Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez - DIE LINKE kritisiert Staatsvertrag zur Erleichterung von Abschiebungen

Saadet Sönmez
Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 41. Plenarsitzung am 27. Mai 2020 diskutierte der Hessische Landtag über einen Staatsvertrag zwischen mehreren Bundesländern, der Abschiebungen in Zukunft erleichtern soll. Dazu die Rede unserer migrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

In unserer letzten Debatte über diesen Gesetzentwurf habe ich versucht, auszuführen, warum wir diesen Staatsvertrag ablehnen. Eigentlich ist es ganz klar: Einen Staatsvertrag, der Abschiebungen erleichtern soll, lehnen wir ab, weil wir Abschiebungen generell ablehnen. So einfach ist das.

(Beifall DIE LINKE)

Vonseiten des Hauses wurde mir vorgeworfen, ich hätte damit am Thema vorbeigeredet. Ich weiß, dass das heute auch wieder geschehen wird. Aber auch auf diese Gefahr hin sage ich: Es gibt einige Punkte, die man ansprechen muss und nicht oft genug ansprechen kann.

Wenn die Landesregierung vorhat, Abschiebungen zu erleichtern, muss sie sich natürlich auch mit dem Thema Abschiebung an und für sich auseinandersetzen. Ich weiß gar nicht, was Sie wollen; ich weiß gar nicht, was für ein Problem Sie damit haben.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

  • Darauf gehe ich auch noch ein, keine Sorge. – Dann wirdaber immer auf geltendes Recht und auf das Gesetz verwiesen. Aber wenn Recht und Gesetz zu Unrecht führen, gilt es eben, dieses Gesetz zu verändern. Ich denke, unter anderem dafür sind wir alle hier. Das ist der Fall, wenn es um Abschiebungen geht. Ich denke, deshalb sollten wir die Abschiebungen generell thematisieren.

(Zuruf: Aber nicht jetzt!)

  • Doch, auch jetzt. – Jede Gelegenheit muss genutzt wer-den, um zu debattieren. Wir sind da übrigens nicht alleine, auch nicht im Hinblick darauf, dass genau im Zusammenhang mit diesem Thema darüber diskutiert werden soll. Die Flüchtlingsräte kritisieren Ihre Politik der Abschiebung und auch diesen Staatsvertrag nämlich vehement.

Wenn Sie in der Debatte nur die Menschen, die die Maßnahmen durchführen sollen, im Blick haben – wie es in der letzten Debatte der Fall war –, diejenigen aber, die von den Maßnahmen betroffen sind, komplett außer Acht lassen, zeigt das einmal mehr, wie wichtig es ist, auch diese Perspektive in die Debatte einzubringen. Meine Damen und Herren, nichts anderes haben wir getan, und auch heute tun wir nichts anderes.

(Beifall DIE LINKE)

Der Herr Innenminister hat beim letzten Mal ausgeführt, im Staatsvertrag gehe es lediglich um den Transport ausreisepflichtiger Personen über Landesgrenzen hinweg.

(Zurufe)

Es geht aber nicht um Transportgüter – wenn Sie schon sagen: „So ist es!“ –, sondern es geht um Menschen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass hinter den Abschiebungen keine abstrakten Fallnummern stehen, sondern Menschen mit einem Leben und mit einer Geschichte.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe – Glockenzeichen)

  • Ich will Ihnen das nur noch einmal vor Augen führen. –Aktuell soll beispielsweise ein 22-jähriger Pflegehelfer aus Bad Segeberg, Schleswig-Holstein, abgeschoben werden, der seit seinem 15. Lebensjahr in Deutschland lebt.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

  • Sehr wohl hat das etwas damit zu tun; denn mit diesemStaatsvertrag soll erleichtert werden, dass diese Menschen abgeschoben und länderübergreifend begleitet werden. Sehr wohl hat das etwas mit diesen Menschen zu tun. Um die geht es nämlich hier. Die Geschichte dieser Menschen will ich Ihnen hier aufzeigen, damit Sie sehen, was Sie mit Ihrem Staatsvertrag und Ihrer Politik eigentlich anrichten.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

  • Ja, ja, darauf bin ich eingegangen: Recht und Gesetz. DieGerichte haben das entschieden. Das ist aber ein Gesetz, das im Parlament verabschiedet wird. Sie sind dafür da, um diese Gesetze zu verändern.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist der Rechtsstaat!)

  • Eben. Die Gerichte entscheiden nach Gesetzen, wie mei-ne Kollegin gesagt hat, und es sind Sie, die diese Gesetze hier verabschieden. – Der 22-jährige junge Mensch, der gern eine Pflegeausbildung machen will, kann das nicht. Der Arbeitgeber würde es sogar befürworten, aber es geht nicht, weil dieser junge Mensch aus Gründen, die er nicht zu verantworten hat, seine Identität nicht nachweisen kann.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

  • Hören Sie auf, die Hand zu schütteln; hören Sie lieber zu.Wie gesagt, es geht um Menschen. Ich sage es Ihnen vielleicht noch einmal.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

  • Doch. Ich habe Ihnen auch schon erzählt, warum das et-was mit Ihrem Staatsvertrag zu tun hat. Aber wenn Sie sich jetzt nicht mehr konzentrieren können, kann ich auch nichts dafür. Dann seien Sie wenigstens ruhig.

Der Mensch, der abgeschoben werden soll, muss in seinem Heimatland den Kriegsdienst antreten, obwohl er gegen den Kriegsdienst ist und ihn verweigern würde. Aber er muss ihn entweder antreten oder ins Gefängnis gehen. Da würde ich mir einmal die Frage stellen: Was ist mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit dieser Menschen?

