Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Janine Wissler - Alle Macht den Rädern

Radwege - "Die Qualität der Strecke ist entscheidend!"

Janine Wissler
Janine WisslerUmwelt- und KlimaschutzVerkehr

Gesetz zum Ausbau von Radschnellverbindungen in Hessen (Erste Lesung Gesetzentwurf Fraktion der Freien Demokraten, Ds. 20/1080)

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Bei kaum einem Verkehrsträger ist die Qualität der Strecke so entscheidend für die Attraktivität wie beim Radweg. Bei kaum einem ist die Qualität in der Realität so schlecht. Auf dem Fahrrad, wenn man sich per Muskelkraft vorwärtsbewegt, ist jedes Bremsen an einer Ampel ärgerlich. Jedes „Bitte Absteigen“-Schild ist mit einer enormen Verlangsamung verbunden. Jeder Anstieg senkt die Attraktivität einer Strecke ganz erheblich.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Darauf wird bei der Planung und Führung von Radwegen aber wenig Rücksicht genommen. Die Radwege werden irgendwie in die autozentrierte Planung hineingequetscht. Sie werden nicht als ein eigenständiges Verkehrssystem betrachtet. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass z. B. bei straßenbegleitenden Radwegen die Straße selbstverständlich eingeebnet verläuft, der Radweg daneben aber jeden Hügel mitnimmt. Die Wegeführung und der Ausbaustandard sollten einheitlichen Standards folgen, die Strecken attraktiv machen und eine hohe durchschnittliche Reisegeschwindigkeit ermöglichen, und zwar durch eine kluge Streckenführung mit wenigen Hindernissen und Anhaltezwängen auf dem Weg, durch ein flaches Profil und einen generell guten Ausbaustandard. Das ist der Grundgedanke, der den Radschnellwegen zugrunde liegt. Es ist gut, dass sich in Hessen hierbei etwas bewegt, aber es bewegt sich sehr langsam.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

Öffentlichkeitswirksam wurde vor einigen Wochen der erst knapp 4 km lange Radschnellweg zwischen Darmstadt und Frankfurt eingeweiht. Der Rest folgt hoffentlich zügig. Aber es geht halt quälend langsam voran. Drei Jahre sollen noch vergehen bis zur Eröffnung der ganzen Strecke. Das ist aber noch optimistisch, weil bei manchen Abschnitten noch nicht einmal der genaue Verlauf klar ist. Hier scheint gerade der Verlauf in den Städten Frankfurt und Darmstadt noch besonders problematisch zu sein. Da kann man in der Tat nur hoffen, dass sich die Verantwortlichen einmal anschauen, wie das in Kopenhagen oder auch in Städten wie Göttingen funktioniert, wie innerstädtische Schnellwege aussehen können. Wir haben ein großes Problem mit innerstädtischen Radwegen, wie dies Jahr für Jahr im Ranking des ADFC zur Fahrradfreundlichkeit der Städte deutlich wird. Darin wird deutlich, wie fahrradunfreundlich hessische Städte sind. Schon jetzt werden beim ersten hessischen Radschnellwegprojekt Kompromisse gemacht, die wohl dazu führen werden, dass der Schnellweg gar nicht die Anforderungen an einen Schnellweg erfüllen wird und deshalb nur Direktverbindung genannt werden. Das sind Anforderungen wie die Beleuchtung, eine durchgehende Breite von 4 m und ein glatter Bodenbelag. Vor allem der Frankfurter Stadtwald wird als das Problem dargestellt. Dies erscheint bei einem Forst, der durch eine achtspurige Autobahn und jede Menge Straßen durchteilt wird und der im Minutentakt von lärmenden Flugzeugen überflogen wird, ein bisschen absurd. Auch Fußgänger und landwirtschaftlicher Verkehr sollten auf den Radschnellwegen eigentlich nur in Ausnahmefällen zugelassen sein. Herr Minister, daher sehen wir die Gefahr, dass man bei diesem ersten Projekt falsche Standards setzt und damit nicht den Anforderungen eines echten Radschnellwegs genügt.

