Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Seilbahnen können auch in Hessen in einzelnen Fällen eine sinnvolle Ergänzung zum bestehenden ÖPNV auf der Schiene und der Straße sein"

Janine Wissler
Janine WisslerVerkehr

Gesetz zur Änderung des Mobilitätsfördergesetzes (Gesetzentwurf Fraktion der Freie Demokraten, DS.20/175)

 

Genau. In diesem Fall bin ich die seilbahnpolitische Sprecherin. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP beantragt, den Bau urbaner Seilbahnen in das Mobilitätsfördergesetz aufzunehmen. Aus unserer Sicht spricht nichts dagegen. Denn das verpflichtet ja erst einmal zu nichts.

(Beifall Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten))

– Bitte, bitte. Gerne. – Dadurch werden aber neue Möglichkeiten, also zumindest theoretisch, geschaffen. Praktisch sind die 100 Millionen € pro Jahr aus diesem Topf ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein für alles,

(Beifall Hermann Schaus (DIE LINKE), Tobias Eckert (SPD), Dr. Stefan Naas und Jürgen Lenders (Freie Demokraten))

was in Straßen- und Schienenprojekte in Hessen investiert werden müsste. Dass dieser Topf für den Ausbau des ÖPNV zu klein ist, spricht aber nicht dagegen, die Seilbahnen in das Gesetz aufzunehmen.

Die Vorteile einer Gondelbahn sind dabei eine vergleichsweise einfache und günstige Errichtung und ein dichter Takt. Es kann allerdings zu Wartezeiten kommen, wenn man erst einmal in einer Schlange stehen muss. Die Nachteile sind verhältnismäßig aufwendige Stationen – denken Sie beispielsweise an die Barrierefreiheit – und eine vergleichsweise geringe Reisegeschwindigkeit.

Die Kapazität ist gar kein so großer Knackpunkt; das hat der Kollege von der FDP-Fraktion schon gesagt. Mit der „Mutter der urbanen Seilbahnen“, dem 2014 begonnenen Seilbahnnetz von La Paz, werden, je nach Linie, zwischen 2.000 und 4.000 Menschen pro Stunde und Richtung befördert. Auch in Koblenz – nicht ganz so weit weg – können 3.800 Menschen pro Stunde und Richtung den Rhein überqueren. Das entspricht ungefähr einem Zweiminutentakt von bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Standardbussen. Von daher gesehen, ist die Kapazität sicherlich kein Argument gegen den Einsatz von Seilbahnen.

(Beifall DIE LINKE und Freie Demokraten – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Die Kollegin versteht etwas von Seilbahnen! – Heiterkeit)

Seilbahnen können auch in Hessen in einzelnen Fällen eine sinnvolle Ergänzung zum bestehenden ÖPNV auf der Schiene und der Straße sein. Diese Fälle sind insbesondere dann gegeben, wenn es sinnvolle Punkt-zu-Punkt-Verbindungen gibt, womöglich über schwieriges Terrain. Darüber zumindest nachzudenken, das ermöglicht die Aufnahme von Seilbahnen in das Mobilitätsfördergesetz. Selbstverständlich müsste eine Seilbahn als ein Teil des ÖPNV in ein bestehendes Tarifsystem, z. B. des RMV, integriert werden, damit man wirklich zu einem integrierten Mobilitätskonzept kommt. Wenn wir also über die Mobilität der Zukunft nachdenken, können Seilbahnen ein ergänzender Bestandteil sein.

(Beifall DIE LINKE)

Erfahrungen mit anderen angedachten urbanen Seilbahnen zeigen allerdings auch, dass es an einigen Orten zu Widerständen in der Bevölkerung gegen Seilbahnen kommt, z. B. über bebauten Stadtgebieten. Die Menschen sorgen sich, dass ihnen zukünftig in den Garten oder in die Fenster geschaut werden könnte, dass ihre Grundstücke verschattet werden oder dass der Wert ihrer Immobilien sinkt. Das heißt, es ist sicherlich vorzuziehen, dass Seilbahnen über unbebautes Gebiet verlaufen; dort sind sie erfahrungsgemäß deutlicher einfacher durchzusetzen und finden mehr Rückhalt in der Bevölkerung.

Seilbahnen – auch das ist ein wichtiges Argument – sind vor Ort emissionsfrei. Das ist gut. Ihre Energiebilanz ist bei guter Auslastung zwar sehr gut, aber eine attraktive Verbindung muss natürlich auch zu Schwachlastzeiten betrieben werden, z. B. am späteren Abend. Ihre Energieeffizienz sinkt, je mehr „Luft“ transportiert wird.

(René Rock (Freie Demokraten): Ich bin beeindruckt, Frau Wissler! – Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Respekt!)

– Ich habe mich in die Materie eingearbeitet.

(Heiterkeit und vereinzelter Beifall)

Präsident Boris Rhein: Wenn Sie nicht weitersprechen, Frau Kollegin, würde ich mich einschalten, weil auch ich vom Thema Seilbahnen sehr fasziniert bin.

(Heiterkeit)

Sie haben das Wort, Frau Kollegin.

Janine Wissler (DIE LINKE): Wenn ich in einer Plenarwoche erreicht habe, dass sowohl die FDP-Fraktion als auch Sie, Herr Präsident, fasziniert sind, dann habe ich mehr erreicht, als ich mir erträumt hätte.

(Große Heiterkeit – Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Freie Demokraten)

Ich weise auch noch darauf hin, dass mir als Mitglied des Deutschen Alpenvereins Seilbahnen grundsätzlich am Herzen liegen.

Aber heute geht es um urbane Seilbahnen. Ich will auf den Seilbahnkritiker zu sprechen kommen, der berechnet hat, dass die Londoner ÖPNV-Seilbahn etwa das Sechsfache an Energie pro Personenkilometer benötige als eine vergleichbare Stadtbahn. Das will ich mir gar nicht pauschal zu eigen machen, sondern ich denke, das sind Dinge, die man sich anschauen muss. Wie sind die Gegebenheiten vor Ort? Müssen Autos und Busse einen großen Umweg fahren, wenn es keine Seilbahn gibt? Dann könnte sich das Verhältnis zugunsten von Seilbahnen egalisieren. Wenn man mit einer Seilbahn einen attraktiven ÖPNV-Anschluss hat und das Auto bei der Weiterfahrt im Anschluss stehen lässt, dann verbessert das die Ökobilanz, und dann kann das sehr sinnvoll sein.

(Beifall DIE LINKE)

Klar ist aber auch: Eine Seilbahn darf immer nur eine spezialisierte Ergänzung und keine Low-Cost-Alternative zu wichtigen Bahnprojekten sein. Auch Buslinien, die womöglich näher an den Wohngebieten und mit geringeren Haltestellenabständen fahren, erfüllen eine ganz andere Funktion als Seilbahnen, die in der Praxis immer auch Umsteigezwänge beinhalten.

Insofern können wir die Aufnahme von Seilbahnen in das Mobilitätsfördergesetz befürworten. In besonderen Nischen können Seilbahnprojekte interessante Alternativen sein.

Wir können die aufgeworfenen Fragen gern in einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss vertiefen. Ich bin sehr gespannt, was die Experten dazu sagen. Dass Frankfurt ein Seilbahnnetz wie La Paz bekommt, würde ich aber eher nicht erwarten. Seilbahnen sind jedoch eine sinnvolle Alternative. Deshalb spricht aus meiner heutigen Sicht nichts dagegen, dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zuzustimmen und Seilbahnen in den Geltungsbereich des Mobilitätsfördergesetzes aufzunehmen.

(Beifall DIE LINKE und Freie Demokraten)