Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler zum Ausbau von Radschnellverbindungen

Janine Wissler
Janine WisslerVerkehr

In seiner 41. Plenarsitzung am 27. Mai 2020 diskutierte der Hessische Landtag über ein Gesetzentwurf zum Ausbau von Radschnellverbindungen. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und verkehrspolitischen Sprecherin Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Frau Kollegin Müller, was ich teile von dem, was Sie gesagt haben, ist durchaus das Erstaunen über – ich nenne es einmal so – die neue FDP, die sich jetzt für Radwege und mehr Personal im öffentlichen Dienst einsetzt. Ich musste mir auch heute Morgen bei der Rede von René Rock mehrfach die Augen reiben, als er sagte, es gehe immer nur ums Geld, und sich darüber beschwert hat, dass die Wirtschaftslobby einen zu großen Einfluss habe.

(Zuruf Freie Demokraten)

– Alles gut. – Was Frau Kollegin Müller und mich unterscheidet, ist, dass ich viel besser mit dieser neuen FDP umgehen kann, mit diesen Gemeinsamkeiten klarkomme und die eigentlich ganz gut ertragen kann.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

Wir haben gestern Seite an Seite gemeinsam für die Unterstützung der Eltern demonstriert. Von daher habe ich damit überhaupt kein Problem. Deswegen vorweg: Wenn die FDP kluge Sachen in den Landtag einbringt, dann stimmen wir dem zu. Deswegen werden wir auch dem Gesetzentwurf zustimmen – heute noch nicht, weil es die zweite Lesung ist, aber in der dritten Lesung werden wir dem zustimmen. Ich würde sagen, auch wenn es teilweise ein bisschen verwundert und erstaunt: Umfallen ist ja nicht ganz schlimm, wenn es in die richtige Richtung ist. – Daher würde ich sagen, kann man die positiven Dinge auch aufnehmen.

(Vereinzelter Beifall DIE LINKE und Freie Demokraten)

Vielleicht mag es auch daran liegen, dass sich die FDPFraktion personell verändert hat. Auch das kann dazu beigetragen haben.

(Zurufe)

Zur Sache selbst. Die meisten Anzuhörenden waren sich in der Anhörung einig, dass eine Baulast des Landes grundsätzlich eine Erleichterung bzw. Beschleunigung der Radschnellwege bedeuten könnte. Deswegen ist es auch richtig, die Ressourcen bei Hessen Mobil zu hinterlegen. Die Umstrukturierung, die übrigens auch 2020/21 ansteht, also der Wegfall der Autobahnen, könnte auch genutzt werden, sich hier stärker einzubringen.

(Zuruf Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

– Sie hatten es zu sagen vergessen, deswegen sage ich, auch in Ihrem Namen, dass es eine Möglichkeit ist, Hessen Mobil umzustrukturieren.

(Beifall DIE LINKE und SPD – Heiterkeit Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Daher ist die Idee, Radwege zum Land zu holen und eine Landesplanung zu machen, total richtig. Wir wissen, dass bei kaum einem Verkehrsträger die Qualität der Strecke so entscheidend für ihre Attraktivität ist wie bei den Radwegen – und bei kaum einem Verkehrsträger ist die Qualität dermaßen schlecht, auch das muss man sagen; denn die Frage, ob man auf das Rad steigt oder nicht, hängt damit zusammen, ob es gute Radwege gibt. Es gäbe noch einiges andere wie sichere Abstellboxen an den Bahnhöfen, bessere Mitnahmemöglichkeiten im ÖPNV. Es gibt ja den einen oder anderen, der durchaus sagen würde – –

(Das Abgeordnetenpult von Janine Wissler (DIE LINKE) wird im Vorbeigehen versehentlich beschädigt.)

Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn:

Frau Wissler, ich möchte nur festhalten, dass das an Ihrer Fraktion liegt – das ist nicht der Landtag. Randale bei den LINKEN. – Sie haben das Wort.

Janine Wissler (DIE LINKE):

Ich repariere meinen Tisch dann später. – Viele würden wohl mit dem Rad zur Arbeit pendeln, aber vielleicht nur eine Strecke. Deswegen brauchen wir verbesserte Möglichkeiten bei der Fahrradmitnahme im ÖPNV. Aber in der Regel ist es eben so, dass die Straßen mit Radwegen oftmals sehr stark an die Autostruktur angepasst sind.

(Das Abgeordnetenpult von Janine Wissler (DIE LINKE) wird teilweise demontiert und aus dem Saal getragen. – Heiterkeit Janine Wissler (DIE LINKE)) – Entschuldigung.

Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn:

Sie müssen länger reden, es dauert noch.

Janine Wissler (DIE LINKE):

Ich rede jetzt so lange, bis mein Tisch repariert ist.

(Heiterkeit)

Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn:

Sechs Minuten bin ich noch ruhig, danach aber nicht mehr. Sie haben noch immer das Wort.

(Heiterkeit Janine Wissler (DIE LINKE))

Janine Wissler (DIE LINKE):

Es tut mir leid. – Ja, wir reden über die Infrastruktur. Der Gedanke von Radschnellwegen ist eben, die Fahrradverbindungen schneller zu machen, dass es weniger Hindernisse gibt, weniger Anhaltezwänge, ein flaches Profil und generell einen guten Ausbaustandard. Da muss ich allerdings sagen, dass es in Hessen sehr langsam vorangeht, Herr Minister.

