Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez: Schöne Worte und Freiwilligkeit reichen nicht aus im Kampf gegen Diskriminierung

Saadet SönmezFrauenInnenpolitikKulturMigration und IntegrationWirtschaft und Arbeit

In seiner 84. Plenarsitzung am 30. September 2021 debattierte der Hessische Landtag zur Aktuellen Stunde der FDP mit dem Titel "Mehr Vielfalt jetzt: Kulturwandel und Gleichstellung in der Arbeitswelt vorantreiben". Dazu die Rede von Saadet Sönmez.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, eines kann man so nicht stehen lassen. Hier hat ein AfD-Mitglied behauptet, er handele und argumentiere im Sinne der Betroffenen. Er hat dann gesagt, dass die Betroffenen gar keine Sonderbehandlung haben möchten, das sei realitätsfern.

Ich glaube, dass Sie da sehr realitätsfern sind. Die Betroffenen haben schon eine Sonderstellung. Wenn ein Mensch mit vermeintlich migrantisch klingendem Namen ca. 30 bis 50 Bewerbungen losschicken muss, damit er überhaupt eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommt, dann ist das schon eine Sonderstellung. Genau diese Sonderstellung gilt es aufzuheben. Genau deshalb sind Konzepte wie Diversity oder auch Regelungen mit Quoten usw. so wichtig. Aber das geht an Ihnen vorbei.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt Freie Demokraten)

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Sönmez, lassen Sie eine Frage des Herrn Abg. Lichert zu?

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Nein. – Zurück zum Antrag der FDP. Wie gesagt, das ist unstrittig: Es bedarf eines Kulturwandels und einer Gleichstellung in der Arbeitswelt. Ich glaube, da sind wir uns alle einig, außer hier rechts außen.

Deutschland hat nach wie vor im internationalen Vergleich ein besonders großes Gender Pay Gap. Ich glaube, das liegt auch offen auf der Hand. Neben Frauen sind aber auch Migrantinnen und Migranten besonders betroffen. Sie haben die unterbezahlten Jobs.

Einen wirksamen und lückenlosen Schutz gegen die Diskriminierung aufgrund von Rassismus, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit, Altersdiskriminierung oder Homo- und Transfeindlichkeit gibt es nach wie vor noch nicht wirklich. Es ist also tatsächlich höchste Zeit, Abhilfe zu schaffen und wirksame Maßnahmen umzusetzen. So weit, so gut.

Deshalb freut es uns natürlich, dass sich die FDP-Fraktion der Sache annehmen möchte. Allerdings ist der Antrag tatsächlich etwas vage formuliert. Ich hatte gehofft, dass Frau Knell mit ihren mündlichen Ausführungen noch einmal ein bisschen für Aufklärung sorgt. Leider konnte ich da aber nichts erkennen.

Die FDP sagt, bei diesem Missstand Abhilfe schaffen zu wollen, indem sie ein ganzheitliches Diversity Management auf den Weg bringen möchte. Was sich aber genau hinter diesem Begriff verbirgt, bleibt noch immer vage. Es geht wohl um eine Änderung der Unternehmenskultur und um Wertschätzung von Vielfalt – aber darüber sind wir uns alle einig. Sie haben jetzt lange und ausgiebig erklärt, wie die Situation ist. Aber wie Sie tatsächlich vorgehen wollen, um dort Abhilfe zu schaffen, konnte zumindest ich nicht erkennen.

Aus dem Antrag und Ihren Schilderungen wird jetzt allerdings ein bisschen ersichtlich, dass Sie auch daran denken, im Zuge dieses Diversity Managements die Positionen von Frauenbeauftragten, Behindertenbeauftragten usw. aufzulösen. Wenn ich das falsch verstanden haben sollte, okay.

(Zuruf)

Wenn Sie sagen, in diesem ganzheitlichen Diversity Management sind die Strukturen und die Zusammenarbeit der Strukturen weiterhin auszubauen, die spezifischen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sind weiterhin beizubehalten und auf eine konstruktive Zusammenarbeit innerhalb dieser Strukturen ist hinzuwirken, dann bin ich bei Ihnen. Eine Abschaffung allerdings im Rahmen dieses ganzheitlichen Diversity Managements würde der Sache nicht gerecht; denn diese Gruppen – seien es die Frauen oder die behinderten Menschen, seien es von Rassismus betroffene Menschen – brauchen tatsächlich spezifische Beauftragte, spezifische Ansprechpartner, und dem könnte ein einziger Beauftragter nicht gerecht werden.

(Beifall DIE LINKE)

Das Diversity Management der FDP hat noch einen weiteren, wesentlichen Haken: Die FDP setzt, wie immer, einmal mehr auf Freiwilligkeit. Gesetzliche Initiativen für Entgeltgleichheit, ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz usw. wurden und werden wohl auch weiterhin von der FDP abgelehnt. Das finden wir schade.

