bedeutet: eine faire Verteilung von Impfstoffen, weg mit den Patenten und her mit den Lizenzen.

(Beifall DIE LINKE)

Bis es ausreichend Impfstoff gibt, muss die Verbreitung des Virus so stark eingedämmt werden, dass Infektionsketten wieder nachverfolgt werden können.

An vielen Orten des öffentlichen Lebens – im ÖPNV, im Einzelhandel – besteht jetzt die Pflicht zu medizinischen Masken, was grundsätzlich sinnvoll ist, weil sie besser schützen. Aber sie sind eben auch teurer als z. B. ein Schal, den man sowieso hat, oder eine Stoffmaske, die man waschen und wiederverwenden kann.

Jetzt hat die Landesregierung 1 Million OP-Masken für Bedürftige zugesagt. Aber laut Paritätischem Wohlfahrtsverband gelten 16 % der Menschen in Hessen als arm. Das sind 1 Million Menschen. Auch wenn man die über 60Jährigen und die Risikopatienten abzieht, die Berechtigungsscheine bekommen, bleiben noch viel zu viele Menschen für 1 Million Masken übrig. Auch zwei oder drei Masken pro Person sind bei einem Einwegprodukt mit sehr begrenzter Tragedauer ein Tropfen auf den heißen Stein.

Bei der Maskenpflicht muss doch garantiert sein, dass niemand vom öffentlichen Leben ausgeschlossen ist oder aber Masken so lange trägt, dass sie nicht mehr schützen, nur weil er zu wenig Geld hat.

Dass die Masken zudem über die Tafeln ausgegeben werden sollen, ist auch fragwürdig. Die Tafeln werden vorwiegend von Ehrenamtlichen getragen; viele derer gehören Risikogruppen an, und sie versuchen gerade, den Betrieb irgendwie aufrechtzuerhalten. Die Verantwortung für die Maskenverteilung wird jetzt dem Ehrenamt aufgedrückt.

Meine Damen und Herren, wie kann es sein, dass der Vorsitzende der hessischen Tafeln aus dem Fernsehen erfahren hat, dass Hessen die Abgabe über die Tafeln organisieren will? Wie kann es sein, dass laut Presseberichten noch immer viele Tafeln weder wissen, an wen sie verteilen sollen, noch, wann die Masken kommen, und zwar eine Woche, nachdem die Pflicht für medizinische Masken verhängt wurde?

Deshalb: Stellen Sie endlich sicher, dass alle Menschen den besten Schutz haben, und zwar unabhängig von ihrem Geldbeutel. Notwendig sind kostenlose FFP2-Masken für alle, die sie sich sonst nicht leisten können.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Die Masken, die man jetzt für die Teilnahme am öffentlichen Leben braucht, dürfen kein Produkt wie jedes andere sein. Wir brauchen eine Preisbindung, auch um Wucher zu verhindern.

Völlig unabhängig von der Frage der Masken fordern wir schon seit Langem, dass pandemiebedingte Kosten endlich bei den Sozialleistungen aufgeschlagen werden. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: Weil die Hartz-IV-Leistungen für Kinder und Jugendliche so gering sind, wurde irgendwann das Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt. Eine zentrale Leistung daraus ist das kostenfreie Mittagessen in Kitas und Schulen.

Geht ein Kind, wie aktuell gefordert, nicht in die Kita oder in die Schule, gibt es dieses kostenfreie Mittagessen nicht. Das fällt dann einfach weg. Hunger hat das Kind trotzdem. Bei einem dreijährigen Kind sieht der Hartz-IV-Regelsatz nicht einmal 3 € pro Tag für Essen vor. Wie sollen Sozialleistungsbeziehende von nicht einmal 3 € ein gesundes Frühstück, ein gesundes Mittag- und Abendessen für ihr Kind finanzieren?

Herr Ministerpräsident, erklären Sie mir das, oder setzen Sie sich auf Bundesebene endlich für einen deutlichen Corona-Aufschlag auf Sozialleistungen ein. Die Sozialverbände fordern eine sofortige Erhöhung auf 600 €, und das wäre zumindest ein Anfang. Deswegen unterstützen wir diese Forderung.