Ich habe mir jetzt noch einmal Ihre Presseinformation von dieser Woche angeschaut. In den Jahren 2016 bis 2019 wurde der Neu- bzw. Ausbau von insgesamt 17,2 km Radwegen im Zuge von Landesstraßen fertiggestellt – also in drei Jahren 17,2 km Radwege angesichts von 7.000 km Landstraßen, die wir haben. Ich glaube, dass wir uns da sogar einig sind, dass Sie, wenn es in dem Tempo weitergeht, dann schon noch ein paar Jahrzehnte hier etwas tun müssten.

(Minister Tarek Al-Wazir: Dann habe ich noch viel Zeit!)

36,3 km Radwege an Landstraßen wurden saniert – ich glaube, auch in den drei Jahren. Acht fertiggestellte Radwegeprojekte mit einer Gesamtlänge von 9 km waren Teil der Sanierungsoffensive – also 9 km. Ich sage das jetzt einmal so, nur um das zu übersetzen: Diese Strecke fährt ja der nicht einmal sehr schnelle Radfahrer in einer halben Stunde. Ich würde da mit aller Vorsicht sagen: Da gibt es doch noch eine ganze Menge Optimierungsbedarf. Das könnte schon deutlich schneller werden. Wenn wir in dem Tempo weitermachen – 17,2 km in drei Jahren –, dann wird es noch sehr lange dauern, bis wir wirklich ein Fahrradland Hessen sind, was Schwarz-Grün vor fünf Jahren sehr vollmundig ausgerufen hat, meine Damen und Herren.

Sie haben die Nahmobilität und die Radwegeoffensive ausgerufen, aber die Radfahrerrealität ist in diesem Land immer noch ziemlich trist. In den vielen Orten enden die Radwege im Nichts. Wir reden heute nicht über die kommunalen Radwege in den Innenstädten. Da haben wir natürlich ein riesiges Problem; das will ich nur ansprechen. Es gibt wohl kaum jemanden, der sagt: Wir wollen keine Radwege in den Innenstädten ausbauen. – Aber in den Innenstädten haben wir ein Platzproblem.

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es gibt niemanden?)

– Ja, es gibt kaum jemanden; es gibt schon jemanden. – Aber ich wollte damit jetzt sagen: Viele sind dafür, die Radwegeinfrastruktur auszubauen. Nur, da man in den Innenstädten nun einmal über bebaute Gebiete redet und man Häuserzeilen nicht einfach einmal um 3 m nach hinten verrücken kann, ist das am Ende wieder einmal eine Verteilungsfrage; denn wer mehr Platz für Radwege haben möchte, der muss eben auch sagen, wo man den Platz hernimmt. Dann muss man aus zweispurigen Straßen vielleicht auch einmal eine einspurige Straße machen und den Autos entsprechend Platz wegnehmen oder Parkplätze in den Innenstädten abbauen. Das muss man dann einfach deutlich machen.

Aber heute geht es nicht um die Innenstädte, sondern vor allem um die Landstraßen. Da brauchen wir die überörtlichen Wald- und Feldwege, dass eben nicht jede Kommune nur bis zur Stadtgrenze plant, sondern wir auch überörtliche Verbindungen haben.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass es auch um die Frage von einheitlichen Standards geht. Es ist schon so, dass eine Fahrradinfrastruktur mehr als ein bisschen weiße Farbe und eine gestrichelte Linie auf der Fahrbahn ist. Fahrradinfrastruktur bedeutet im besten Fall, dass es baulich abgetrennt ist, dass es nicht alles nur an den Straßen orientiert ist, sondern dass es auch eine eigene Verkehrsinfrastruktur zum Radfahren gibt. Wie eine wirklich gute Infrastruktur für Fahrräder aussieht, kann man sich in den Niederlanden oder in Dänemark anschauen – das wird ja immer wieder zitiert. Das ist eine Infrastruktur, in der Menschen ohne Sorge Fahrrad fahren können, wo Eltern ihre Kinder aufs Fahrrad setzen können und keine Angst haben müssen, und wo Seniorinnen und Senioren auch ungeübt Radfahren können, ohne dass sie Angst haben müssen, in Haaresbreite von Autos überholt zu werden.

Genau das müssen wir schaffen. Wenn wir eine Verkehrswende hinbekommen wollen, dann muss das Fahrrad dabei auch eine Rolle spielen. Das ist nicht der alleinige Bestandteil. Deswegen ist es sinnvoll, dass wir hier auch beim Thema Landesradwege vorankommen. In NRW – es ist ja heute sehr beliebt, auf die anderen Seiten von Flüssen und die anderen Bundesländer zu schauen – hat man sich schon vor vier Jahren auf den Weg gemacht und sogenannte Radschnellverbindungen des Landes geschaffen. Das heißt, in anderen Ländern ist das durchaus möglich.

Es wäre konsequent und sinnvoll, wenn Radwege mit überörtlicher Bedeutung als Landesradwege geschaffen werden würden, wenn sie aus einer Hand geplant würden. Dazu brauchen wir Personal. Das haben Sie zum Teil auch gemacht, Herr Minister. Dazu brauchen wir eine einheitliche Planung, und dazu brauchen wir einheitliche Ausbaustandards. Deswegen hätten wir dem Gesetzentwurf heute zugestimmt. Wir werden ihn heute nicht verabschieden. Deswegen stimmen wir dem Gesetzentwurf in der dritten Lesung zu. Wir halten das für eine richtige Initiative. Dann würden wir wenigstens einmal ein kleines Stück bei dem Thema Fahrradland Hessen vorankommen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten)