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Rede

"Mit weniger Texten bekommen die Beitragszahlenden weniger, mobil unpraktischeren und schlechter auffindbaren Journalismus"

Dr. Ulrich Wilken
Ulrich WilkenMedienpolitik

Gesetz zu dem Zweiundzwanzigsten Rundfunkänderungsstaatsvertrag (Erste Lesung zum Gesetzentwurf der Landesregierung, Ds. 20/43)

 

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Aktuelle Herausforderungen der digitalen Öffentlichkeit, verfassungsrechtliche Entwicklungsgarantien, der Auftrag an die Öffentlich-Rechtlichen – all das zeigt schon seit geraumer Zeit, dass die meisten Anpassungen, die wir heute anlässlich dieses Rundfunkänderungsstaatsvertrages diskutieren, längst überfällig sind.

Ich will, wie bereits Herr Staatsminister Wintermeyer und auch andere Vorredner, zwei Problembereiche in diesem Zusammenhang noch einmal ausführlicher diskutieren.

Mehrfach ist dieses Wort jetzt schon gefallen: die Presseähnlichkeit von Internetangeboten der Öffentlich-Rechtlichen. Einmal abgesehen davon, dass „Presseähnlichkeit“ eigentlich ein Unwort ist, sollen also öffentlich-rechtliche Anbieter damit in Zukunft darauf verpflichtet werden, sich auf audiovisuelle Inhalte zu konzentrieren und auf Texte weitgehend zu verzichten. Die jahrelangen juristischen Auseinandersetzungen darum sollen im Zweifelsfall durch ein privates Schiedsgericht abgelöst werden. Ob das dann schneller geht, daran habe ich meine Zweifel.

Aber wir müssen uns auch klar darüber sein, welche Probleme wir uns damit schaffen. Da gebe ich Herrn Frömmrich ausdrücklich recht. Da müssen wir einmal ganz genau beobachten, ob das funktioniert. Denn wir haben das Problem, dass Suchmaschinen Texte lieben. Damit haben wir ein Problem der Auffindbarkeit. Weniger Text bedeutet deshalb: Teuer produzierte öffentlich-rechtliche Inhalte verschwinden oder verstecken sich im Internet.

Wir haben zweitens das Problem der Medienkonvergenz. Moderner Journalismus im Internetzeitalter ist crossmedial. Onlinejournalismus ist fast immer eine Kombination aus Text, Bild, Video- und Audioinhalten. Presseähnlichkeit als Kriterium hat sich also eigentlich überholt. Wir haben auch das Problem von Barrierefreiheit. Textinhalte lassen sich von Menschen mit Behinderungen relativ einfach in ein wahrnehmbares Format umwandeln. Diese werden also jedenfalls Leidtragende einer Beschränkung des Textanteils in öffentlich-rechtlichen Angeboten sein. Machen wir uns doch nichts vor: Letztlich wird der Textverzicht die Verlage nicht retten. Schauen wir in die USA, wo das Zeitungssterben besonders weit fortgeschritten ist. Dort gibt es gar keine nennenswerte öffentlich-rechtliche Konkurrenz.

Schauen wir aber noch einmal auf das Nutzerverhalten, auf das auch schon Vorredner hingewiesen haben. Laut „Reuters Institute Digital News Report“ für Deutschland sagen 60% der Befragten über alle Altersgruppen hinweg, dass sie Nachrichten meist in schriftlicher Form lesen und sich höchstens gelegentlich einmal ein Video online ansehen. Für die Öffentlich-Rechtlichen befürchte ich da viel rausgeschmissenes Geld.

Mit weniger Texten bekommen die Beitragszahlenden weniger, mobil unpraktischeren und schlechter auffindbaren Journalismus für ihr Geld. Ich halte diesen Weg kurzfristig für falsch, und er unterminiert langfristig auch die Legitimität öffentlich-rechtlicher Angebote im Netz.

(Beifall DIE LINKE)      

Deswegen wäre es aus unserer Sicht wegweisender gewesen, das Verbot presseähnlicher Angebote ersatzlos zu streichen.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt noch ein Gedanke zur anderen Seite dieses Problems. Diese – in Sachen Presseähnlichkeit aus meiner Sicht – Kapitulation der Öffentlich-Rechtlichen vor der Verlegerlobby wurde damit kompensiert, dass die Standzeiten in den Mediatheken verlängert werden. Ich höre jetzt häufig, dass dies doch jetzt eigentlich selbstverständlich sei, weil diese Produktionen mit unserer Abgabe bezahlt seien und deswegen auch unbegrenzt zur Verfügung stehen sollten. Das Problem ist: Diese Darstellung ist leider falsch.

Die Urheber und Leistungsschutzberechtigten, also diejenigen, die für die Produktion verantwortlich sind, die sie gemacht haben, werden schlicht und ergreifend nicht ordentlich bezahlt. Sie müssen sich über Angebote ihrer Filme z. B. als Downloadangebot im Internet gegenfinanzieren. Wenn dann die Mediathekenzeiten verlängert werden, muss das notwendigerweise zur Folge haben, dass diese Produzierenden und diese Kulturschaffenden zukünftig deutlich besser bezahlt werden. Im Zweifelsfall müssen da Verträge auch nachgebessert werden.

(Beifall DIE LINKE)

(Vizepräsident Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist um.)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wir werden dies weiter diskutieren, wohl wissend, dass wir bei diesen Rundfunkänderungsstaatsverträgen zwar diskutieren können, aber im Grunde genommen nur zustimmen oder ablehnen können. Ich hoffe trotzdem, dass ich die Problematik deutlich gemacht habe. – Vielen Dank.