Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler zum Urlaubsland Hessen

Janine Wissler
Janine WisslerWirtschaft und Arbeit

In seiner 42. Plenarsitzung am 28. Mai 2020 diskutierte der Hessische Landtag über Urlaubsmöglichkeiten in Hessen. Dazu die Rede unserer Fraktionsvorsitzenden und tourismuspolitischen Sprecherin Janine Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Hessen liegt im Herzen Deutschlands, hat mein Vorredner gerade gesagt. Da fällt mir ein, dass der hessische Kabarettist Matthias Beltz gesagt hat:

Hessen verstehen kann nur derjenige und auch nur diejenige, die die ethnische Sondersituation Hessens kennen. Hessen ist umzingelt von lauter Deutschen, hat keinen direkten Zugang zum Meer, zu den Alpen und zum Ausland und von daher keinen Kontakt zur Freiheit.

(Zuruf)

– Das hat er gesagt. Ich darf das zitieren, ich bin in der dritten Generation Urhessin. Mich hat es bisher nicht so weit weggezogen. – Das hat Matthias Beltz geschrieben.

Jenseits der Frage, dass wir keine Alpen und keinen Zugang zum Meer haben, können wir uns selbstverständlich auf den Antragstitel verständigen: Hessen ist schön. – Es sind viele schöne Regionen aufgezählt worden, und es gibt noch viel mehr schöne Regionen. Ich will der Versuchung widerstehen, neue aufzuzählen, um keine zu vergessen.

(Zurufe: Oh, schade!)

Eine Bemerkung sei mir dann aber doch gestattet, nur weil mein Vorredner, Herr Meysner, darauf hingewiesen hat, dass in diesem hr-Ranking – ich habe das damals auch gesehen – Fulda als die schönste Stadt Hessens gewählt wurde.

(Beifall Markus Hofmann (Fulda) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

– Ja, herzlichen Glückwunsch. – Es gab eine weitere Folge, in der Hessens schönster Landkreis gewählt wurde. Jetzt raten Sie einmal, welcher das ist. – Das ist nämlich der Landkreis Fulda. Jetzt raten Sie einmal, was Hessens schönster Fluss ist.

(Zurufe: Die Fulda!)

Das ist nämlich die Fulda – richtig. Als ich das Ergebnis dieses hr-Rankings gesehen habe, habe ich mir gedacht, da hatte doch Fulda Tourismus, die „Fuldaer Zeitung“ oder irgendjemand die Finger im Spiel beim Voting des Hessischen Rundfunks.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Verschwörungstheorien!)

Aber ich will weder dem Kreis Fulda noch der Stadt, noch dem Fluss die Schönheit absprechen. Sie wissen ja, wir LINKE haben es nicht so mit Wettbewerb und Ranking, von daher können wir einfach alles schön finden, ohne eine Reihenfolge zu bestimmen.

(Beifall DIE LINKE)

Urlaub muss nicht möglichst weit weg vom Wohnort sein. Ferien in der Region sind auch ein wichtiger Baustein des sozial-ökologischen Umbaus, weil man damit auch den Klimaschutz voranbringen kann.

Es ist viel angesprochen worden, dass es wichtig ist, dass Tourismusregionen gut angebunden sind, auch an Bus und Bahn. Ich will die Barrierefreiheit im Tourismus hinzufügen. Auch die Frage Fahrradfreundlichkeit gehört dazu. Hessen hat ein sehr gutes Fernradwegenetz, das wirklich sehr schöne Radtouren ermöglicht. All das sind wichtige Bausteine.

Wenn wir jetzt darüber reden, wie die Reisebranche durch Corona betroffen ist, muss man natürlich sagen, dass die Reisebranche die erste Branche war, die wirklich voll betroffen war. Vermutlich wird es auch die Branche sein, die mit als Letzte aus dieser Krise herauskommen wird.

