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Rede

Rede Marjana Schott zur dritten Lesung des Gesetzentwurfs von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuches und anderer Rechtsvorschriften

Marjana Schott
Marjana SchottFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

Rede Marjana Schott am 26. April 2018 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie schaffen Sie das nur? Jetzt gehen Sie einen richtigen Schritt in Richtung Beitragsfreiheit und dann vermurksen sie ihn grandios. Der Gesetzentwurf ist in der Anhörung, in der Diskussion mit den Kommunen und Verbänden völlig durchgefallen. Es ist offenbar geworden: CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN profilieren sich auf Kosten der Qualität in den Kitas, auf Kosten der Fachkräfte in den Einrichtungen, auf Kosten der kommunalen Selbstverwaltung und machen sich selbst ein Wahlgeschenk.

Ich habe mich anfangs darüber gefreut, dass Sie dem Druck nachgegeben haben, die Beitragsfreiheit für die frühkindliche Bildung anzugehen. Ich denke dabei, was würde Frau Wiesmann dazu sagen. Jedes Mal, wenn von der Opposition die Beitragsfreiheit angesprochen wurde, stand sie am Redepult und erklärte uns, dass wir damit ja nur die Reichen noch reicher machen würden. Gebetsmühlenartig haben aber auch Herr Bartelt und Herr Bocklet argumentiert, dass die Qualität zuerst komme und erst dann, irgendwann, wenn noch Geld da ist, dann komme die Beitragsfreiheit. Sie haben uns erklärt, dass bei denjenigen, die sich die Beiträge nicht leisten können, sowieso das Jugendamt einspringen muss. Wir haben ihnen erklärt, dass es genügend Eltern gibt, deren Einkommen über der Befreiungsgrenze liegt, die aber über zu wenig Geld verfügen, so dass sie die Kinder erst im fortgeschrittener Alter oder für weniger Stunden oder gar nicht in die Kindertagestätte bringen.

Im letzten Jahr wurde plötzlich alles anders. Qualität spielt so gut wie keine Rolle mehr, jetzt soll es eine Teilfreistellung vom Elternbeitrag geben. Interessant ist, dass Sie Ihre Berechnungen schon angestellt haben, als sie uns noch gebetsmühlenartig davon überzeugen wollten, dass Elternbeiträge gut sind. Wir haben allerdings volles Verständnis dafür, wie unangenehm es ist, wenn man jede Woche mehrere Briefe von Eltern, von Gemeindevertretungen, von Bürgermeistern bekommt, die auf Beitragsfreiheit pochen. Allerdings scheinen Sie etwas überlesen und übersehen zu haben, es war immer davon die Rede, dass das Land einen höheren Kostenanteil übernehmen soll.

Die Sorge um die Stimmen bei der Landtagswahl war Ihnen allerdings mehr wert als die Kommunalfinanzen. Sie führen einen weiteren Todesstoß zur Vernichtung der kommunalen Selbstverwaltung, in dem sie mit nur einem Gesetz drei Angriffe starten. Erstens ist die Pauschale zu gering. Daran ändert auch der lächerliche Änderungsantrag zur Dynamisierung nichts. Diese beginnt erst ab 2020 und liegt weit unter den Tariferhöhungen der letzten Jahre. Damit zeigen sie aber deutlich, wie wenig Ihnen Erzieherinnen und Erzieher wert sind. Zweitens haben Sie keinerlei Ausgleich dafür vorgesehen, dass das Angebot in den Kitas erweitert werden muss. Wenn Eltern die Möglichkeit haben, ihr Kind beitragsfrei für sechs Stunden in der Kita unterzubringen, dann werden sie es selbstverständlich nutzen. Die Kita-Träger und Kommunen müssen jetzt schauen, wo bekommen sie die Fachkräfte her, wie weit müssen sie ausbauen, welche räumlichen Voraussetzungen müssen geschaffen werden, die Module werden neu berechnet, der Ärger darüber geht wieder mit den Kommunen heim. Beispielsweise müssen die Voraussetzungen für das Mittagessen geschaffen werden. Oder glauben Sie ernsthaft, dass ein Kind von 8 bis 14 Uhr in der Kita bleibt und nichts zu essen bekommen soll? Wenn Sie Ihr Kind oder Ihr Enkelkind dann mal selbst abholen würden, dann nehmen sie ein überdrehtes, hungriges Kind in Empfang. Für alle Beteiligten nur nervig. Die dritte Gemeinheit ist, dass Sie das Geld für die Beitragsfreiheit zur Hälfte aus den kommunalen Finanzen nehmen. Es sind nicht in erster Linie die konjunkturellen Zahlen, die den Kommunen aktuell die Haushaltsplanung für 2019 verunmöglichen, sondern die Ungewissheit, welche Beträge im kommunalen Finanzausgleich tatsächlich bei den Kommunen ankommen werden. Der Landkreistag sprach in der Anhörung, dass den Kreisen netto alleine durch die Beitragsbefreiung 19,5 Millionen Euro pro Jahr fehlen werden. Bei der Hessenkasse sind Sie ja noch intensiver dabei, den Ausgleich der Kassenkredite von den Kommunen selbst zahlen zu lassen. Dafür wollen Sie sich auch noch feiern. Das ist unanständig.

