Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

"Sind individuelle Auswahlverfahren wirklich ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit im Bildungssystem?"

Janine Wissler
Janine WisslerBildung

Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Hochschulzulassung und über die Zulassung zum Hochschulstudium in Hessen (Erste Lesung Gesetzentwurf Landesregierung, Ds. 20/104)

 

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Ich will noch ein bisschen grundsätzlicher in diesen Punkt einsteigen; denn wenn wir darüber reden, dass wir die Hochschulzulassung beschränken und weitere Kriterien einführen, bedeutet das natürlich auch, dass das Recht auf freie Berufswahl eingeschränkt wird, und es wirkt sich auch auf das sozial äußerst selektive Bildungssystem aus, das wir sowieso schon haben. Darüber haben wir auch heute anlässlich der Regierungserklärung zur Bildungspolitik gesprochen. Rednerinnen und Redner haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir hier einen Flaschenhals haben und dass viele Menschen gar nicht oder zumindest sehr erschwert die Möglichkeit haben, an eine Hochschule zu kommen. Es bedeutet, dass diese Möglichkeiten weiter eingeschränkt werden; denn zusätzliche Zulassungsbeschränkungen sind nichts anderes als eine weitere Bildungshürde. Ich finde, das muss man voranstellen. Es stellt sich für mich die Frage, warum wir eigentlich darüber reden, dass man den Hochschulzugang weiter beschränken muss; denn die Hochschulzugangsberechtigung ist das Abitur oder eine vergleichbare Qualifikation. Das ermöglicht es grundsätzlich, dass man an einer Hochschule studiert. Bei der Frage, ob es der NC ist oder ob es andere Einschränkungen sind, geht es letztlich darum, dass es nicht genug Studienplätze gibt und dass man im Zuge dieser Mangelverwaltung die Hochschulzulassung beschränken muss. Ich finde es wichtig, das einmal grundsätzlich zu sagen. Deswegen will ich auch deutlich machen, dass wir als LINKE die Hochschulzulassungsbeschränkung grundsätzlich kritisch sehen, ob das nun der NC ist oder ob es weitere Auswahlkriterien sind.

(Beifall DIE LINKE)

Es wird gesagt, dass die Schulnoten oft nicht so aussagekräftig sind. Wir sind eine Partei, die das durchaus kritisch sieht. Aber man muss sich schon fragen, ob die zusätzlichen Auswahlkriterien, die geschaffen werden, und die individuellen Auswahlverfahren ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit im Bildungssystem sind oder ob sie nicht weiter sozial selektiv wirken. Es gibt die Erfahrung, dass gerade in diesen Auswahlgesprächen Menschen aus Familien mit geringerem Bildungsstand systematisch benachteiligt werden. Es gibt auch überhaupt keine Erkenntnis darüber, dass diese Auswahlkriterien dazu führen, dass die Zahl der Studienabbrecher verringert wird. Das ist auch logisch; denn wenn man Studierende fragt, warum sie ihr Studium abbrechen, antwortet die Mehrzahl, dass sie es aus finanziellen Gründen machen. Das heißt also, wenn man die Zahl der Studienabbrecher verringern will, muss man an das BAföG und an die Studienfinanzierung gehen; aber man darf nicht durch Auswahlgespräche weitere Hürden auf dem Weg zum Hochschulzugang schaffen.

(Beifall DIE LINKE)

Zu Recht haben die Anzuhörenden – z. B. die Vertreter der Hochschulen – darauf hingewiesen, dass zusätzliche Auswahlgespräche und zusätzliche individuelle Auswahlverfahren auch Aufwand mit sich bringen. Jetzt haben wir die Situation, dass wir an hessischen Hochschulen so viele Studierende haben wie noch nie. Wir haben ein immer schlechter werdendes Betreuungsverhältnis, und in der Verwaltung haben wir nicht gerade einen Personalüberschuss. Da stellt sich schon die Frage, mit welchen Mitteln und mit welchen personellen Ressourcen die Hochschulen diese zusätzlichen Auswahlverfahren überhaupt durchführen sollen. Ich finde, über diese Frage müssen wir im Rahmen einer Anhörung noch einmal diskutieren. Ich will darauf hinweisen, dass die Auswahlverfahren auch einen enormen Aufwand für Studieninteressierte bedeuten; denn man schreibt sich nicht einfach dort ein, wo man wohnt, sondern es gibt mittlerweile Studieninteressierte, die quer durch Deutschland reisen und sich an verschiedenen Hochschule bewerben in der Hoffnung, irgendwo genommen zu werden. In den großen US-amerikanischen Universitäten gibt es mittlerweile ganze Abteilungen, die sich mit nichts anderem beschäftigen als mit der Auswahl von Studierenden. Es ist schon die Frage, ob das die Richtung ist, in die man gehen will, und ob es sinnvoll ist, dass sich studieninteressierte junge Menschen mit viel Geld, mit viel Aufwand und mit viel Reisetätigkeit individuellen, aufwendigen Auswahlverfahren unterziehen. Deswegen sind wir grundsätzlich der Meinung, zum Studium an einer Hochschule ist berechtigt, wer eine Hochschulzugangsberechtigung hat. Da sollte man keine weiteren Kriterien schaffen, die am Ende nicht dazu führen, dass das Ganze gerechter wird, sondern nur eine weitere Hürde darstellen.

Das sind die Punkte, die ich ein bisschen grundsätzlicher ansprechen wollte. Man kann sicher auch über weitere Fragen diskutieren. Es gibt natürlich auch praktische Fragen, die unstrittiger sind. Aber das sind die grundsätzlichen Anmerkungen, die ich machen wollte. Ansonsten müssen wir im Ausschuss – das machen wir morgen Abend – noch einmal darüber diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)