(Beifall DIE LINKE)

Nun werden weitere Vorhaben angekündigt für den Ausbau mehrerer neuer Fahrradpendlerstrecken im Rhein-Main-Gebiet. Das ist grundsätzlich gut, aber das muss schneller gehen. Mehr Geld und auch mehr Personal für die Planung sind notwendig. Es ist bald fünf Jahre her, dass Schwarz-Grün vollmundig das Fahrradland Hessen ausgerufen hat sowie eine AG Nahmobilität und eine Radewegeoffensive angekündigt hat. Die Radfahrerrealität im Land ist aber leider weiterhin trist.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

An vielen Orten enden Radwege im Nichts. Sie sind in einem furchtbaren Zustand und gefährlich schmal. Überörtliche Radverbindungen sind oft Wald- und Feldwege, die nicht direkt verlaufen und bei schlechtem Wetter oft unbenutzbar sind. Die angekündigte Radwegoffensive, mit der 70 neue Kilometer Radweg in 9.000 km Landesstraßennetz entstehen sollen, ist auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hier und da werden gestrichelte Linien gemalt, die sogenannten Schutzstreifen, die die Situation oftmals nicht ungefährlicher machen. Da sind in den vergangenen Jahren echte verkehrsplanerische Fehlleistungen entstanden. Deswegen sagen wir klipp und klar: Weiße Farbe auf der Straße ist keine Fahrradinfrastruktur.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt Freie Demokraten)

Wie wirkliche Infrastruktur aussieht, kann man sich anderswo anschauen. Die Niederlande und Dänemark sind heute schon angesprochen worden. In unseren Nachbarländern baut man in der Regel sichere Radinfrastruktur. Schauen wir uns dort beispielsweise einmal die Wegeführung an Kreuzungen an. Bei uns hingegen wirbt der Bundesverkehrsminister mit sexistischen Werbekampagnen dafür, dass sich die Radfahrer einen Helm aufsetzen sollen, statt eine Kampagne zu machen, die sich an die Autofahrer richtet, oder statt dafür zu sorgen, dass die Verkehrsinfrastruktur so ist, dass Fahrradfahrer erst gar nicht gefährdet werden, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Wir brauchen eine Infrastruktur, auf der jeder ohne Sorge seine Kinder fahren lassen würde, bei der sich Senioren und auch ungeübte Radfahrer trauen, sich auf das Rad zu setzen. Das ist in vielen Nachbarländern Realität. In Deutschland braucht man vielerorts jedoch regelrecht Mut, um sich auf ein Fahrrad zu setzen, weil man regelmäßig um Haaresbreite überholt wird und Angst hat vor abbiegenden Lkw. Außerdem muss man dauernd auf die Straße ausweichen, weil die Radwege zugeparkt sind. Dabei wäre es notwendig, dass sich alle Menschen gerne aufs Fahrrad setzen, wenn wir die Verkehrswende hinbekommen wollen. Die meisten Radwege sind in kommunaler Verantwortung. Deshalb müssen wir auch an dieser Stelle über die Frage der Finanzausstattung der Kommunen reden. Die meisten Kommunen legen Radwege derzeit nur an, wenn sie ohnehin Straßen sanieren. Das führt natürlich zu einem erheblichen Flickenteppich lückenhafter Radwege. Für die gezielte Errichtung durchgehender Radwege oder gar Radrouten fehlt vielerorts schlicht das Geld. Insofern wäre es nur konsequent und sinnvoll, wenn Radwege mit überörtlicher Bedeutung als Landesradwege geschaffen würden, aus einer Hand geplant und finanziert, nach einheitlichen Qualitätsstandards geplant und möglicherweise mit mehr finanziellen Mitteln, als den Kommunen zur Verfügung stehen, um hohe Ausbaustandards zu erreichen. Nordrhein-Westfalen hat sich vor einigen Jahren auf den Weg gemacht und sogenannte Radschnellverbindungen des Landes geschaffen. Das ist gut. Deshalb ist es ein richtiges Anliegen, das die FDP heute eingebracht hat. Wir sind gespannt auf die Anhörung. Es geht in die richtige Richtung. Wir brauchen Landesradwege. Dafür müssen wir als Land Geld in die Hand nehmen. Wir brauchen Investitionen in die Radinfrastruktur, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt Freie Demokraten)

Das würde einiges einfacher machen, aber dadurch wäre noch kein Meter Radweg oder Radschnellweg mehr geschaffen. Hieran sind am Ende die Fortschritte zu messen.In diesem Sinne: alle Macht den Rädern. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)