Ein weiteres Beispiel – auch wenn Sie es nicht hören wollen –: Eine 57-jährige Kurdin aus dem Irak, die seit 24 Jahren mit ihrer ganzen Familie in Nürnberg lebt, soll ohne ihren Ehemann, ihre Kinder und – mittlerweile – ihre Enkelkinder ihr Leben in Iran weiterführen. Auch sie hat einen festen Arbeitsvertrag. Sie hat einen Sprach- und Integrationskurs erfolgreich absolviert, in der Hoffnung, eingebürgert zu werden. Stattdessen soll sie jetzt abgeschoben werden.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

  • Nein, diese Fälle haben wir hier noch nicht aufgeführt,und Sie kümmern sich nicht darum. Also kennen Sie diese Fälle auch noch nicht.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Drei Altenpfleger iranischer Herkunft, ebenfalls sehr gut integriert, leisten einen sehr wichtigen Beitrag für die Gesellschaft in Zeiten des Pflegenotstands und in Zeiten der Pandemie. Auch sie sollen abgeschoben werden. Übrigens sind das alles Menschen aus unserer Mitte. Es sind keine Fremden, so, wie wir es in den Tagen seit den Hanauer Attentaten immer wieder zu hören bekommen. Es sind Menschen aus unserer Mitte, die ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten. Das sind nur einige wenige Beispiele von Menschen, die durch die Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen seitens der Bundesrepublik zur Abschiebung gebracht werden sollen.

Im Klartext heißt das, dass sie gegen ihren Willen an einen anderen Ort verbracht werden sollen. Ich wollte das nur einmal in Erinnerung rufen, weil das in dieser Debatte vor lauter „Optimierung von Maßnahmen“ und „Vermeidung von Zuständigkeitslücken“ eindeutig zu kurz kommt, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Aber jetzt kam der Einwand, ich hätte in meiner letzten Rede die Polizeibeamtinnen und -beamten nicht beachtet. Auch dazu sage ich gern etwas. Natürlich ist es so, dass diese von den Maßnahmen betroffen sind. Das ist klar. In der letzten Debatte wurde von zwei ehemaligen Polizeibeamten ausgeführt, dass Abschiebungen auch für die Polizeivollzugsbediensteten sehr belastend und spannungsgeladen seien. Oder Sie, Frau Faeser, haben dies gesagt. Ich meine, das ist natürlich nachvollziehbar; und es ist kein Wunder; denn, wenn man Menschen aus ihrem Leben reißt und gegen ihren Willen an einen anderen Ort bringt, dann ist doch klar, dass dies hoch emotional wird. Das ist verständlich.

Sie sind der Wut, der Empörung und der Trauer ausgesetzt. Damit werden sie konfrontiert; dennoch müssen sie diese Maßnahmen durchführen. Deshalb ist es für mich umso unverständlicher, dass Sie dafür innerhalb Hessens schon jetzt Wachpolizisten einsetzen – Wachpolizisten, die gerade einmal eine 18-wöchige Ausbildung genossen haben. Herr Hering von der CDU sprach in der letzten Debatte davon, Wachpolizisten seien sogenannte „empathische Spezialisten“. Herr Hering, ich denke, diese Feststellung kommt wohl eher aus dem Bereich Ihres Wunschdenkens als aus der Praxis. Es tut mir leid, wenn ich Ihnen das so sagen muss.

(Zuruf Thomas Hering (CDU))

Ich verstehe ja, dass Sie alle eine Entlastung des Polizeivollzugsdiensts herbeiführen möchten. Aber dann müssten Sie sich besser für gute Arbeitsbedingungen und eine gute Arbeitsatmosphäre bei der Polizei einsetzen, sodass der Beruf für mehr Menschen attraktiv wird; und Sie dürften die Arbeit, die eigentlich von der Polizei zu verrichten wäre, nicht den Wachpolizisten unter schönen Worten zuschieben.

(Beifall DIE LINKE)

Nun wollen Sie die Wachpolizisten nicht nur innerhalb Hessens, sondern auch über die Landesgrenzen hinweg für Abschiebungen einsetzen und schreiben dies zum Zwecke der Rechtssicherheit in diesen Staatsvertrag. Meine Damen und Herren, ja, Menschen brauchen in der Tat Rechtssicherheit. Auch dazu wäre ein Perspektivwechsel wünschenswert gewesen, wenn wir schon über diesen Staatsvertrag debattieren. Was glauben Sie denn, wie viel Rechtsunsicherheit unter den Betroffenen und ihren Familien in den vergangenen Wochen vorherrschte angesichts der völlig unklaren Lage aufgrund der Pandemie?

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Sönmez, kommen Sie bitte zum Schluss. Die von den Fraktionen vereinbarte Redezeit ist abgelaufen.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Viele von diesen Flügen wurden zwar storniert, aber noch immer ist es so, dass Menschen, die in Abschiebehaft saßen, zwar umverteilt wurden, aber eben noch immer voller Ungewissheit in Haft sitzen und nicht wissen, was mit ihnen passiert und ob sie womöglich in ein Land abgeschoben werden, wo keine Sicherheit für ihren Leib und ihr Leben besteht. Man hätte sich wünschen können, dass sich auch die Landesregierung ein bisschen mehr um Rechtssicherheit sorgt. Das hätten Sie tun können, indem Sie zumindest einen mehrmonatigen Abschiebestopp erlassen. Wenn Ihnen Rechtssicherheit also so wichtig ist, wie es jetzt offensichtlich beim Staatsvertrag der Fall ist, dann hätten Sie einmal über solch einen Abschiebestopp nachdenken können, nachdem Sie diesen Staatsvertrag jetzt im Landtag „durchbringen“ werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)