Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez - Arbeitsverweigerung der Landesregierung bei Landesaufnahmeprogramm

Saadet Sönmez
Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 46. Plenarsitzung am 25. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag über ein hessisches Landesaufnahmeprogramm. Dazu die Rede unserer migrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Jetzt ist schon über ein Jahr vergangen, seit wir hier auf unseren Antrag hin über ein hessisches Landesaufnahmeprogramm debattiert haben. Schon damals war die Situation an den Außengrenzen von Europa, sowohl auf dem Mittelmeer als auch in den Flüchtlingslagern wie z. B. Moria, katastrophal. Das haben wir hier auch in aller Länge und Breite diskutiert und versucht Ihnen aufzuzeigen.

Der Landtag hat am Ende den Beschluss gefasst, dass die Landesregierung ein Landesaufnahmeprogramm für eine Gruppe Schutzsuchender mit hoher Vulnerabilität auflegt. Wir alle haben gesehen: Passiert ist seitdem eben nichts, und weiterhin ertrinken Menschen im Mittelmeer. – Wenn wir von Menschlichkeit und Humanität reden, wollte ich das hier noch einmal erwähnt haben.

Die Landesregierung versteckt sich hinter internen Prüfungen und noch zu treffenden Entscheidungen auf europäischer Ebene und Bundesebene; Herr Burcu hat es heute wieder ausgeführt. Aber das ist nichts anderes als Verzögerungstaktik. Wenn Sie sagen, dass das auf Bundesebene entschieden werden muss, dann müssten Sie jetzt auch einmal agieren und etwas auf den Tisch bringen, damit das Bundesinnenministerium etwas zu entscheiden hat. Aber wenn Sie jetzt nur verzögern und warten, dann kann auch auf Bundesebene nichts geschehen. Wenn Sie wirklich ein Landesaufnahmeprogramm wollten, dann hätten Sie das schon längst gemacht. Sie hätten z. B. eine Aufnahmeanordnung beschließen können, so wie es neben SchleswigHolstein auch Berlin und Thüringen schon getan haben.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren der Landesregierung, Herr Tipi, ich möchte Sie trotzdem an Ihren Koalitionsvertrag erinnern. Darin steht wörtlich:

Wir wollen ein Landesaufnahmeprogramm für eine Gruppe Schutzsuchender mit hoher Vulnerabilität auflegen und orientieren uns hier an den Programmen anderer Bundesländer.

Dann mal los, meine Damen und Herren. Jetzt haben Sie auch Möglichkeiten. Sie können sich jetzt an Berlin und Thüringen orientieren. Jetzt gibt es nichts mehr, was Ihnen im Weg steht.

(Beifall DIE LINKE)

Es ist gesetzlich vorgesehen, dass zur Umsetzung eines Landesaufnahmeprogramms der Bundesinnenminister sein Einvernehmen erteilen muss. Aber, wie gesagt, umso wichtiger ist es, jetzt ein solches Programm zu beschließen, um deutlich zu machen: Wir verzögern nicht länger, wir halten die Menschen nicht länger hin, und wir lassen die Menschen nicht im Stich.

Wie gesagt, Sie können es machen – machen Sie es. Solange Sie das nicht gemacht haben, gibt es im Bundesinnenministerium auch nichts zu entscheiden, meine Damen und Herren. – Da gibt es auch nichts zu lachen, Herr Burcu.

Stattdessen werden aber Feigenblattprojekte aufgelegt. Ich meine, wie zynisch war doch diese Aktion im April, bei der mit großem Tamtam gerade mal 47 Kinder aus griechischen Lagern aufgenommen wurden.

(Robert Lambrou (AfD): Das waren keine Kinder, das waren fast schon Erwachsene!)

  • Darauf lasse ich mich jetzt nicht ein. Es waren 47 Kin-der – –

(Robert Lambrou (AfD): Das ist belegbar, da gibt es keine Kinder!)

  • Auch wenn es keine Kinder waren: Es waren Menschen,die Hilfe suchten. Von daher tut das auch nichts zur Sache. – Es waren 47 Kinder aus griechischen Lagern, die wurden aufgenommen.

(Jan Schalauske (DIE LINKE): Die brauchen keine Hilfe, Herr Lambrou? Erst zuhören! – Robert Lambrou (AfD): Kinder waren es nicht!)

47 Kinder, das ist angesichts der fast 40.000 Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln, angesichts der fast 80 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht und vor allem – –

(Zuruf AfD: Das ist Schwindel!)

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Bitte lassen Sie die Kollegin ausführen.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Das ist angesichts der fast 80 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, vor allem aber auch angesichts der Mitverantwortung Deutschlands für die Fluchtursachen, die hier auch angesprochen wurden, wie z. B. Waffenexporte, Umweltzerstörung, Ausbeutung des globalen Südens mit Freihandelsabkommen, noch nicht einmal ein

Tropfen auf den heißen Stein, meine Damen und Herren, wenn Sie 47 Kinder aufnehmen.

Als dann aber auch noch ans Licht kam, dass viele dieser Kinder sowieso enge Verwandte in Deutschland hatten und damit eigentlich einen Anspruch auf Einreise wegen Familienzusammenführung hatten, wurde schnell klar, dass das wohl mehr eine PR-Aktion war

(Beifall DIE LINKE)

und es nicht wirklich darum ging, Verantwortung für diese Menschen zu übernehmen – auch wenn es für diese 47 Kinder gut war, dass sie aufgenommen wurden.

Auch die Landesregierung hat jüngst per Presseerklärung bekannt gegeben – es wurde hier auch erwähnt –, dem Bund mitgeteilt zu haben, weitere 100 unbegleitete Minderjährige aufnehmen zu wollen. Gestern auf der Demo haben wir gehört, dass allein Marburg sich bereit erklärt hat, 200 Menschen aufzunehmen; und alle weiteren Kommunen kommen noch hinzu, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Sönmez, kommen Sie bitte zum Schluss.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Sie heucheln hier Aufnahmebereitschaft, schieben den Schwarzen Peter aber immer wieder auf den Bund und versuchen, sich so um die Landesaufnahmeanordnung herumzumogeln. Meine Damen und Herren, damit kommen Sie aber nicht durch. Das haben gestern die Demonstrantinnen und Demonstranten hier auf dem Dernschen Gelände auch gesagt. Sie kommen damit nicht durch, das nimmt man Ihnen nicht mehr ab.

(Beifall DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, ich würde Ihnen vorschlagen: Handeln Sie endlich, lassen Sie jetzt Ihren Worten wirklich auch Taten folgen. Dann kann man Sie auch daran messen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)