(Beifall DIE LINKE)

Die große Gefahr durch Corona ist, dass viele Menschen infiziert sind, es aber gar nicht merken, weil sie keine Symptome haben, aber andere Menschen anstecken, die dann schwer erkranken. Dagegen gibt es neben Masken, Hygiene und Abstand ein weiteres wirksames Mittel: Das ist das Testen.

Es wird immer noch zu wenig getestet. Vor allem gibt es zu wenige kostenlose Tests. Im weltweiten Vergleich liegt das reiche Deutschland beim Testen auf Platz 50 – weit hinter den meisten anderen europäischen Staaten. Dänemark testet beispielsweise viermal so viel wie Deutschland. In Deutschland gilt oft immer noch: keine Symptome, kein Test.

Immer wieder habe ich Anschreiben bekommen oder aus dem Bekanntenkreis gehört, dass sich Leute vergeblich um einen Test bemüht haben, weil die Erzieherin in der Kita oder die Arbeitskollegin an COVID erkrankt war und man wissen wollte, ob man sich selbst infiziert hat oder das Kind sich infiziert hat, und weil man niemanden anstecken wollte. Alle Landtagsabgeordneten, die jetzt in diesem Saal sitzen, haben die Möglichkeit, sich in dieser Woche zweimal kostenfrei testen zu lassen. Das ist gut und wichtig. Aber diese Angebote brauchen wir für viel mehr Menschen, damit wir Infektionen erkennen, auch wenn die Menschen keine Symptome haben.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)

Der Landkreis Pfaffenhofen in Bayern hat seine Inzidenz von 266 vor Weihnachten auf 35 senken können. Unter anderem wurden dort sechs Testzentren eingerichtet, in denen sich alle Einwohnerinnen und Einwohner kostenfrei testen lassen können – schnell und ohne weite Wege. So kann man Infektionen rechtzeitig erkennen.

Ja, das kostet Geld. Aber es rettet Leben, und angesichts der immensen Summen, die gerade aufgewendet werden, und der Tatsache, dass wir in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt leben, kann das nicht zu teuer sein.

Ja, die Tests wurden mittlerweile deutlich ausgeweitet. Aber auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums ist noch immer zu lesen:

Beim Testen ist ein zielgerichtetes Vorgehen wichtig. Testen ohne Anlass führt zu einem falschen Sicherheitsgefühl. … Testen ohne einen begründeten Verdacht erhöht außerdem das Risiko falsch-positiver Ergebnisse und belastet die vorhandene Testkapazität. Daher wollen wir verstärkt, aber auch gezielt testen.

Das steht immer noch auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums.

Natürlich ist ein Test eine Momentaufnahme, und natürlich macht Testen Abstand und Maske nicht überflüssig. Aber durch regelmäßiges Testen werden Infektionen erkannt, und es werden Kontakte ermöglicht, und zwar ohne Angst, vielleicht die hochbetagten Eltern anzustecken, und ohne die Gefühle von Schuld und Scham, wenn man jemanden angesteckt hat, weil man keine Symptome hatte und nichts von seiner Infektion wusste.

Warum gibt es nicht flächendeckend Testzentren, mobile Teststationen und Drive-ins, wo sich Menschen kostenfrei testen lassen können? Diese verfehlte Teststrategie und unterlassenes Testen haben fatale Folgen, und das sehen wir in Hessen vor allem in den Alten- und Pflegeheimen.

Die „hessenschau“ veröffentlichte gestern einen Artikel unter der Überschrift: „Corona in Altenheimen – 2.800 Tote, und keiner will schuld sein“. Das trifft es leider nur zu gut.

Meine Damen und Herren, am 23. September 2020 erhielt der erste Antigen-Schnelltest in Europa seine Zulassung. Am 15. Oktober trat eine Bundesverordnung in Kraft, die den Einsatz von Schnelltests in Pflegeheimen regelte. Doch erst am 16. Dezember wurde diese Regelung in Hessen wenigstens für einen Teil der Beschäftigten rechtsverbindlich umgesetzt. Erst seit Mitte Januar gilt endlich eine Testpflicht für alle Beschäftigten zweimal pro Woche, nachdem wir und auch viele andere es monatelang gefordert hatten.