Wenn wir heute über den Tourismus in Hessen sprechen, möchte ich damit beginnen, auch über die Menschen zu reden, die in der hessischen Tourismusbranche oder in der Reisebranche insgesamt arbeiten, sei es in den Hotels, in der Gastronomie und in den kleinen Reisebüros, die gerade immer noch um ihre Existenz bangen müssen.

Es betrifft eben auch, es ist angesprochen worden, die Busunternehmen, die kein Standbein im ÖPNV haben. Hessen und auch Deutschland haben eine sehr kleinteilige Tourismuswirtschaft. In fast jeder größeren Einkaufsstraße gibt es einen kleinen Reiseveranstalter oder kleine Reisebüros. All diese Betriebe mussten vorerst schließen. Sie mussten nicht nur die Kosten für bereits gezahlte Reisen, die storniert wurden, zurückzahlen, sondern zum Teil auch die erhaltenen Provisionen. Die Menschen in den Reisebüros arbeiten noch dafür oder haben noch sehr lange dafür gearbeitet, dass sie dann noch weniger Geld haben als vorher.

Ich möchte darauf hinweisen, dass gerade unter den Beschäftigten in den Reisebüros, die auch nicht sehr gut verdienen – ich habe mit einer Frau gesprochen, die mir erzählt hat, sie komme mit dem Kurzarbeitergeld jetzt auf 900 € –, 73 % Frauen sind. Bei den Einkommenseinbußen, die jetzt hingenommen werden, muss man sagen, dass es sich um Menschen handelt, die sich vermutlich in diesem Sommer keinen Urlaub leisten können, weil sie durch Corona so krasse Einkommenseinbußen hinnehmen mussten.

Im Hotel- und Gaststättengewerbe ist die Situation weiter dramatisch. Frankfurt ist angesprochen worden, wo es keine Messen und Kongresse gibt. Natürlich sind dort auch die Übernachtungszahlen enorm heruntergegangen. Klar, Gaststätten dürfen wieder öffnen, rein rechtlich. Aber mit den geltenden Auflagen, auch wenn die 5-m2-Regelung jetzt wegfällt, ist es einfach nicht wirtschaftlich.

Dabei ist es mir wichtig, zu sagen, dass ich die Sinnhaftigkeit dieser Regelungen nicht infrage stellen möchte. Für mich steht auch der Infektionsschutz vornean. Wir müssen aber natürlich einfach sehen, dass diese Regelungen viele kleine und größere Unternehmer in Existenznöte bringen. Deswegen müssen sie abgesichert werden, und ihnen darf nicht einfach das wirtschaftliche und gesundheitliche Risiko übertragen werden.

Gerade die Beschäftigten im Gastgewerbe verdienen sowieso nicht üppig. Denken wir an die Zimmermädchen, an das Reinigungspersonal, an die Kellner, an die Köche. Diese Arbeitsbedingungen sind schon im Normalbetrieb oft schwierig. Die Gewerkschaft NGG hat im letzten Jahr festgestellt, dass die Arbeitsbelastung in der Branche immer weiter zunimmt. Dienste werden kurzfristig geändert, es gibt Schichtarbeit, Pausen werden nicht eingehalten. Es ist also schon so, dass wir hier eine hohe Arbeitsbelastung haben.

Was man nicht vergessen darf, ist, dass im Gastgewerbe viele von Trinkgeldern leben. Diese Trinkgelder werden natürlich bei den Bezügen für das Kurzarbeitergeld überhaupt nicht eingerechnet, können nicht eingerechnet werden. Damit fällt also von dem ohnehin nicht hohen Netto noch Geld weg. Das trifft viele Menschen und Familien existenziell, von denen wir nicht wissen, ob sie sich in diesem Jahr einen Urlaub leisten können.