Finanziell ist die ganze Angelegenheit für die Kommunen, die die Hauptlast der Kindertagesbetreuung zu leisten haben, ein Desaster. Nützt es wenigstens den Familien? Sicher haben Eltern mit nicht so hohen Einkommen einen großen Vorteil haben, wenn der Elternbeitrag für sechs Stunden entfällt. Einige werden ihre Kinder wieder für mehr Stunden anmelden können. Das funktioniert aber nur so lange, wie genügend Kitaplätze und genügend Fachkräfte vorhanden sind. Und dafür tut die Landesregierung nichts. Sie entzieht den Kommunen die die Mittel für den Ausbau und die Qualitätsverbesserung, als dass dieses Gesetz die Eltern unterstützen würde.

50 Millionen Euro für die Qualitätsverbesserung in für beide Jahre 2018 und 2019 und 50 Millionen ab 2020 pro Jahr. Das ist Ihr Angebot zur Qualitätsentwicklung in den Kitas. Das heißt pro Kita gibt es durchschnittlich etwa 12.000 Euro pro Jahr. Bedingung dafür ist Fachberatung und ein zehn Jahre alter Bildungs- und Erziehungsplan. Ich zitiere aus der Anhörung: „Den Bildungsplan universell einsetzen zu wollen und als Orientierungsleitlinie und Reform zu verstehen, lässt die Professionalität, ein Verständnis für die Realität des Aufwachsens von Kindern in der Gesellschaft und entsprechende Praktiken für die Professionalisierung im Feld ausdünnen.“ Das hat Claudia Maier-Höfer von der evangelischen Fachhochschule Darmstadt geschrieben.

Im Allgemeinen ist Ihnen der Caritasverband nicht fremd. Da kann ich Ihnen das Interview der fnp mit dem Geschäftsführer der Caritas Main-Taunus, Torsten Gunnemann nicht sparen.

Er wird gefragt: Ist die Lage im Main-Taunus-Kreis bezüglich Personal tatsächlich so schlimm? Darauf antwortet er: „Wir brauchen insgesamt dringend, ganz dringend mehr Fachkräfte.“

Auf die Frage Woher sollen sie kommen, sagt er „Vonseiten der Politik brauchen wir eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für das pädagogische Fachpersonal in Krippen und Kindertagesstätten. Der Beruf muss attraktiver gemacht werden. Qualitätsstandards sind gefragt. Andernfalls sehe ich schwarz.“

Eine weitere Frage lautet: „Wie kann eine Qualitätssteigerung erreicht werden? Seine Antwort bezog sich wiederum darauf, dass mehr Personal gebraucht wird. „Damit Kinder individuell gefördert werden können und alle Kinder mit oder ohne Behinderung die gleichen Bedingungen haben. Mehr Personal ermöglicht auch eine gute Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern. Und es lässt kleinere Gruppen zu, in denen individuelle Förderung von Kindern besser möglich ist. Nur mit zusätzlichem Personal können in den Kitas die nötigen Leitungsaufgaben erfüllt werden.“

Das Interview geht so weiter und enthält alle Forderungen, die DIE LINKE unterstützt.

Bei den Kitas, den Trägern, den Kommunen, den Eltern, die ebenfalls die Qualität und einen höheren Personalschlüssel einfordern, herrscht inzwischen Verzweiflung. Alle Untersuchungen zeigen auf, dass Hessen eher im hinteren Feld der Qualitätsentwicklung dümpelt. Welche Erzieherin, welcher Erzieher soll sich darum reißen, in einem Bundesland tätig zu werden, wo die Arbeit nur Stress und Verschleiß verspricht? Wo wollen denn Sie mehr Fachkräfte herbei zaubern?