Allein der zeitliche Ablauf zeigt: Das kommt alles viel zu spät. Denn insbesondere im November und im Dezember hat das Corona-Virus in den hessischen Alten- und Pflegeheimen massiv gewütet und Hunderte Menschenleben gekostet. Die Landesregierung muss sich vor diesem Hintergrund fragen lassen, welchen Anteil diese zeitlichen Versäumnisse daran hatten.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Doch da gibt es von Ihnen, Herr Ministerpräsident, keinerlei Selbstkritik, kein Eingeständnis von Fehlern.

(Nancy Faeser (SPD): Im Gegenteil!)

Im Gegenteil, Sie stellen sich hin und loben sich für Ihre Strategie. Ich sage ehrlich: Das ist unwürdig angesichts dieser hohen Todeszahlen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

Denn es ist nicht so, dass niemand darauf hingewiesen hätte, dass Testkapazitäten eingesetzt werden müssen, um regelmäßig das Gesundheitspersonal zu testen. Die Pflegeheime haben darauf hingewiesen, Expertinnen und Experten haben darauf hingewiesen. Auch die Opposition in diesem Landtag hat darauf hingewiesen und es monatelang gefordert.

Mehr Tests für Pflegepersonal gibt es jetzt. Aber Unterstützungskräfte für die Heime, etwa für die Tests von Besucherinnen und Besuchern, gibt es bis heute kaum. Stattdessen hat Minister Klose verfügt, dass sich die Menschen auf Selbstzahlerbasis vorab selbst testen lassen sollen, wodurch wieder arme Menschen benachteiligt werden, weil sie sich nicht jedes Mal 40 € leisten können, wenn sie ihre Mutter oder ihren Vater im Pflegeheim besuchen wollen.

(Zurufe René Rock (Freie Demokraten) und Robert Lambrou (AfD))

– 40 €, 60 €, es gibt verschiedene Angebote. – Warum gibt es keine Unterstützung für die Tests in den Einrichtungen?

(Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

Die Tests gibt es ja; sie kosten halt Geld. Oder warum gibt es nicht wenigstens ein Erstattungsverfahren für diese Kosten wie in Hamburg, Herr Minister Klose? Es kann doch nicht sein, dass es vom Geldbeutel der Angehörigen abhängt, ob die Menschen in den Pflegeheimen regelmäßig Besuch erhalten können. Das kann in diesem Land doch nicht angehen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Meine Damen und Herren, auch wenn die Intensivstationen nicht überfüllt sind, wie festgestellt wurde, so sind sie doch an vielen Stellen überlastet. Um die Intensivkapazitäten zu schonen, müssen die Freihaltepauschalen wieder für alle Krankenhäuser gewährt werden, um nicht notwendige Eingriffe zu verschieben. Zu den Freihaltepauschalen hat sich gerade wieder der Deutsche Landkreistag zu Wort gemeldet, weil in der Fläche ein großes Krankenhaussterben droht.

Ich will auch deutlich machen, dass es mehr braucht als Aufrufe und warme Worte, um ausgebildetes Pflegepersonal, welches mittlerweile in anderen Berufsfeldern arbeitet, für das Gesundheitssystem zurückzugewinnen. Allein die Berliner Charité hat über 170 Pflegekräfte, die aus dem Beruf ausgeschieden waren, zurückgewonnen für die Pflege – mit einer Werbekampagne und vor allem mit guten Konditionen.

Unseren Haushaltsantrag zu Rückkehrprämien für Pflegepersonal haben Sie mit Ihrer schwarz-grünen Mehrheit abgelehnt, wie Sie alles ablehnen. Herr Wagner, Sie stellen sich hierhin und sagen irgendetwas von „gemeinsam“, wir sollten einmal aufhören mit dem Hickhack zwischen Opposition und Regierung.

Ich sage einmal: Wir sind es nicht, die jeden Antrag der Regierungsfraktionen ablehnen, weil „Regierungsfraktionen“ obendrüber steht.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

Sie als Regierungsfraktionen lehnen dagegen pauschal jeden Antrag, jeden Vorschlag und jede Anregung, die aus Kreisen der Opposition kommt, pauschal ab. Wenn Sie das so machen, dann glauben Sie nicht, dass Sie uns hier über Parteihickhack belehren müssen. Dann fangen Sie bei sich selbst an, wenn Sie mit diesem Hickhack aufhören wollen und irgendetwas in diesem Hause gemeinsam machen wollen.

