Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Saadet Sönmez - Schwarzgrün lässt Menschen ohne Krankenversicherung im Stich

Saadet Sönmez
Saadet SönmezGesundheit

In seiner 63. Plenarsitzung am 11. Dezember 2020 diskutierte der Hessische Landtag abschließend über unseren Gesetzentwurf zur Schaffung von Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung. Dazu die Rede unserer integrationspolitischen Sprecherin Saadet Sönmez.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Wie uns allen bekannt ist, sind Hunderttausende Menschen in Deutschland und Zehntausende in Hessen ohne oder nur mit eingeschränktem Zugang zu medizinischen Leistungen. Heute beraten wir in dritter Lesung einen Gesetzentwurf meiner Fraktion DIE LINKE, der zwei Dinge ermöglichen soll.

Erstens. Mittels Clearingstellen soll einem großen Anteil dieser Menschen zu einem funktionierenden Krankenversicherungsschutz verholfen werden. Zweitens soll über einen Behandlungsfonds eine sofortige medizinische Versorgung gewährleistet werden.

(Beifall DIE LINKE)

Warum das so wichtig ist, will ich Ihnen noch einmal mit Zitaten aus der Anhörung vor Augen führen. Ich möchte mich aber auch auf diesem Weg bei all den vielen Ehrenamtlichen bedanken; denn sie sind es letztendlich, die im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten das Menschenrecht auf Gesundheit für alle aufrechterhalten wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Dr. Zimmer von den Maltesern in Offenbach hat die Situation sehr zutreffend zusammengefasst:

Wir sind subsidiär dort tätig, wo der deutsche Staat blind ist, wo wir eine Lücke im System haben, wo wir weder den Art. 1 noch den Art. 2 des Grundgesetzes ausreichend würdigen und wo wir auch die entsprechenden Vereinbarungen auf EU- oder UNOEbene momentan noch missachten. Dort treten wir mit unseren Ehrenamtlichen ein.

Dann schauen wir einmal, wo sich der deutsche Staat blind zeigt. Dazu möchte ich Ihnen zwei Beispiele von Frau Haslach vom Medinetz Marburg vortragen:

Der erste Fall ist eine Frau aus dem EU-Ausland mit chronischen Schmerzen, die eine Operation der Gallenblase dringend brauchte. Sie wurde aufgrund fehlender Kostenträger zunächst nicht durchgeführt. Die Schmerzen verschlimmerten sich. Sie musste mehrmals notfallmäßig ins Krankenhaus, aus dem sie mit Schmerzmitteln wieder entlassen wurde. Wir konnten ihr letztendlich Untersuchungen und Behandlungen ermöglichen, jedoch mit monatelangen Verzögerungen, einem schlimmen Leidensweg für die Patientin und trotzdem mit nicht gedeckten und nicht zielführenden Kosten.

Ein anderer Fall

… ist eine junge Frau, die für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Deutschland kam. Kurz bevor das FSJ ablief, wurde sie schwanger, und es endete auch ihr Versicherungsschutz. Durch die Corona-bedingten Reisebeschränkungen konnte sie aber nicht in ihr Heimatland zurück. Die Kosten der nötigen Vorsorge lagen weit über ihren finanziellen Möglichkeiten. Dabei ist eine reguläre medizinische und behördliche Anwendung gerade für Schwangere besonders wichtig.

Schwangere sind oft von mangelndem Krankenversicherungsschutz betroffen.

(Beifall DIE LINKE)

Noch ein Beispiel von Frau Lehmann von den Maltesern aus Frankfurt:

Bei uns war neulich eine Spanierin, die einen Tumor hatte und jetzt operiert werden musste, nicht erst in neun Monaten. Dann wäre nämlich alles zu spät gewesen. Aber eine Tumoroperation kostet Unsummen. Deswegen plädieren wir extremst für den vorliegenden Gesetzentwurf und den Behandlungsfonds. Wir müssen schneller handeln können, … Das ist uns aber nicht immer möglich.

Das muss man sich einmal vorstellen, diese Menschen sind ehrenamtlich tätig. Sie wollen helfen, und unser bestehendes System hindert sie daran, effektiv Hilfe zu leisten. Stattdessen müssen sie, wie Frau Lehmann verdeutlicht hat, betteln gehen, oder die Menschen erleiden Schmerzen oder sterben.

Auch das Gesundheitsamt in Frankfurt, das immerhin 100.000 € jährlich für die humanitäre Sprechstunde erhält, beklagt dieselben Situationen, in denen sie sich über die ärztlichen Tätigkeiten hinaus dafür einsetzen müssen, Patienten wieder in das soziale System zu bringen. Das führt auch bisweilen zu Überforderungen.

Die Regierungsfraktionen warnen vor aus ihrer Sicht unnötigen Parallelstrukturen. Frau Haslach vom Medinetz hat ihnen in der Anhörung darauf deutlich geantwortet:

Wir arbeiten derzeit in einer Parallelstruktur, von der wir wegkommen wollen. Deswegen ist es toll, dass der Gesetzentwurf auch das Clearing so hervorhebt; denn gerade beim Clearing stoßen wir sehr an unsere Grenzen.

Für die Regierungsfraktionen zählen die Hinweise der Anzuhörenden leider nicht. Stattdessen werden sie nur vertröstet. Herr Bocklet und das Ministerium wollen die Krankenversicherungen in die Pflicht nehmen. Wie Sie das zeitnah umsetzen wollen, konnten Sie uns bisher nicht erklären. Währenddessen spüren ehrenamtlich Engagierte der 14 hessischen Einrichtungen tagtäglich bei ihrer Arbeit den Widerstand der Krankenversicherungen, wenn es um die Wiedereingliederung dieser Menschen in das Krankenversicherungssystem geht.

Aber nein, von Schwarz-Grün kommt die Rückmeldung, es bestünde kein Bedarf, sie könnten den Bedarf nicht erkennen. Stattdessen suchen die Damen und Herren der Regierungskoalition, insbesondere Herr Bocklet, gern die Schuld bei den Menschen, die in Not geraten sind.

Während gerade Tausende Selbstständige aus der Kulturund Veranstaltungsbranche aktuell nicht wissen, ob sie ihre Miete zahlen, ihrer Familie etwas zu Essen kaufen oder aber die Krankenversicherung bezahlen sollen, beklagt Herr Bocklet deren Verrat am Solidarsystem.

Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen, das geht an der Lebensrealität dieser Menschen vorbei.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssten zum Schluss kommen.

Saadet Sönmez (DIE LINKE):

Sie ignorieren die Lebensrealität dieser Menschen. – Herr Präsident, das war mein letzter Satz. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)