Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez - Landesaufnahmegesetz: Schwarzgrüne Landesregierung verhält sich arrogant

Saadet Sönmez
Saadet SönmezMigration und Integration

In seiner 55. Plenarsitzung am 1. Oktober 2020 diskutierte der Hessische Landtag über das Landesaufnahmegesetz der Landesregierung. Dazu die Rede unserer migrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, vor allem sehr geehrte Damen und Herren der Landesregierung!

Das ist wieder einmal typisch für Sie: Wir machen eine Anhörung. Wir laden Menschen dazu ein. Wir fordern sie auf, schriftliche Stellungnahmen einzureichen. Im Nachhinein ist festzustellen, dass die abgegebenen Stellungnahmen voll und ganz ignoriert werden und man überhaupt nicht darauf eingeht, abgesehen von einer Stellungnahme, die aber einem selbst zuspielt.

(Beifall DIE LINKE)

Ihr Gesetzentwurf wurde kritisiert, weil er das Problem der überhöhten Gebühren eben nicht löst, Herr Burcu. Der Gesetzentwurf wurde kritisiert, weil er trotz jahrzehntelang vorgetragener Kritik immer noch keine Mindeststandards für die Unterbringung vorsieht. Der Gesetzentwurf wurde außerdem kritisiert, weil dieser den Betroffenen keine subjektiven Rechte einräumt, sondern sie weiterhin zu Objekten degradiert. Das sollte man spätestens jetzt unterlassen; denn das ist menschenunwürdig.

(Beifall DIE LINKE)

Wenn man schon Anzuhörende einlädt, dann sollte man diese Anzuhörenden auch ernst nehmen. Wir haben die Anzuhörenden ernst genommen und haben deshalb einen Änderungsantrag zu Ihrem Gesetzentwurf erarbeitet. Unser Antrag bietet Lösungen für die benannten Probleme und greift Vorschläge auf, die im Rahmen der Anhörung vorgetragen sind.

Flüchtlingshelfer weisen seit Jahren auf die völlig überteuerten Gebühren in Gemeinschaftsunterkünften hin. Es war ein erschreckendes Beispiel darunter, das ich hier anführen möchte. Eine Familie bezahlte für eineinhalb Zimmer 1.700 € Miete. Ich denke, da muss man eine Deckelung in Aussicht stellen. Es reicht nicht, dafür allein die Kommunen in die Verantwortung zu nehmen, wie es von Herrn Tipi gefordert wurde. Dann bleiben die Kommunen auf den Kosten sitzen. Also muss das Land Vorgaben machen und den Kommunen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie ihre Kosten decken können. Man kann das nicht einfach im Sinne der Flexibilität den Kommunen überlassen. Das kann man so nicht machen. So geht das nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Die Anhörung hat gezeigt, dass die Menschen mitnichten vor Wuchermieten geschützt werden. Sie haben versucht, das in der Öffentlichkeit als eine große Errungenschaft darzustellen. Die Antwort folgte auf dem Fuße. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege hat Ihnen vehement widersprochen. Herr Burcu, die Liga hat klargestellt, dass Ihr Gesetz keineswegs eine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung für geflüchtete Menschen mit sich bringt und auch nichts an den Wuchermieten ändert.

(Taylan Burcu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat sich in der Anhörung aber anders angehört!)

Die Deckelung sollte von der Landesebene aus an die Kommunen weitergegeben werden. Wir halten es für sinnvoll, dass die Gebühr in der Verordnung des Landes auf 194 € pro Person gedeckelt wird. Das halten wir für einen fairen Kompromiss. Bei Familien sollte man das aber natürlich anders berechnen.

Die Mindeststandards wurden hier schon erwähnt. Es ist schon heftig, wie gleichgültig Sie auf die Forderung nach Mindeststandards reagiert haben. Das sind natürlich keine Allheilmittel; das stimmt. Wenn Menschen fünf Jahre lang in einer Gemeinschaftsunterkunft verweilen müssen, weil sie in keine Wohnung ziehen können, obwohl sie das eigentlich tun könnten – in diesem Fall ist eine Festlegung von Mindeststandards auf Landesebene kein Allheilmittel, weil die Menschen Wohnungen brauchen, weil sie in Wohnungen verbracht werden müssen, um endlich ein normales Leben beginnen zu können. Insofern ist schon klar, dass das kein Allheilmittel ist.