(Lebhafter Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

Natürlich brauchen wir dauerhaft eine Aufwertung der Pflegeberufe durch höhere Löhne, durch bessere Arbeitsbedingung und durch Personalmindeststandards. Wir brauchen auch die Rücknahme der Rente ab 67, die Rentenabschläge und damit Altersarmut für alle Pflegekräfte bedeutet, die nicht bis weit über 60 Jahre Menschen pflegen, heben und im Schichtdienst arbeiten können. Das wäre einmal ein echtes Zeichen der Dankbarkeit, das allen Pflegekräften viel mehr helfen würde als all die warmen Worte, als all der Dank und als all der Applaus zusammen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Pflegekräften hingegen völlig pauschal, ohne Datengrundlage, eine fehlende Impfbereitschaft zu unterstellen, wie der Bayerische Ministerpräsident Söder das getan hat, und mit einer Impfpflicht zu drohen, obwohl es dafür überhaupt keinen Impfstoff gibt, ist vollkommen unangebracht. Das hat viele Pflegekräfte vor den Kopf gestoßen.

Die Pflegekräfte sind es, die tagtäglich ihre eigene Gesundheit in dieser Pandemie riskieren. Man sollte nicht auf ihre Kosten von den eigenen Fehlern ablenken.

Meine Damen und Herren, in dieser Situation sind die Kinder und Jugendlichen besonders belastet. Im Lockdown hat sich die Landesregierung hinsichtlich der Kindertagesstätten und Schulen einen schlanken Fuß gemacht und die Verantwortung abgeschoben. Ja, formal sind die Kindertagesstätten offen. Aber die Eltern werden angehalten, sie nicht zu nutzen. Die Eltern sollen das frei entscheiden. Dazu müssten die Eltern frei entscheiden können, ob sie arbeiten oder nicht, ob sie ihre Kinder betreuen und ob sie dabei nebenher arbeiten.

Ja, sie können ihre wenigen Tage Urlaub und Kinderkrankheitstage aufbrauchen. Keiner weiß aber, wie es in diesem Jahr weitergeht und wie lange der Lockdown noch besteht. Oder sie betreuen ihr Kind unter höchster Belastung nebenbei im Homeoffice. Sie werden dann weder dem Kind noch der Arbeit gerecht. Oder aber sie spannen die Großeltern und Freunde ein. Das läuft aber natürlich dem Sinn der Kontaktbeschränkung zuwider.

Auf der einen Seite sind es die Arbeitgeber mit ihren Erwartungen. Auf der anderen Seite sind es die Leitungen der Kindertagesstätten, die zu Recht die Gruppen klein halten wollen. Das ist in vielen Fällen ein kaum lösbarer Konflikt, der auf die für die Kindertagesstätten Verantwortlichen und die Eltern vor Ort abgeschoben wurde. Das bringt allen Beteiligten sehr viel Frust und sehr viel Ärger ein.

Die Regelungen sind teilweise willkürlich. Sie hängen auch von den Sprachregelungen der einzelnen Einrichtungen ab. Manche Kindertagesstätten sind zu 90 % belegt. Andere sind zu 90 % leer.

In Frankfurt sind alle Kindertagesstätten nur noch sieben Stunden lang geöffnet. Bei 30 Minuten Arbeitsweg für eine Alleinerziehende reicht das also mit Müh und Not für einen Sechs-Stunden-Arbeitstag. Damit wird auch den sogenannten Systemrelevanten nicht geholfen. Da zu sagen, die Kindertagesstätten seien geöffnet, ist zumindest einmal irreführend.

Auch bei der Erstattung der Kindertagesstättengebühren gibt es einen großen Wildwuchs und erhebliche Unterschiede in den einzelnen Kommunen. Die Verantwortung einfach komplett auf die Kommunen abzuschieben hat für Unklarheit gesorgt. Das untergräbt auch die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen.