Ich kann Ihnen sagen, dass es so auch nicht klappen wird, wie es auch die letzten Jahre gezeigt haben: Mit Freiwilligkeit kommt man eben nicht wirklich weiter. Diskriminierung am Arbeitsplatz ist ein strukturelles und ein machtpolitisches Problem. Beim Kampf gegen Diskriminierung und für Vielfalt und Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt ist es so wie mit vielen anderen Sachen in vielen anderen Bereichen: Leider nutzen dort schöne Worte und Freiwilligkeit nichts. Appelle, etwas mit Freiwilligkeit zu erreichen, laufen meistens ins Leere. Da müssen klare Regelungen getroffen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Ich muss leider auch sagen, dass die FDP selbst schon ein schlechtes Beispiel für ihren Antrag ist. Auf der Website Ihrer Bundespartei kann man beispielsweise nachlesen, dass Sie sich für moderne und vielfältige Parteiarbeit einsetzen, dass Sie der Charta der Vielfalt beigetreten sind und sogar eine Diversity-Beauftragte haben. Das ist alles sehr schön, nur reicht das alles offensichtlich nicht aus, dort freiwillig tätig zu werden.

Unter den Fraktionen, die im Bundestag sitzen – das sind ganz aktuelle Zahlen –, haben Sie einen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Höhe von 5,4 % und belegen damit den vorletzten Platz. Da ist vielleicht noch ein bisschen Nacharbeit angesagt. Wenn man sich überlegt, wie Sie es auch gesagt haben, Frau Knell, dass ein Viertel der Menschen einen Migrationshintergrund hat, dann haben Sie als Partei da tatsächlich noch einen langen Weg vor sich.

Wenn es bei Ihnen, die für Diversity offen sind und dafür einstehen, schon innerhalb der Partei nicht klappt, zeigt uns das einfach, dass es auf dem Arbeitsmarkt erst recht nicht funktioniert, wenn man es nur mit Appellen an die Freiwilligkeit versucht.

(Beifall DIE LINKE)

Nun ist es so, wie bereits erwähnt, dass Quoten allein natürlich nicht das Allheilmittel sind. Da sind wir uns wohl alle einig. Die Ursachen für die mangelnde Vielfalt und Gleichberechtigung in der Arbeitswelt müssen genauer erkannt, analysiert und dann an der Wurzel gepackt werden. Quoten helfen vielleicht gegen die sogenannte gläserne Decke, die verhindert, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Migranten in Führungspositionen aufsteigen können. Das wird damit vielleicht verhindert. Aber nun sind die wenigsten Jobs in Deutschland solche in Führungspositionen. Auch da sind wir uns, glaube ich, einig.

Eine Hauptursache für die deutlich unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen ist doch der Umstand, dass es nach wie vor Berufe gibt, die eher von Frauen als von Männern ausgeführt werden, und dass diese Berufe nach wie vor absolut unterdurchschnittlich bezahlt sind. Diese Diskussion hatten wir hier jetzt auch unter anderem wegen der Kitas.

Gegen schlechte Bezahlung in den Kitas hilft natürlich keine Quote, das ist klar. 92,9 % der pädagogischen Fachkräfte in den Kitas sind nämlich Frauen. Das bedeutet, wir müssen diese Berufe als Allererstes anständig bezahlen. Es braucht eine Aufwertung, eine deutlich bessere Bezahlung und vor allem bessere Arbeitsbedingungen von Jobs unter anderem in der Pflege, in der Erziehung, im Einzelhandel, im Reinigungsgewerbe usw. – Diese Liste ließe sich noch fortführen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber auch hier sperrt sich die FDP leider regelmäßig gegen Versuche, im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwas zu verändern. Flächendeckende Mindestlöhne insbesondere in den Niedriglohnsektoren lehnen Sie nach wie vor ab. Dort sind aber überproportional Frauen vertreten, wie auch Migrantinnen und Migranten usw. Ein flächendeckender Mindestlohn würde genau diese Gruppen zumindest vor zu wenig Lohn und davor schützen, zu wenig für den Lebensunterhalt zu haben.

(Zuruf Freie Demokraten)

– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so empören. Beim flächendeckenden Mindestlohn sind Sie eben nicht bei uns. Aber genau das wäre zumindest der erste Schritt in die richtige Richtung, wenn man dort Abhilfe schaffen wollte.

(Unruhe)

Somit hätten Sie nämlich gegenüber diesen Gruppen, die Sie hier zu vertreten versuchen und in den Vordergrund stellen, etwa Migrantinnen und Migranten und Frauen, einen Schritt in die richtige Richtung getan. Von DiversityTagungen für Führungskräfte würde nur ein Bruchteil der Frauen und der Migranten profitieren, von anständigen Löhnen hingegen eben wesentlich mehr Menschen.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Sönmez, kommen Sie bitte zum Schluss.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Ich möchte nur noch kurz eine Sache sagen. – Es ist leider so, dass nicht nur in den Chefetagen der Konzerne die Arbeitnehmer sehr homogen sind, sondern auch in den Kitas, auf den Spargelfeldern, im Reinigungsgewerbe, in der Gastronomie usw. Nur, in einem Bereich der Arbeitswelt sind es eben überwiegend weiße Männer über 50 Jahre, und in anderen sind es Frauen, am ehesten rumänische, polnische Wanderarbeiter, in wieder anderen sind es Menschen mit Migrationshintergrund.

(Zurufe Freie Demokraten)

Um auch in diesem Bereich der Arbeitswelt Vielfalt zu erreichen, vor allem aber um soziale Missverhältnisse wenigstens ein bisschen auszugleichen, müssen wir Ausbeutungsverhältnisse verbieten und für Lohngerechtigkeit kämpfen. Dafür stehen wir als DIE LINKE. Ich hoffe, dass sich auch die FDP zu uns gesellt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)