Auch über die Jugendherbergen haben wir im Zusammenhang mit Tourismus gesprochen. Auch die will ich noch einmal erwähnen, weil sie als nicht gewinnorientierte Einrichtungen erst durch das Raster der Soforthilfe gefallen sind. Gerade bei den Jugendherbergen ist klar, dass es eine ganze Weile dauern wird, bis es wieder zu einer vollen Auslastung kommt. Es werden auf absehbare Zeit keine Klassenfahrten stattfinden. Es wird auf absehbare Zeit schwierig sein, Menschen in Mehrbettzimmern unterzubringen, die nicht zum gleichen Haushalt gehören.

Das betrifft die Jugendherbergen, für die jetzt eine Soforthilfe beschlossen worden ist. Es betrifft aber auch viele andere gemeinnützige Freizeiteinrichtungen, die teilweise massive Schulden aufhäufen müssen. Hier muss das Land die Folgen seiner Verordnungen bedenken und schauen, wie man die wirtschaftlichen Folgen auch für diejenigen abmildern kann, die bisher durch das Raster gefallen sind.

(Beifall DIE LINKE)

Wir freuen uns natürlich, wenn in diesem Sommer besonders viel Urlaub in Hessen gemacht wird und wenn das für die Menschen im Gastgewerbe und in den touristischen Einrichtungen einen kleinen Teil der Corona-bedingten Ausfälle kompensiert. Aber, ganz ehrlich: Das wird auch bei einem größeren Ansturm oder der besten Werbekampagne des Landes nur einem Bruchteil der gastronomischen Betriebe helfen, weil man sie vermutlich nicht voll auslasten kann und weil natürlich auch nicht in allen Regionen Hessens Urlaub gemacht wird.

(Unruhe)

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin Wissler, warten Sie einen kleinen Moment, es ist sehr laut, es ist sehr unruhig. – Ich bitte Sie, der Rednerin die volle Aufmerksamkeit zu schenken.

Janine Wissler (DIE LINKE):

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich habe das Gefühl, hier sind alle etwas in Urlaubsstimmung vor dem langen Pfingstwochenende. Ich wollte durch meine Rede keine Urlaubsvorfreude erzeugen.

Ich möchte auf einen sehr ernsten Punkt hinweisen. Wir müssen einfach sehen, dass es viele Menschen gibt, die gar kein Geld haben, um einen Urlaub zu machen, die nicht einmal Geld haben, um irgendwo um die Ecke im Vogelsberg, in Waldeck-Frankenberg oder im Odenwald Urlaub zu machen. Sie haben dafür kein Geld, weil sie entweder durch Corona krasse Einbußen haben hinnehmen müssen, z. B. Menschen, die seit zehn Wochen von 60 % Kurzarbeitergeld leben, oder vielleicht überhaupt keine Einnahmen mehr haben. Die haben ein Problem, überhaupt Urlaub zu machen.

Es gibt eine ganze Menge Menschen, die sich Corona-unabhängig keinen Urlaub leisten können, weil sie von Grundsicherung leben, weil sie im Niedriglohnbereich arbeiten, weil sie vielleicht sowieso schon zwei Jobs nachgehen, alleinerziehend sind.

Ich finde, gerade in einem solchen Jahr, wo Eltern ihre Kinder jetzt elf Wochen lang zu Hause betreut haben mit Homeschooling, zum Teil im Homeoffice, hätte eigentlich jeder ein paar Tage Urlaub verdient. Da muss man überlegen, wie man Grundsicherung und ein Lohnniveau dauerhaft so gestaltet, dass sich jeder Mensch Urlaub leisten kann und Menschen nicht davon ausgeschlossen sind.

(Beifall DIE LINKE)

In diesem Sinne wünschen wir allen Menschen in Hessen einen guten Sommer, vielleicht einen schönen Urlaub, wenn es möglich ist, und vor allem Gesundheit, ohne Zukunftsängste. Ich wünsche vor allem den Beschäftigten im Gastronomiebereich und in der Tourismusbranche, dass sie diese Krise finanziell, ökonomisch gut überstehen und dass sie auf lange Sicht mit guten Arbeitsbedingungen und einer guten Absicherung durch diese Krise kommen. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)