Nicht nur die Verantwortung wird auf das Kindertagesstättenpersonal abgewälzt, sondern auch das enorme gesundheitliche Risiko. Die Landesregierung muss mehr für den Schutz der Beschäftigten tun. Die Erzieherinnen und Erzieher brauchen kostenlose Masken. Sie sollten mindestens zweimal pro Woche in der Einrichtung getestet werden. Dann müssten sie sich während ihrer freien Zeit nicht um eine Testmöglichkeit bemühen müssen. Es braucht klare Regelungen für Tests und Quarantäne bei Kindern nach Corona-Infektionen im familiären Umfeld. Das wäre das Mindeste für die Kindertagesstättenbeschäftigten, die für zu wenig Gehalt den Eltern, die es brauchen, den Rücken freihalten.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Auch die Situation an den Schulen ist angespannt. Der Kultusminister lehnt, so wie man es von ihm gewohnt ist, jegliche Verantwortung hinsichtlich der Schulen und hinsichtlich der Eltern ab. Auch hier gilt: Die Eltern müssen selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken. Die Lehrkräfte haben nun sowohl Distanz- als auch Präsenzunterricht zu stemmen. Jede Schule muss sich Konzepte für die veränderten Situationen immer wieder selbst ausdenken.

Das Aussetzen der Präsenzpflicht bei gleichzeitigem Distanzunterricht ist die denkbar schlechteste Variante. Denn die Eltern müssen beim Homeschooling helfen, und die Lehrer müssen doppelt unterrichten, nämlich vor Ort und auf Distanz.

Herr Kultusminister Lorz, wenn Sie ernsthaft behaupten, es gebe keinen Unterschied im Lernfortschritt zwischen dem Präsenz- und dem Distanzunterricht, dann fragt man sich, in welcher Welt Sie eigentlich leben. Stellen wir uns doch einmal der Realität: Distanzunterricht, das klingt gut, aber in den meisten Fällen bedeutet es, dass es Wochenpläne mit Aufgaben gibt, die die Eltern dann mit den Kindern durchgehen müssen.

Viele Familien verfügen über keine gute technische Ausstattung. Sie verfügen nicht über schnelles Internet. Die Lernplattformen und Server sind immer wieder überlastet. Viele Kinder haben kein eigenes Zimmer, in dem sie ungestört von ihren Geschwistern in Ruhe Hausaufgaben machen können, Homeschooling machen und lernen können. Sie tun so, als könnten die Eltern über Wochen hinweg die Lehrer ersetzen. Zudem sagen Sie, der Lernfortschritt bleibe derselbe. Herr Minister, das glauben Sie doch selbst nicht.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Jürgen Lenders (Freie Demokraten))

So werden die Schüler abgehängt, die es ohnehin schon in diesem Schulsystem schwer haben. So verschärft sich die soziale Benachteiligung im Bildungssystem weiter. Herr Minister, bezeichnend war Ihre Antwort in der Pressekonferenz, in der Sie diesen Irrsinn vorgestellt haben. Ein Journalist fragte Sie dann, ob der Unterricht aus dem Klassenzimmer live an die Kinder zu Hause gestreamt werden könne. Die Antwort des Kultusministers lautete: Das wäre – Zitat – „natürlich super“, aber das sei wohl „noch nicht an allen Orten in Hessen möglich“.

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Wissler, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abg.

Schwarz zu?

Janine Wissler (DIE LINKE):

Nein. – Herr Minister, wenn Sie das so super finden, warum haben Sie dann nicht dafür gesorgt, dass das möglich wird? Das wäre Ihr Job gewesen. Sie sind der Kultusminister. Herr Minister, Sie hatten von Mai bis Dezember 2020 Zeit, das vorzubereiten. Das wäre Ihr Job gewesen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Passiert ist nichts. Es gibt keine Konzepte, keine Luftfilter in den Klassenräumen und keine Digitalisierungsoffensive. Zudem müssten doch endlich einmal alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden. Auch das ist noch nicht passiert.

Wir haben vor Monaten einen Corona-Winterfahrplan für die Schulen gefordert. Das war im Kulturpolitischen Ausschuss ein Thema. Aber im Kultusministerium hielt man das offensichtlich nicht für notwendig.

