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Rede

Saadet Sönmez - Keine Kapazitäten für Einbürgerung, aber für Abschiebung?!

Saadet Sönmez
Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 66. Plenarsitzung am 4. Februar 2021 diskutierte der Hessische Landtag auf unseren Antrag hin über die Ausweitung der Kapazitäten im Abschiebeknast in Darmstadt. Dazu die Rede unserer migrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Seit nunmehr fast einem Jahr befinden wir uns im Ausnahmezustand. Die Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben ist natürlich auch für die Angestellten in der Verwaltung sehr kräftezehrend. Sie mussten neue Aufgaben übernehmen und arbeiten seit fast einem Jahr an ihrem Limit. Dafür gebührt ihnen allen natürlich unser Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Dennoch kann man für einige Maßnahmen überhaupt kein Verständnis aufbringen. Es darf und kann nicht sein, dass die Einbürgerung faktisch unmöglich geworden ist. Laut Presseberichten hat das Regierungspräsidium Darmstadt die untergeordneten Behörden darauf hingewiesen, dass Neuanträge von Einbürgerungsbewerbern zurzeit wegen Sonderaufgaben nicht bearbeitet werden können, und zwar schätzungsweise bis Juni 2021.

Auf der Website der Stadt Darmstadt hieß es gar, die Wartezeit auf einen Termin bei der Staatsangehörigkeitsstelle, also zur Beratung und Antragsabgabe, betrage zwölf Monate. – Meine Damen und Herren, zwölf Monate. Ich meine, das ist ein absolut unhaltbarer Zustand. Dem muss entgegengewirkt werden. Das kann so nicht bleiben.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Um hier dem Vorwurf der Respektlosigkeit gegenüber den Angestellten vorzugreifen: Das ist natürlich kein Angriff auf die Angestellten in den Verwaltungen, sondern es ist eine Frage, wie man die Menschen in den Verwaltungen einsetzt und wo man die Prioritäten setzt. Das will ich hier nur noch einmal erwähnt haben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Fast jeder sechste Hesse hat keinen deutschen Pass. Diejenigen, die nicht EU-Bürger sind, dürfen auch bei den nächsten anstehenden Kommunalwahlen nicht wählen, und Einbürgerungen werden parallel dazu – –

(Christiane Böhm (DIE LINKE): Sie dürfen noch nicht einmal kandidieren!)

– Bitte? Oder nicht kandidieren, genau. Sie dürfen sich nicht zur Wahl stellen und können auch nicht wählen. – Einbürgerungen werden parallel dazu geradezu verhindert, muss man sagen.

Meine Damen und Herren, ich meine, das ist ein Demokratieproblem und ein integrationspolitisch derber Schlag in die Gesichter der Menschen, die weiterhin von politischer Teilhabe und Mitbestimmung ausgeschlossen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Missstände darf man nicht auf Corona schieben. Es ist eine Frage der Prioritätensetzung, was man aussetzt und was man weiter ermöglicht. Denn die gleiche Abteilung, die im Regierungspräsidium Darmstadt für Einbürgerungen zuständig ist, ist auch für Rückführungen, also für Abschiebungen, zuständig. Während die Bekämpfung der Pandemie wichtiger ist als die Einbürgerung, sind Abschiebungen offenbar wichtiger als die Pandemiebekämpfung. Meine Damen und Herren, diese Prioritätensetzung der Landesregierung lässt tief blicken in Ihre Migrationspolitik.

(Beifall DIE LINKE)

Regelmäßig wird in Länder abgeschoben, in denen die Menschen großen Gefahren ausgesetzt sind durch Bürgerkriege, durch Terrorismus sowie eine katastrophale Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung. Vernünftigerweise waren im ersten Lockdown die Abschiebungen ausgesetzt, und der Abschiebeknast war somit leer.

Doch von dieser Vernunft ist nichts mehr zu spüren. Es heißt wieder: Abschieben um jeden Preis. Hessen will sogar noch mehr abschieben und vervierfacht hierfür die Kapazitäten des Abschiebeknasts mit Investitionen in Millionenhöhe, die anderweitig viel vernünftiger eingesetzt wären, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Innenminister Beuth erklärte dazu Anfang der Woche, es gehe darum, eine gesetzliche Verpflichtung zur Ausreise und geltendes Recht umzusetzen.

(Demonstrativer Beifall Alexander Bauer (CDU))

– Sie können gerne weiter zuhören, bevor Sie klatschen. Im Anschluss an diese Ausführungen können Sie gerne klatschen.

Es ist mitnichten so, dass alle Inhaftierungen im Abschiebeknast rechtmäßig sind oder waren. Spätestens seit Ihrer Beantwortung unserer Anfrage zum Abschiebeknast wissen wir: Jede 13. Person war zu Unrecht inhaftiert, und das waren, wohlgemerkt, nur diejenigen, die klagen konnten. Die Dunkelziffer dürfte mit Sicherheit weit höher liegen; denn es hat nicht jeder die Möglichkeit, zu klagen.

(Zuruf Alexander Bauer (CDU))

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abg. Sönmez, Ihre Ausführungen müssten jetzt zum Ende kommen.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Ob die Entscheidungspraxis des BAMF so viel mit geltendem Recht zu tun hat, kann man in dieser Beziehung auch gut bezweifeln.

(Zuruf Alexander Bauer (CDU))

Meine Damen und Herren, noch eine grundsätzliche Anmerkung – letzter Satz, Frau Präsidentin –: Es gibt ein Recht auf Asyl. Ja, das stimmt. Doch in den letzten Jahren gab es so viele Gesetzesänderungen, speziell vorangetrieben von der CDU, dass das Recht fast nur noch auf dem Papier existiert.

(Zurufe Alexander Bauer (CDU) und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, viele kommen erst gar nicht zu ihrem Recht, weil sie an der Festung Europa scheitern oder im Mittelmeer ertrinken. Das ist geltendes Recht, und es ist Unrecht. Der Abschiebeknast ist Teil dieses Unrechts. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)