Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez - #blacklivesmatter: Rassismus in allen Teilen der Gesellschaft bekämpfen

Saadet Sönmez
Saadet SönmezAntifaschismusMigration und Integration

In seiner 46. Plenarsitzung am 25. Juni diskutierte der Hessische Landtag auf unseren Antrag hin über die Black-Lives-Matter-Proteste. Dazu die Rede unserer integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez:

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Seit Wochen gehen auch in Deutschland Menschen auf die Straße und demonstrieren mit dem Slogan „Black lives matter“ gegen Rassismus und fordern einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft ein. Das ist auch gut und wichtig.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wir wissen alle, Rassismus tötet. Wir müssen an die Wurzeln des Rassismus gehen, doch diese liegen nun einmal tiefer. Ich möchte mit einem Zitat fortfahren:

Im Unterschied zu den Arbeitnehmern hier im Ruhrgebiet kommen die in Rumänien eben nicht morgens um sieben zur ersten Schicht und bleiben bis zum Schluss da, sondern sie kommen und gehen, wann sie wollen, und sie wissen nicht, was sie tun.

Eigentlich möchte man meinen, dass solche Aussagen nicht dem Munde eines etablierten Politikers einer demokratischen, ja, gar staatstragenden Partei entstammen könnten. Doch, weit gefehlt, es war Jürgen Rüttgers, damals Ministerpräsident von NRW, der mit diesen Worten seinem Ärger über Nokia vermeintlich Luft gemacht hat.

Genau dies ist eine der grundlegendsten Ursachen des strukturellen Rassismus, die unzweifelhaft angegangen werden müssen. Wie kann es sein, dass man sich rassistischer Argumente bedient, also die „faulen und unwissenden Rumänen“, um in den Augen eines Konzern investitionswürdig zu bleiben? Das kann es irgendwie nicht sein.

Es wird aber auch deutlich, dass der Rassismus in unserer Gesellschaft nicht nur ein Problem der Extremisten ist, sondern mitten unter uns, ja, sogar aus der politischen Mitte kommt. Immer wieder wurde und wird gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit aufgebaut, um hieraus politisches Kapital zu schlagen.

Ich glaube, man muss nicht an Sprüche erinnern wie: „Kinder statt Inder“, „Migration ist die Mutter aller Probleme“. Daran muss man nicht erinnern, das ist alles noch in unseren Köpfen.

Wir beklagen uns, dass rassistische, antisemitische, antiziganistische und sexistische Aussagen wieder salonfähig geworden seien, dass diese jetzt sogar in die Parlamente Einzug gehalten hätten. Aber eines kann ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Nicht erst seit der AfD wird rassistischen Tendenzen in der Gesellschaft Gehör geschenkt. Die erledigen jetzt nur die Drecksarbeit.

(Beifall DIE LINKE – Robert Lambrou (AfD): Wir sind nicht rassistisch!)

Wenn die „Welt am Sonntag“ 2006 vom Sich-Rüsten für den Kampf der Kulturen spricht, dann darf man sich nicht wundern, dass Worten irgendwann auch Taten von anderer Seite folgen. Allein im Jahr 2019 sind 1.347 Menschen in Deutschland Opfer rassistischer Gewalt geworden, und es nimmt kein Ende, wie wir alle wissen.

Es wurde und wird von Gettos und Parallelgesellschaften gesprochen. Dass aber Vermieter mit einer offen rassistischen Vermietungspraxis ganz gehörig zur Gettoisierung beitragen, das wird gerne unterthematisiert oder gar verschwiegen.

Es wird von mangelnden Sprachkenntnissen und mangelnder Bildung von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen. Dass das Bildungs- und Ausbildungssystem und die Einstellungspraxis von Unternehmen einen stark negativen Selektionsdruck bezüglich Menschen mit Migrationshintergrund ausüben und damit eine strukturelle Benachteiligung entsteht, das wird anerkannt. Aber dabei bleibt es auch. Was folgt, sind mitfühlende Empörung, Lippenbekenntnisse und Appelle. Wenn der Empörung aber Genüge getan wurde: Themawechsel, Thema abgehakt.

Meine Damen und Herren, statt die Ursachen für die soziale Ungleichheit zu bekämpfen, die der eigentliche Grund für die gravierenden Bildungsunterschiede sind, wird Symbolpolitik betrieben: hier ein kleiner Sprachkurs, dort ein paar in der Höhe belanglose Bildungsgutscheine, fertig, Thema abgehakt.

Diese soziale Ungleichheit benachteiligt aber nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund. Nein, sie ist auch der fruchtbarste Boden, auf dem Rassismus und diskriminierende Verhaltensmuster gedeihen können.

Der gesellschaftliche Stresspegel wird mit jeder Krise, ob nun ökonomisch oder virenbedingt, immer weiter gehoben und der soziale Friede bis zum Zerreißen strapaziert. Wenn wir also nicht anerkennen, dass dem Rassismus der soziale Verwerfungen gebärende neoliberale Kapitalismus zugrunde liegt,

(Zuruf Robert Lambrou (AfD))

wird keine Empörung, die auch von Ihrer Seite kommt, und keine Solidaritätsbekundung ausreichen, um Diskriminierung und Ausgrenzung wirksam zu bekämpfen.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren, der soziale Friede ist nur noch mit einer demokratischen Wirtschaft und Politik sowohl innerhalb auch zwischen den Gesellschaften zu retten oder gar wiederherzustellen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)