Immerhin findet jetzt hinsichtlich des Wechselunterrichts, gegen den Sie sich sehr lange gesträubt haben und den Sie mit Händen und Füßen verhindern wollten, langsam ein Umdenken statt. Denn es hat Druck aus den Schulen, aus den Gewerkschaften, von den Elterninitiativen und von der Opposition gegeben. Es ist gut, dass es da endlich ein Umdenken gibt. Schauen wir uns an, wie das am Ende funktioniert und wie es angesichts der mangelnden Vorbereitungen, die es an den Schulen leider gibt, umgesetzt wird.

Aber es bleiben viele Fragen offen. Dazu schweigen Sie einfach. Was ist mit den Dienstgeräten für die Lehrkräfte und den Internetzugängen für bedürftige Schüler? Wie sieht die Unterrichtsgestaltung aus? Wie können die Teststrategien an den Schulen verbessert und verstetigt werden? Wie können die Abschlussprüfungen pandemiegerecht stattfinden? Diese Fragen sind nach bald einem Jahr der Pandemie immer noch unbeantwortet.

Herr Kultusminister, dass man im Frühjahr 2020 darauf keine Antworten hatte, ist verständlich. Die Situation war neu. Aber warum haben Sie den Sommer und den Herbst nicht genutzt, um die Schulen auf diese Situation vorzubereiten? Über Jahre hinweg haben Sie behauptet, es gebe keinen Unterrichtsausfall, es gebe keinen Lehrermangel, und die Schulen hätten baulich eine gute Ausstattung.

Jetzt merken wir, wie das alles miteinander zusammenbricht und wie schlecht unsere Schulen vorbereitet sind. Sie sind baulich schlecht ausgestattet und marode. Es gibt viel zu wenige Lehrer, weil man viel zu lang erzählt hat, die Zahl der Schüler würde zurückgehen. Dieser Minister hat immer erzählt, es gebe eine demografische Rendite, deswegen müsse man nicht mehr Lehrer einstellen. Das rächt sich jetzt. Es ist Ihre Politik, die sich jetzt rächt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ermöglichen Sie einen sinnvollen Pandemiebetrieb. Entlasten Sie die Eltern, die Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und die Schulleitungen.

Kinder und Jugendliche brauchen zwingend den Kontakt zu Gleichaltrigen. Die weitgehende Beschränkung auf den eigenen Hausstand wird zu einem entwicklungspsychologischen Problem. Die Eltern können den Kontakt zu anderen Kindern nicht ersetzen.

Für uns ist klar: Wenn wir über Lockerungen reden, dann müssen die Kinder und Jugendlichen, die Kindertagesstätten und die Schulen Priorität haben. Denn anders als bei den Wirtschaftsbetrieben kann man die Folgen des Lockdowns für die Kinder und ihre Entwicklung nicht mit Geld ausgleichen.

Die Kontaktbeschränkung „ein Haushalt plus eine weitere Person“ können Menschen mit kleinen Kindern praktisch nicht einhalten. Denn man kann eine Dreijährige nicht einfach einmal alleine zu ihrer Freundin schicken. Wie soll man einem Kind, das morgens mit anderen Kindern in der Kindertagesstätte gespielt hat, erklären, dass es nachmittags auf dem Spielplatz mit denselben Kindern nicht spielen darf, weil das die aktuellen Regelungen untersagen?

Eines sollten wir an dieser Stelle auch nicht ignorieren: Die Kontaktbeschränkungen auf einen Haushalt plus eine Person ist angesichts vielfältiger Familienstrukturen und Formen des Zusammenlebens wirklichkeitsfremd. Wie soll sich denn eine Vierer-Wohngemeinschaft auf eine weitere Person einigen, mit der sie sich noch trifft?

Es wurde schon darauf hingewiesen: Wir wissen, dass die Frauen besonders stark an den Corona-Folgen zu leiden haben. Die Frauen haben die größeren Einkommenseinbußen und übernehmen den Großteil der Betreuungsarbeit. Wir erleben eine Zunahme häuslicher und sexualisierter Gewalt. Das hat eine Studie schon nach dem ersten Lockdown gezeigt. Diese Frauen brauchen gerade jetzt Hilfe und Unterstützung. Wir müssen aufpassen, dass die Errungenschaften, für die wir lange gekämpft haben, in dieser Krise nicht gefährdet werden.

