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Rede

SPD-Antrag: Bildungsungerechtigkeit durch bessere Lernbedingungen abbauen, ganztägig und gebührenfrei

Gabi Faulhaber
Gabi FaulhaberBildung

Rede von Gabi Faulhaber am 14.Dezember 2017 im Hessischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort –

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Schwarz,

Sie haben bestimmt lange gesucht, einen Sachverständigen in der Enquetekommission zu finden, der vorträgt, dass Ganztagsschulen überhaupt keine Auswirkungen auf die Schulentwicklung von Kindern hätten. Ich weiß nicht, wie lange Sie gebraucht haben, so jemanden zu finden. Ich finde es jedenfalls bemerkenswert.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Kommen wir einmal zu den ernsthaften Dingen, denn Sie sind in der Frage der Bildungsgerechtigkeit kein der Partner zur Auseinandersetzung, denn da sind Sie eher unbewaffnet.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Setzen wir uns einmal mit der SPD-Fraktion und ihrem Antrag auseinander. Liebe Mitglieder der SPD-Fraktion, ich bin ein bisschen verwundert, dass Sie die IGLU-Studie bemühen, um hier ein wirklich wichtiges Thema anzusprechen, nämlich dass der Bildungserfolg eines Kindes nach wie vor maßgeblich von der sozialen Herkunft und den finanziellen Verhältnissen seiner Familie abhängig ist. Das zu begründen, hätte es der IGLU-Studie nicht bedurft.

Lernleistungsstudien, wie IGLU, QuABB usw., lehnen wir nach wie vor vehement ab, weil sie nichts Belastbares über die Lernentwicklung und die Perspektiven eines Kindes aussagen. Sie sind nämlich nur Schnappschüsse und erfassen keine Perspektiven, keine Entwicklungen. Mit diesen Lernstandsmessungen werden die Kinder unter einen Leistungsdruck gesetzt. Der ist unnötig. Aussagen darüber, wie gut, wie schnell, in welchen Schritten und mit welchen Hilfen – das würde Förderung bedeuten – diese Entwicklung vonstattengeht, werden in diesen Lernstandserhebungen genau nicht erhoben.

Ich hätte mir zwar einen anderen Ausgangspunkt für Ihren wichtigen Antrag gewünscht, aber Ihre Forderungen halte ich für sehr richtig. Selbstverständlich muss Bildung – von der Kita bis zur Hochschule und auch die Erwachsenenbildung – für alle Menschen frei zugänglich sein. Aus diesem Grunde ist die Abschaffung der Studiengebühren nach wie vor ein toller Erfolg, der vor etwa zehn Jahren in Hessen errungen worden ist.

Studiengebühren schließen vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien vom Besuch von Universitäten aus. Übrigens schließen Kitagebühren Kinder von frühkindlicher Bildung aus, ebenso wie anfallende Unkostenbeiträge für Arbeitsgruppen Kinder vom Pakt für den Nachmittag ausschließen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine echte Lernmittelfreiheit ist dringend geboten. Sie haben geschrieben, „ein Schulgeld durch die Hintertür“ sei entschieden abzulehnen. Übrigens gehört auch das Schülerticket hierhin. Wenn nämlich ein Kind aus einem einkommensschwachen Haushalt unter § 161 Hessisches Schulgesetz fällt und kein hessenweites Ticket bekommt, ist das eine Benachteiligung, die seine Familie nicht ausgleichen kann, weil sie einfach nicht in der Lage ist, genug Geld dafür aufzubringen.

Meine Damen und Herren, der SPD-Antrag ist sehr berechtigt; denn in der hessischen Bildungspolitik passiert erschreckend wenig, was zu mehr Bildungsgerechtigkeit beiträgt. Eher bleibt die soziale Ungerechtigkeit an den Schulen seitens der Landesregierung unbeachtet. Das Märchen von der Durchlässigkeit an den hessischen Schulen mag ich überhaupt nicht mehr hören; denn wirklich durchlässig ist dieses Schulsystem meistens nur in eine Richtung, nämlich nach unten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann Ihnen das auch belegen: Mittlerweile kommen auf einen Bildungsaufsteiger – eine Schülerin oder ein Schüler, die oder der auf eine höhere Schulform wechselt – mehr als acht Bildungsabsteiger, also Schülerinnen und Schüler, die von einer höheren auf eine niedrigere Schulform abgeschult werden. In den Förderschulen erreichen knapp 75 % der Schülerinnen und Schüler keinen Hauptschulabschluss.

Von Durchlässigkeit kann also keineswegs die Rede sein. Auf Durchlässigkeit ist dieses Schulsystem auch nicht angelegt. Es ist ein aussonderndes System, kein inklusives. Es zwingt die Lehrkräfte zudem dazu, nach einer nur vier Jahre dauernden Grundschulzeit Prognosen für die künftige Bildungslaufbahn von Kindern abzugeben und sie dann verschiedenen Schulformen zuzuordnen. Meine Damen und Herren, hören Sie doch einmal der Vorsitzenden der Landesgruppe Hessen des Grundschulverbands zu. Sie sagt aus Erfahrung, dass solche Prognosen überhaupt nicht erstellt werden können. Weder die ausufernde Mehrgliedrigkeit noch der Pakt für den Nachmittag stellen Bildungsgerechtigkeit her. Der Pakt für den Nachmittag verhindert eher den Ausbau echter Ganztagsschulen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bildungsgerechtigkeit wird schon gar nicht durch ihre Weigerung hergestellt, in Gesamtschulen ein längeres gemeinsames Lernen zuzulassen, wie es in vielen Staaten längst gang und gäbe ist – wenn Sie schon andere Staaten anführen.

(Zuruf des Abg. Armin Schwarz (CDU))

– Ja, über Frankreich können wir einmal diskutieren. Aber das ist jetzt meine Redezeit. – Besonders falsch ist, dass genau diese sinnvollen Konzepte an den sich einer immer größeren Beliebtheit erfreuenden Privatschulen längst etabliert sind. Auch die staatlich finanzierten Modellschulen arbeiten längst mit modernen Konzepten, vom jahrgangsübergreifenden Lernen bis zum Aussetzen der Notengebung. Das sind Schulen, die so begehrt sind, dass sie, weil sie überlaufen sind, jedes Jahr 75 % der Bewerber ein Ablehnungsschreiben schicken müssen. Das sind Schulen, die Schulpreise gewinnen und deren Projektarbeit immer wieder besonders heraussticht.

Die schwarz-grüne Landesregierung weiß also eigentlich, wie sie Bildungshürden abbauen könnte. Sie will es aber nicht. Wirkliche Veränderungen und mehr Chancengerechtigkeit sind mit Schwarz-Grün also nicht erreichbar. Das hat nicht zuletzt auch die gestrige Haushaltsdebatte zum Einzelplan 04 gezeigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Daher befürchte ich, dass dieser Antrag der SPD-Fraktion auch nicht dazu beitragen wird, dass die Landesregierung notwendige Änderungen vornimmt. Werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zuletzt will ich noch eines loswerden: Wenn wir hier über Bildungsgerechtigkeit sprechen, würde ich mir zumindest einen kurzen Hinweis darauf wünschen, wie wir diese auch für Flüchtlingskinder herstellen können, die aufgrund ihrer oftmals dramatischen Erfahrungen und gebrochenen Bildungsbiografien sicherlich zusätzliche Hilfe benötigen.

– Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)