Genau das hat Frau Niebch Ihnen in der Anhörung gesagt. Genau das war es. Sie hat aber nicht gesagt, dass Mindeststandards kein Allheilmittel seien. In dem Sinne, wie Sie es vorhin dargestellt haben, hat sie es nicht gesagt, Herr Burcu. Das möchte ich hier noch einmal klarstellen.

(Beifall DIE LINKE)

Es wurde klar, wie notwendig Mindeststandards sind, insbesondere in Zeiten verstärkter Hygieneregeln und des Homeschooling. Es ist klar, dass Mindeststandards vorgegeben werden müssen, damit die Kommunen gezwungen sind, diese Mindeststandards einzuhalten.

Im Prinzip wären Sie als Land verpflichtet – das steht explizit im Asylgesetz des Bundes –, geeignete Maßnahmen zu treffen, um bei der Unterbringung Asylbegehrender in Gemeinschaftsunterkünften den Schutz von Frauen und schutzbedürftigen Personen zu gewährleisten. Wohlgemerkt: Es sind die Länder, die dazu verpflichtet sind, nicht die Landkreise. Sie von der CDU und den GRÜNEN versuchen immer, diese Verpflichtung auf die Landkreise abzuschieben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wie sich das Leben in hessischen Flüchtlingsunterkünften anfühlt, wurde uns sehr anschaulich und eindrücklich von Frau Rashid geschildert, die zwei Jahren in der Unterkunft Bonames in Frankfurt gelebt hat. Sie alle können das gerne im Protokoll nachlesen, wenn Sie es nicht richtig mitbekommen haben. Es war für mich beschämend, zu hören, dass in hessischen Flüchtlingsunterkünften so menschenunwürdige Zustände und eine so menschenunwürdige Form des Umgangs vorherrschen.

(Taylan Burcu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sind die Mindeststandards!)

– Auf Ihre Mindeststandards gehe ich auch noch ein.

(Beifall DIE LINKE)

Das darf nicht fortgeführt werden. Das darf so nicht sein. Dabei sind Mindeststandards ein Mittel von vielen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN.

Es muss unser aller Aufgabe sein – das wurde Frau Rashid in der Anhörung von mehreren Abgeordneten versprochen –, die Zustände zu ändern, die in den hessischen Flüchtlingsunterkünften herrschen.

Herr Burcu und Herr Bocklet haben gesagt, dass die Stadt Frankfurt eigentlich Mindeststandards festgelegt habe, die aber in der Unterkunft Bonames nicht eingehalten wurden, keine Wirkung hatten. Daraus zogen beide Herren den Schluss, dass Mindeststandards, die das Land formuliert, ebenfalls nichts bringen würden. Hier stellt sich mir die Frage, Herr Burcu: Ist das eigentlich ein Ergebnis Ihrer Unwissenheit, oder ist das purer Zynismus? Anscheinend wissen Sie nicht, dass Ihr grüner Minister als Leiter der Fachaufsichtsbehörde, des Ministeriums, für Frankfurt – damit auch für Bonames – und für Wiesbaden zuständig ist? Wenn Sie jetzt sagen, Frankfurt habe zwar Mindeststandards vorgegeben, das habe aber nicht funktioniert, dann ist das trotzdem ein Versagen des grün geführten Ministeriums, weil es die Fachaufsicht über die Einrichtungen in Frankfurt hat.

(Zuruf Taylan Burcu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das grün geführte Ministerium ist zuständig und trägt die Verantwortung, weil es die Fachaufsichtsbehörde ist. Diese Aufsicht wurde offenbar nicht wahrgenommen.

(Zuruf Felix Martin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

In dem Sinne haben Sie natürlich recht: Wenn Sie Mindeststandards einführen,

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin, Sie müssten zum Ende kommen.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

aber nicht überprüfen, ob sie auch eingehalten werden, dann bringen Mindeststandards wirklich nichts.

Bezüglich der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften wurde schon erwähnt, dass Hessen im Vergleich unter den Ländern den vorletzten oder gar den letzten Platz einnimmt. Das verdeutlicht uns noch einmal, dass wir mehr Wohnraum in Hessen brauchen, vor allem in den Ballungsgebieten. Daher brauchen wir eine Wohnraumoffensive. Das würde übrigens auch anderen Teilen der Bevölkerung zugutekommen.

In diesem Sinne gebe ich Ihnen die letzte Gelegenheit, Ihren Gesetzentwurf zu überarbeiten, und beantrage ebenfalls die dritte Lesung.

(Beifall DIE LINKE)