Herr Ministerpräsident, Sie haben vorhin gesagt, wir dürften mit Freude feststellen, dass die vielfach befürchtete Infektionswelle zu Weihnachten, in den Ferien und zu Silvester nicht eingetreten ist. Da haben Sie recht. Die Infektionszahlen sind sogar leicht zurückgegangen. Was ist aber an den Feiertagen und in den Ferien anders als sonst? Es gehen weniger Menschen zur Arbeit.

Seit Monaten weisen wir auf einen blinden Fleck in den Corona-Maßnahmen hin: Das sind die Arbeitswelt und die

Betriebe. Die Kontaktbeschränkungen enden am Betriebstor – die Ausbreitung leider nicht. Wenn Menschen ohne Abstand zusammenarbeiten, verbreitet sich das Virus. Das haben wir in den Schlachtbetrieben und bei Amazon gesehen. Noch immer fahren täglich viel zu viele Menschen in zu vollen Bahnen zur Arbeit in Großraumbüros.

Während im Privatleben alles streng reguliert ist, ließ man es bei den Unternehmen bei ebenso freundlichen wie wirkungslosen Appellen, man möge doch mehr HomeofficeArbeit ermöglichen. Das hat aber nicht geklappt. Nach Schätzungen wären 40 % möglich. 14 % waren es im November 2020.

Deswegen brauchen wir in Pandemiezeiten ein Recht auf das Homeoffice, auch wenn wir wissen, dass natürlich nicht jeder Job ins Homeoffice verlegt werden kann. Aber bei denjenigen, bei denen das getan werden kann, soll es getan werden. Belgien und die Schweiz machen vor, wie das geht. Die machen auch vor, wie das wirksam kontrolliert werden kann.

(Beifall DIE LINKE)

Der Infektionsschutz in den Betrieben muss besser geregelt und kontrolliert werden. Die Jobcenter müssen aufhören, die Erwerbslosen zu Maßnahmen in Präsenz zu verpflichten. Das geschieht offenbar immer noch. Es ist doch absurd, dass die Eltern ihre Kinder aus Infektionsschutzgründen nicht in die Schule schicken, der Vater dann aber zu einem Bewerbungstraining in einer Gruppe verpflichtet wird. Das muss aufhören. Das sind in dieser Pandemiezeit vollkommen unnötige Kontakte.

Wir als LINKE fordern einen solidarischen Lockdown, bei dem Hilfen und Lasten gerecht verteilt werden. Das betrifft nicht nur das Privatleben und einzelne Branchen. Es kann nicht angehen, dass ganze Branchen, wie die Veranstaltungsbranche, die Kulturschaffenden und die Schausteller, de facto seit bald einem Jahr einem Betätigungsverbot unterliegen. Andere Unternehmen scheuen die Investition, ihren Beschäftigten Homeoffice zu ermöglichen und in Virtual-Private-Network-Zugänge zu investieren. Diese Halbherzigkeit beim Infektionsschutz sorgt dafür, dass sich der Lockdown noch länger hinzuziehen droht und dass Arbeitsplätze in bestimmten Branchen gefährdet sind.

Ein Taxifahrer in Hanau hat mir vor Kurzem erzählt, dass er von 7 Uhr bis 17 Uhr gearbeitet und 70 € in zehn Stunden Arbeit eingenommen hat. Es gibt keine Messen, keinen Flughafenverkehr und keine Geschäftsreisen. Viele Gewerbetreibenden wissen nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Die ersten Kinos schließen bereits dauerhaft. Die Kultureinrichtungen sind bedroht. Die Gastronomiebetriebe stehen vor dem Aus.

Die Gelder, die unterstützen sollten, die sogenannte Novemberhilfe, kommen jetzt im Februar. Soloselbstständige warten weiterhin vergebens auf Unterstützung. Viele Studierende haben ihre Nebenjobs verloren und können sich wegen geschlossener Bibliotheken kaum auf ihre Prüfungen vorbereiten.

Dann gibt es noch die Unternehmen, die die Krise missbrauchen, um Arbeitsplätze abzubauen und Standorte zu schließen. Es wäre dringend notwendig, dass sich die Landesregierung für den Erhalt der Arbeitsplätze einsetzt.

