Die hessische Linksfraktion bestand von April 2008 bis Januar 2024

Rede

Jan Schalauske - Kampf gegen Zweckentfremdung ist wirksamer Mieterschutz

"Wir brauchen ein Vielzahl von Maßnahmen, der Kampf gegen Leerstand und Zweckentfremdung ist eine davon!"

Jan Schalauske
Jan SchalauskeWohnen

Gesetz gegen Leerstand und Zweckentfremdung von Wohnraum (Dringlicher Gesetzentwurf Fraktion DIE LINKE, Ds. 20/1186 zu Ds. 20/238)

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Es geht doch bei unserem eingebrachten Gesetzentwurf zum Verbot von Leerstand und Zweckentfremdung eigentlich um etwas Selbstverständliches, nämlich darum, den Kommunen ein Instrument zur Verfügung zu stellen, mit dem sie sicherstellen können, dass Wohnraum auch dafür genutzt wird, wofür er errichtet wurde – nämlich zu Wohnzwecken. Das ist etwas Selbstverständliches.

(Beifall DIE LINKE und Nancy Faeser (SPD))

In Zeiten eines extremen Mangels an bezahlbarem Wohnraum, der auch von kaum jemandem hier in der Debatte noch bestritten wird, müsste es doch eigentlich allen ein Anliegen sein, die Wohnraumversorgung der gesamten Bevölkerung zu gewährleisten und alle dafür erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Doch einige tun sich damit schwer – und das, obwohl wir tagtäglich Zeugen von dramatischen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt sind. Die Wohnungsfrage führt zu einer immensen sozialen Spaltung. Während in unseren Ballungsräumen die einen Schwierigkeiten haben, überhaupt noch eine bezahlbare Wohnung zu finden, spekulieren andere mit leer stehenden Gebäuden oder Wohnungen. Das ist ein unerträglicher Zustand. Die Ursachen dieser Entwicklung sind: ungebremstes Abschmelzen des Bestandes an Sozialwohnungen, massive Spekulationen in Betongold immer auf der Jagd nach der höchsten Rendite und ein massiver Anstieg der Mietpreise, insbesondere in den urbanen Zentren. Es rächt sich jetzt, dass sich die Politik in den letzten Jahren aus der Verantwortung für die Wohnungsversorgung zurückgezogen hat und dem Markt die Wohnraumversorgung überlassen hat. Die Versorgung mit Wohnraum ist zu wichtig, um sie allein dem Markt zu überlassen.

(Beifall DIE LINKE)

Die prekären Mietverhältnisse wurden durch diese Entwicklung ebenso befördert wie Verdrängung und Segregation. Menschen werden aus ihren Wohnungen gedrängt, weil andere versuchen, mit diesen Wohnungen größtmögliche Profite zu erwirtschaften. Gleichzeitig stehen auch Wohnungen leer. Sie stehen leer aus Spekulationsgründen oder aus anderen Gründen. Der Minister hat jüngst betont, in dieser Situation des Wohnraummangels zähle jede einzelne Wohnung. Meine Damen und Herren, dann müssen wir auch um jede einzelne Wohnung im Bestand kämpfen. Deswegen ist es eine fatale Fehlentscheidung der Mehrheit von Schwarz-Grün und auch der Landesregierung, ein Verbot von Leerstand und Zweckentfremdung abzulehnen, obwohl dies ausdrücklich von Mieterverbänden und den am stärksten vom Mietenwahnsinn betroffenen Städten Frankfurt und Wiesbaden gefordert wird. Das ist eine Fehlentscheidung.

(Beifall DIE LINKE)

Das Mantra „bauen, bauen, bauen“, und den Fokus ausschließlich auf Neubau zu setzen – so wie es auch ein bisschen beim Kollegen Lenders zum Ausdruck kam –, das allein wird nicht ausreichen. Wir brauchen eine Vielzahl von Maßnahmen, wir brauchen eine breite Palette. Der Kampf gegen Leerstand und Zweckentfremdung ist eine davon. Wenn wir jetzt einmal einen Blick auf die Anhörung Mitte August werfen, dann muss man schon feststellen, dass viele Akteure aus der Wohnungswirtschaft, aus den Kommunen und den Mieterverbänden geladen waren und eine Menge Stellungnahmen im Vorfeld eingegangen sind. Aber die meisten der Stellungnahmen haben doch deutlich gemacht, wie notwendig ein solcher Gesetzentwurf zum Verbot von Zweckentfremdung ist. Mieterverbände, Mieterinitiativen, die Ortsbeiräte aus Frankfurt und Wiesbaden haben parteiübergreifend, über alle Parteibücher hinweg, ein solches Gesetz mit Nachdruck gefordert. Auch das Bündnis Mietenwahnsinn Hessen, ein landesweiter Zusammenschluss von 40 Institutionen, Verbänden, Gewerkschaften, hatte sich zuvor für ein solches Gesetz ausgesprochen. Es wurde hier oft gefordert: Na ja, hören Sie doch endlich auf die Experten in der Frage der Wohnraumversorgung. – Ich kann nur sagen: Hören Sie auf diese Experten für Wohnraummangel, und erhalten Sie die Wohnungen im Bestand, schützen Sie die Mieter, und sorgen Sie für ein Verbot von Leerstand und Zweckentfremdung.

Lediglich die Vertreter der Immobilienwirtschaft haben das Gesetz abgelehnt. Deren einflussreiche Position wird durch die Blockadehaltung von Schwarz-Grün gegenüber dem Gesetz weiter gestärkt. Letztlich stützen Sie damit am Ende auch die profitorientierten Teile der Immobilienwirtschaft, die ihre Renditeaussichten gefährdet sehen. Schwarz-Grün und gerade die GRÜNEN stoßen lieber die Mieterverbänden und die von Mietenwahnsinn betroffenen Kommunen vor den Kopf, als einmal der Immobilienwirtschaft klare Kante zu zeigen. Das ist zumindest für die GRÜNEN ein Armutszeugnis.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass das Gesetz eine verbesserte Steuerungsmöglichkeit für die Kommunen darstellt. So hat es auch der schon zitierte Vertreter des IWU betont. Auch wenn er die Relevanz des Gesetzes anders beurteilt hat, hat er trotzdem gesagt, es sei eine verbesserte Steuerungsmöglichkeit. Trotz mancher Zweifel aus den Reihen des IWU wurde dafür plädiert, den Wunsch der Kommunen ernst zu nehmen, die in diesem Instrument einen wichtigen Beitrag zum Städtebau und zum Vollzug sehen. Die bestehenden Regelungen gehen nicht weit genug – auch das wurde in der Anhörung deutlich. Wiesbaden betonte, dass die Kommunen über ein solches Gesetz die Möglichkeit hätten, gewerbliche Umnutzungen oder auch spekulativen Leerstand zu verhindern. Das könnten sie im Moment nicht tun. Sie würden sich ein solches Gesetz wünschen. Genau so eine Stellungnahme kam auch aus der Stadt Frankfurt, die in den Neunzigerjahren bereits gute Erfahrungen mit dem Gesetzentwurf gemacht hat. Die gesetzliche Wiedereinführung dieser Handlungsoption würde also die Spielräume kommunalen Handelns langfristig verbessern, auch um gegen Spekulation und Leerstand vorzugehen. Die Kommunen wollen diese Regelung – nur Schwarz-Grün im Hessischen Landtag verhindert sie.

Die Anhörung hat auch noch einmal Klarheit in einem anderen Bereich geschaffen. Sie hat gezeigt, was man eigentlich unter Leerstand versteht und welche Formen des Leerstands in den gängigen Statistiken auftauchen und welche nicht. Ich möchte das gerne wiederholen, da der Wohnungsbauminister Herr Al-Wazir gerne Zahlen anführt und sagt, deshalb sei der Leerstand quantitativ nicht relevant. Die gängigen Leerstandsstatistiken, die z. B. in Frankfurt einen Leerstand von 1 bis 2 % ausweisen, erfassen lediglich den marktaktiven Teil des Leerstands, also denjenigen, der binnen dreier Monate wieder dem Wohnungsmarkt zugeführt werden kann. Sockelleerstand, struktureller Leerstand und Leerstand von Schrottimmobilien – all das taucht in dieser Statistik nicht auf. Alleine um den Leerstand zu erfassen, brauchen wir dringend ein solches Gesetz.

Ich will in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, dass es eine umfangreiche Berichterstattung aus den Frankfurter Ortsbeiräten gab, die wegen der Untätigkeit des grünen Wohnungsbauministers selbst angefangen haben, den Leerstand zu erheben. Auch dies geschah parteiübergreifend. Die Frankfurter GRÜNEN und auch das grüne Wahlprogramm haben es ohnehin viel besser verstanden, dass Leerstand ein Problem ist, als der grüne Minister und die Landtagsfraktion, die sogar die Stimmen aus den eigenen Reihen ignorieren.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Hört, hört!)

Ein Beispiel war der Bericht aus dem Ortsbeirat Frankfurt-Höchst. Der Ortsbeirat trägt seit Kurzem mit Unterstützung aus der Bevölkerung Informationen über Leerstände zusammen: Allein in Höchst ist die Rede von 70 Häusern und 500 Wohnungen. Aber auch die Wohnungsämter und andere Ortsbeiräte erreichen kontinuierlich Hinweise aus der Bevölkerung auf monatelang leer stehende Gebäude. Auch Plattformen wie der Frankfurter Leerstandsmelder zeigen: Leerstand ist kein Ausnahme- oder Randphänomen. Da frage ich Sie: Was muss eigentlich noch passieren? Was muss Ihnen noch alles berichtet werden, damit Sie Leerstand endlich als ein strukturelles Problem auf dem Wohnungsmarkt sehen und den Kommunen die Mittel geben, die sie brauchen, um dagegen vorgehen zu können? Eines jedenfalls ist klar: Langfristiger Leerstand schadet dem kommunalen Gemeinwohl und der Lebensqualität. Er befördert eine künstliche Verknappung des Flächenangebots und schafft das Problem, dass kostenintensiver und ökologisch fragwürdiger Erschließung neuer Baugebiete nicht effektiv begegnet werden kann. Deswegen wäre ein Gesetz gegen Leerstand und Zweckentfremdung auch ein Beitrag zur Stadtentwicklung.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))

Wir haben in unserem Gesetzentwurf die Möglichkeit einer Treuhänderregelung vorgesehen. Die Stadt Frankfurt hat gesagt: Wenn wir gegen Leerstand und Zweckentfremdung vorgehen wollen, brauchen wir im Zweifel auch die Möglichkeit der Beschlagnahmung. – Wir sagen: Das kann auch ein Treuhändermodell sein. Niemand braucht Angst zu haben, denn es geht nicht um Enteignung, sondern um eine befristete Inbesitznahme, um zweckentfremdeten Wohnraum wieder Wohnzwecken zuführen zu können. Man kann sich die entsprechenden Zahlen aus München anschauen. Das Beispiel München hat gezeigt, dass ein solches Gesetz nicht verfassungswidrig ist – das behauptet jetzt niemand mehr –, sondern dass man schon seit 40 Jahren erfolgreich gegen Zweckentfremdung vorgehen kann. An diesem schönen Beispiel kann man sehen: Selbst wenn es in den letzten zehn Jahren nur rund 2.000 Wohnungen gewesen sind, sollte sich die FDP fragen, was das allein im Neubau gekostet hätte.

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (Freie Demokraten): Ja!)

Ich komme zum Schluss: Wir fanden die Anhörung hilfreich. Schwarz-Grün ignoriert leider die Erkenntnisse, die die Mieterinnen und Mieter sowie die Kommunen, die ein solches Gesetz haben wollen, in die Anhörung hineingetragen haben. Wir verschärfen mit unserem Änderungsantrag noch einmal die Regelungen zur Schaffung von Ersatzwohnraum, um es Investoren nicht allzu leicht zu machen. Wir beantragen eine dritte Lesung, weil wir glauben, dass es wichtig ist, dass wir über diese wichtige Maßnahme im Kampf um die Sicherung der Rechte der Mieterinnen und Mieter sowie für den Bestandsschutz der Wohnungen weiter diskutieren. Der Wohnungsbauminister hat recht: Jede Wohnung zählt. – Deswegen brauchen wir diesen Gesetzentwurf.

(Beifall DIE LINKE und Torsten Warnecke (SPD))