Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Rede zur aktuelle Stunde zum Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle Stunde (Hessen tritt Antisemitismus entschieden entgegen)

Jan Schalauske
Jan SchalauskeInternationalesAntifaschismus

Rede von Jan Schalauske im Hessischen Landtag am 26. April 2018

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Judenfeindschaft und Antisemitismus haben in Europa eine jahrhundertelange Tradition. Jüdinnen und Juden werden seit mehr als 1500 Jahren als angebliche Verursacher aller möglichen Fehlentwicklungen ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben und ermordet.

Im Mittelalter nahm die antijüdische Politik der katholischen Kirche sogar Züge einer systematischen Verfolgung an.

Im 19. Jahrhundert entstand zeitgleich mit einer beginnenden jüdischen Emanzipation in Europa die politische Ideologie des Antisemitismus, die eine Verfolgung jüdischer Menschen nicht mehr „nur“ wegen ihrer Religion, sondern auch wegen ihrer angeblichen Zugehörigkeit zu einer „jüdischen Rasse“ rechtfertigte.

Dieser Antisemitismus bereitete im 20. Jahrhundert dem deutschen Faschismus den Boden, der den Massenmord an den europäischen Juden staatlich organisierte und industriell durchführte.

Auch heute – mehr als 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus durch die Alliierten – ist der Antisemitismus keineswegs überwunden.

Nach dem ersten Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus von 2011 sind latent antisemitische Einstellungen, also Denkmuster, die sich nicht in Straftaten äußern, in Deutschland „in erheblichem Umfang“ bis „in die Mitte der Gesellschaft“ verankert.

So belegen verschiedene Untersuchungen seit vielen Jahren einen Anteil von 20 Prozent der Bevölkerung mit latent antisemitischen Einstellungen.

Die praktischen Konsequenzen dieses nach wie vor virulenten Antisemitismus lassen sich tagtäglich beobachten: So verzeichneten die Behörden 2016 mehr als 600 antisemitische Straftaten, wie Anfragen der Bundestagsfraktion DIE LINKE ergaben.

Jüdische Einrichtungen in Deutschland müssen auch heute noch von der Polizei geschützt werden und jüdische Friedhöfe werden regelmäßig von Antisemiten geschändet.

Zu den Erkenntnissen des ersten Berichts zählte, dass das rechtsextremistische Lager in Deutschland weiterhin einer der wichtigsten politischen Träger eines manifesten Antisemitismus ist. Rund 90 Prozent aller antisemitischen Straftaten werden von Tätern begangen, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden.

In der aktuellen Debatte bekommt man oftmals den Eindruck, Muslime und Migranten seien Verursacher von Antisemitismus. Aber der zweite Expertenbericht von 2017 warnt ausdrücklich davor, die Bedeutung des Rechtsextremismus zu vernachlässigen oder zu verharmlosen.

Die Fraktion DIE LINKE sieht Antisemitismus als ein Problem der gesamten Gesellschaft an, unabhängig ob Alteingesessene oder neu Hinzugekommene, aus deren Mitte er immer wieder entsteht. Deshalb bedarf es einer nachhaltigen, öffentlichen Thematisierung des Problems Antisemitismus.

Das gilt insbesondere in Zeiten, in denen mit der AfD eine im Bundestag vertretene Partei, die sich anschickt auch in den Hessischen Landtag einzuziehen, davon spricht, die Erinnerungskultur aufzubrechen. Dessen Thüringer Fraktionsvorsitzender Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ein Mahnmal der Schande bezeichnet. Und im Stuttgarter Landtag mit Wolfgang Gedeon ein Vertreter dieser Partei sitzt, der aufgrund seiner antisemitischen Schriften höchstrichterlich als „Holocaust-Leugner“ bezeichnet werden darf. Diesen antisemitischen Tendenzen gilt es entschieden entgegenzutreten!

[Auch ein hessischer AfD-Abgeordneter war einst mit antisemitischen Äußerungen zum Tag der deutschen Einheit aufgefallen, als er von die NS-Propaganda von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung bediente].

Angesichts dieser Bedrohung von rechts ist es mehr als bedauerlich, dass im Deutschen Bundestag auf Betreiben der CDU eine Beteiligung der LINKEN an einem gemeinsamen Antrag gegen Antisemitismus verhindert worden ist.

Für DIE LINKE ist und bleibt die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte und den Ideologien der heutigen extremen Rechten ein entscheidender Punkt im Kampf gegen den Antisemitismus.

Projekte, die sich gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus richten, müssen dauerhaft finanziell abgesichert werden.

Die historischen Erinnerungsorte an den Faschismus müssen erhalten und eine ausreichende finanzielle Ausstattung gesichert werden, um ein pädagogisch betreutes historisches Lernen zu gewährleisten.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte muss gefördert werde. Deshalb hat unsere Fraktion auch die Einrichtung von zwei Holocaust-Professuren in Frankfurt und Gießen ausdrücklich begrüßt.

Es gilt das jüdische Leben in Deutschland und Hessen weiter zu fördern und zu verbreitern. Dazu gehört insbesondere die Unterstützung der entsprechenden kulturellen, akademischen und gesellschaftlichen Einrichtungen.

Antisemitisch motivierte Straftaten müssen konsequent geahndet werden.

Zweifelsohne Hessen muss Antisemitismus entgegentreten! Ebenso wie allen anderen ausgrenzenden menschenfeindlichen Handlungen und Einstellungen!