(Beifall DIE LINKE)

Die Pandemie betrifft alle, aber sie betrifft nicht alle gleich. Wer vorher schon kaum über die Runden kam, wer in beengten Wohnverhältnissen lebt, den trifft diese Krise besonders hart. Die Krise hat große volkswirtschaftliche und wirtschaftliche Verwüstungen angerichtet, aber nicht überall. Es sind während dieser Krise nicht alle ärmer geworden. Es gibt beispielsweise eine neue Studie von Oxfam, die besagt, dass die zehn reichsten Männer der Welt ihr Vermögen im letzten Jahr trotz der Pandemie um fast eine halbe Billion US-Dollar steigern konnten. Von dem Gewinn könnte man COVID-Impfungen für die gesamte Menschheit bezahlen.

Auch in Deutschland nimmt die ungleiche Verteilung des Reichtums immer weiter zu. Im letzten Jahr gab es trotz der Corona-Krise 58.000 neue Millionäre in Deutschland.

Nicht profitiert haben die Geringverdiener, diejenigen, die in Kurzarbeit sind, und diejenigen, die vorher schon zu Niedriglöhnen gearbeitet haben. Es wird immer gerne gesagt, während der Pandemie würden wir alle in einem Boot sitzen. Ja, das stimmt. Aber die einen rudern wie verrückt, andere klammern sich an die Reling und drohen, über Bord zu gehen, während es sich andere unter Deck ziemlich gut gehen lassen und davon profitieren, dass andere das Boot voranbringen.

Was liegt angesichts dieser Zahlen und der Verteilung des Vermögens, das auch im Jahr der Corona-Krise immer weiter gestiegen ist, denn bitte näher, als eine Vermögensabgabe und eine höhere Besteuerung des Vermögens während der Krise zu fordern? Wer soll denn sonst die Kosten bezahlen, wenn nicht diejenigen, die mehr als alle anderen haben?

(Beifall DIE LINKE)

Aber es kommt dann immer einer daher, dem noch etwas Dummes einfällt. Dieses Mal kommt er in Gestalt des Bundeswirtschaftsministers Altmaier, der jetzt vorgeschlagen hat, man solle sich von den Beteiligungen des Bundes trennen. Sprich: Er will privatisieren und das Tafelsilber verkaufen, um an Geld zu kommen – als gäbe es in diesem Land nicht Geld wie Heu. Nur ist es zutiefst ungerecht verteilt.

Die Oxfam-Studie sagt, dass für das Jahresgehalt eines DAX-Vorstands, durchschnittlich etwa 5,6 Millionen €, eine Pflegekraft in Deutschland über 156 Jahre arbeiten müsste. Mit Leistungsgerechtigkeit hat das wohl mal gar nichts zu tun, das ist einfach eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Da fordert Kanzleramtsminister Helge Braun, die Schuldenbremse für längere Zeit auszusetzen, und man denkt: Oha, jetzt kommen endlich mal ein bisschen Seriosität und Realitätssinn in die Finanzpolitik der Union. – Und dann kriegt er ordentlich Ärger und twittert „I love Schuldenbremse“. Nun gut.

Was aber notwendig ist, sind die Besteuerung hoher Vermögen, eine einmalige Vermögensabgabe und die Abschaffung der unseligen Schuldenbremse. Im Moment kann doch niemand sagen, wie lange diese Beschränkungen dauern und welche Auswirkungen sie auf diese Gesellschaft haben werden.

Für uns ist klar – damit komme ich zum Schluss –: Wir wollen in vielen Bereichen nicht einfach ein Zurück zur Normalität. Wir müssen die Lehren aus der Krise ziehen. Der Normalzustand, das war die Überlastung auf den Intensivstationen, das war der Pflegenotstand. Die neue Normalität muss eine sein ohne Fallpauschalen, ohne Privatisierungen und mit Krankenhäusern in der öffentlichen Hand. Die neue Normalität muss doch eine gut finanzierte öffentliche Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge sein. Diese Lehren müssen wir aus dieser Krise ziehen.

Gegen Corona gibt es jetzt einen Impfstoff. Gegen Armut, soziale Ungerechtigkeit, gegen Klimakrise, Rassismus und die vielen anderen Probleme unserer Zeit müssen wir uns ohne medizinische Hilfe immunisieren. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)